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RENAISSANCE, HUMANISMUS, REFORMATION

I. Der Renaissance-Begriff
865 CANTIMORI, DELIO, Sulla storia del con-
cetto di Rinascimento. In: Annali della
R. Scuola normale superiore di Pisa.
Ser. 2, 1, '32, S. 230—68.
Der „concetto" Renaissance gehört für
C. zu den historiographischen „Mythen“,
die zwar der Geschichtsschreibung unent-
behrlich sind, denen aber immer neben
allgemeinen geschichtsphilosophischen Vor-
stellungen auch emotionale, durch politische
und religiöse Voraussetzungen bestimmte
Tendenzen zugrunde liegen. Soweit diese
Tendenzen Residuen einer vergangenen
Historiographie oder außerwissenschaft-
licher Interessen sind, die in ihrer nur
traditionellen Bedingtheit nicht erkannt
werden, verführen sie zu einer falschen
Gruppierung von Ereignissen, Institutio-
nen, Kulturerscheinungen. Dem kritischen
Bewußtsein obliegt es, diese Mythen von
der verunklärenden Gegenwart politischer,
propagandistischer oder pädagogischer Ka-
tegorien zu befreien. Rinascenza und Ri-
forma sind polemische Ausdrücke ihrer Zeit,
die in der modernen Historiographie jeweils
wieder eine polemische Stellungnahme
hervorgerufen haben. Daraus erklären sich
die verschiedenen „Renaissance-Bilder“
verschiedener Epochen, deren Voraussetzun-
gen C. zu klären sucht. Seine Darstellung
geht von den Geschichtsschreibern der
Renaissance im 18. Jahrhundert aus und
klärt im wesentlichen ihre Stellung zum
staatlichen und gesellschaftlichen Libe-
ralismus, zur intellektuellen Aufklärung
und zu den religiösen Bewegungen ihrer
Zeit. Entsprechend diesen Stellungen
wird unter rinascenza, rinascitä, restau-
razione, risorgimento das Wiederaufleben
der Künste und Wissenschaften, oder die
Befreiung der ursprünglichen Natur des
Menschen aus den Bindungen des Mittel-
alters verstanden; wird dem Humanismus
die Wiederentdeckung des Altertums, oder

die Revolution des Denkens als Haupt-
funktion zugeschrieben; bedeutet riforma,
riformazione die Reinigung der katholischen
Kirche, oder die Wiedergeburt des religiösen
Geistes in Europa.
Die deutsche „Kulturgeschichtsschrei-
bung“ vom Anfang des 20. Jahrh. (Troeltsch,
A. Weber) mit ihrem politischen Liberalis-
mus und ihrem Interesse für das Zusammen-
wirken von Gesellschaft und Individuum
kommt von Burckhardt und Nietzsche her.
Burckhardt’s protestantische Moral erlaubt
ihm, ohne polemisch anti-medievale Hal-
tung, den Charakter der Renaissance an
sich zu verstehen. Sie wird abgesetzt gegen
die Unbildung, die Bürokratie, das Banau-
sentum seiner eigenen Zeit, und die Freiheit
der Renaissance erscheint vor dem Hinter-
grund der kirchlichen Korruption, der
religiösen Unwahrhaftigkeit. Nietzsche ist
dagegen der Revolutionär an sich; das
Ideal einer souveränen Moral, dem gegen-
über die — widerwillig als siegreich an-
erkannte — Reformation als Rückfall in
die Barbarei erscheint, hat nichts mit der
historischen Renaissance zu tun, sondern
ist ein zeitgebundenes Postulat. Ihm folgen
die Dichter (d’Annunzio, Stefan George)-
die wieder auf die Wissenschaft zurück,
wirken.
Die großen Italiener des 19. Jahrhun-
derts haben, obwohl ihrem politischen
Aufklärungseifer eine Vorliebe für die
Reformation entspricht, diese nur wenig
in den geschichtlichen Prozeß einbezogen,
oder sie, im Sinne einer katholischen
Apologetik, als Folie, bestenfalls als Impuls
gewertet. Die Kritik an der Renaissance
setzt von der politischen Sphäre her an:
bei dem Verlust der politischen Selbständig-
keit, bei der staatlichen Desorganisation
Italiens und bei den intellektuellen Auf-
lösungstendenzen, die bei Ferrari dem
Anarchismus gleichgesetzt werden. Ihre
positive Wertung ist auf dem Boden der
Aufklärung, des radikalen Liberalismus,
 
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