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BILDTRADITION
I. NACHLEBEN ANTIKER BILD VORSTELLUNGEN

i. Antike Bildthemen
395 PANOFSKY, ERWIN, and FRITZ SAXL,
Classical mythology in mediaeval art. In:
Metropolitan Museum Studies 4, '33,
S. 228—80.
Eine klare Zusammenfassung der For-
schungen, die mit den Namen A. Warburgs
und der Verff. verknüpft sind. Aus der Fülle
des erarbeiteten Materials werden para-
digmatische Fälle herausgegriffen und an
ihnen das Verhalten des Mittelalters
zum Traditionsgut antiker Bildprägungen
vorgeführt. Der Überblick über Stern-
bilder- und Planetendarstellungen (im An-
schluß an Saxls Katalogarbeiten) gibt Ge-
legenheit, die Wandlung und Umdeutung
der antiken Typen in romanische oder
islamische Formen sowie den bewußten
Rückgriff auf antike Bilddenkmäler im
Italien des 15. Jahrh. zu veranschaulichen.
Ihm. entspricht im Norden gleichzeitig eine
Tendenz zur Anlehnung an Karolingisches.
Die Rezeption astrologischer Bilderkreise
des Ostens und ihre Verarbeitung durch die
spätmittelalterliche Kunst wird knapp
skizziert. Eine weitere Entwicklungsreihe,
Darstellungen antiker Mythen und Götter
im Mittelalter, zeigt das Verhalten der
Illustratoren zu den Texten der mytho-
graphischen Tradition, die an die spät-
antiken Moralisierungen anschließt. Hier
geht die antike Form vollends verloren. Der
Inhalt wird neu illustriert, wortgetreu,
aber aus der Vorstellungswelt des Mittel-
alters heraus. Erst die Renaissance kleidet
auch hier antike Inhalte wieder in die ge-
mäßen antiken Formen und verleiht ihnen
so die alte „heidnische“ Dramatik. Erst sie
empfindet die Antike als eine unauflösbare
Einheit. Aus der Unvereinbarkeit dieses
Idealbilds einer harmonischen Welt der
Diesseitigkeit mit den Ansprüchen der
christlichen Ethik wird die Krise des Manie-

rismus wie die Sehnsucht des Klassizismus
gedeutet. Unabhängig von antiken Inhal-
ten werden antike Formen vom Mittelalter
assimiliert, aber diese Formen dienen nun
zur Veranschaulichung ethischer, nicht kör-
perlicher Werte. Hier hätte man neben
Beispielen der religiösen Sphäre (Reims,
Pisa) gerne auch ein Beispiel aus dem eng-
sten Bereich des Themas selbst gesehen.
Der Quedlinburger Teppich etwa, der den
Urtypus aller mythographischen Texte,
Martianus Capella, illustriert, neigt doch
wohl auch formal auf die Seite antiker Ge-
staltungsweise (vgl. B. Kurth).
Ganz allgemein verdient es vielleicht
überdacht zu werden, ob die Prämissen
dieser Überschau zu so genereller Deutung
hinreichen. Das hier angewandte Prinzip,
Produkte der Auseinandersetzung ver-
schiedener geistiger Einstellung zu befragen,
hat sich in seiner wissenschaftlichen Frucht-
barkeit oft bewährt. Auch diese Beispiele
zeigen mit der Klarheit eines historischen
Experiments das Verhalten der mittelalter-
lichen Kunst zum Bild. Inhalt geht'hier vor
Form und folgerichtig Attribut vor Gestalt,
Ablesbarkeit vor Dramatik. Diese Ein-
stellung wird an den gezeigten Reihen dar-
um so besonders deutlich, weil die Themen
ihr entgegenkommen: Das gilt für die Über-
lieferung der Konstellationen und Planeten-
bilder wie für die mythographischen, in
denen schon die illustrierten Texte die Auf-
splitterung der mythologischen Bildprä-
gungen in Einzelzüge und damit das Zurück-
treten der Gesamterscheinung vorbereitet
hatten.
Aber das Verhalten zum Bild kann doch
wohl nicht direkt dem Verhalten zur Wirk-
lichkeit gleichgestellt werden so wenig sich
das historische „Distanzbewußtsein“ der
Renaissance dem optischen der Perspektive
zuordnen lassen muß. An solchen Stellen
bleibt es in Schwebe, ob genetische Zu-
 
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