192
Mittelalter
735 NAUMANN, HANS, Wandlung und Er-
füllung. Stuttgart: Metzler '33. 167 S.
N. legt eine Sammlung seiner „Reden
und Aufsätze zur germanisch-deutschen
Geistesgeschichte“ vor, in denen das Wer-
den bestimmter, von ihm vertretener An-
schauungen und ihr folgerichtiger Ausbau
sichtbar wird. Uns interessieren hier vor
allem die ersten vier Aufsätze.
Am „Reiter von Möjebro“, einem, römi-
schen Reiterbildern nachgeahmten, Grab-
steine im Norden, — an „Balders Tod“,
der einen vom Norden übernommenen
vorderasiatisch-hellenistischen Mythus in
sich beschließt, — an den Sagen Meleagros-
Nornagest und Daidalos-Wieland, zeigt N.
dreimal die Wandlung auf, die ein antikes
Gut in ein germanisches umschmolz. „Die
Wissenschaft darf sich nicht länger be-
gnügen mit der bloßen Aufzeigung der
fremden Quellen und Zusammenhänge.
Viel wichtiger ist die Aufzeigung der Wand-
lung, die sich nach den Gesetzen des ger-
manischen Denkens und des germanischen
Lebensstils mit j enen Einzelgütern vollzog. ‘ ‘
Das Schwergewicht in diesen geist-
vollen, begeistert vorgetragenen Aufsätzen
liegt demnach nicht, und sollte auch nicht
liegen, in den Nachweisen der Übernahme
antiker Motive. Es handelt sich für N. vor
allem darum, das Neue, Andere, Germani-
sche aufzuweisen.
Es ist verständlich, daß diese Schrift,
deutlich auf eine „Renaissance“ germani-
scher Werte zielend, aus ihrer besonderen
Situation in unserer Zeit zu pädagogischer
Bedeutung gelangte. Die Widmung deutet
bereits diese fast politische Tendenz an.
W. E. P.
736 NECKEL, GUSTAV, Das Klassische im
germanischen und hellenischen Altertum.
In: Neue Jbb. f. Wiss. u. Jugendbildung
9, '33. S. 42—55.
N., der das Problem schon vorher be-
handelt hat (Island und Hellas. In: Mittei-
lungen der Islandfreunde 9), zeigt an Bei-
spielen aus der nordischen Literatur und
Volkskunde, daß germanisches und helle-
nisches Altertum am Klassischen oder, wie
hier gewollt wird, Apollinischen gleich star-
ken Anteil haben. R. N.
737 SCHULZ, WALTHER, Archäologisches zur
Wodan- und Wanenverehrung. In: Wie-
ner prähist. Zs. 19, '32, S. 161—72.
Das Vordringen der Wodanverehrung
ist eine germanische Reaktion gegen die
dem Südosten verpflichtete, am klein-
asiatisch-hellenistischen Kulturkreis hän-
gende Wanenverehrung. Sch. versucht, am
Grabritus, nach dem Wodanverehrer ver-
brannt, Wanengläubige bestattet werden,
(Ynglingarsaga c. 9—10), beide Bezirke ab-
zugrenzen; Zentrum des Wanenkultes ist
Seeland-Upsala; in die kimbrische Land-
schaft dringt der Wodanskult im letzten
Jahrhundert vor oder den ersten Jahrhun-
derten nach Christi ein und überwältigt
die Wanenzeit, das goldene Zeitalter von
Frodis Frieden. Kühn, aber wohl annehm-
bar. W. E. P.
Die Ura-Linda-Chronik. Übers, u. m. e. 738
einf. geschichtl. Unters, hrsg. v. Her-
mann Wirth. Leipzig: Koehler u. Ame-
lang ’33. 321 S., 41 Bl.
Kürzende Übersetzung und Erläute-
rung einer 1867 in Holland auf getauchten
angeblichen Familienchronik, die bis „vor
die Sintflut“ zurückzugreifen vorgibt.
Die Fälschung ist für den Germanisten
und Volkskundler offensichtlich. Ich hebe
heraus: S. 63 „Vampir“, ein Wort und
Begriff (Blutsauger), den das 18. Jahrh.
den Slaven verdankt (Calmet); die west-
elbischen Länder kannten nur den „Nach-
zehrer“. Die Markenordnung (S. 24) ist
bekanntlich von Dopsch als Produkt
mittelalterlichen Wirtschaftslebens erwie-
sen worden. Die Rückfahrt der Indo-
Friesen wird von W. selbst als humanisti-
sche Interpolation angesehen; sie sei im
16./17. Jahrh. eingetragen worden. Da
sich aber im Nachlaß des Cornelius over
de Linden, aus dessen Händen 1867 die
Fälschung auftauchte, eine sonst unbe-
kannte Hs. der Chronik des Worp van
Thabor fand, die wörtlich dieselbe Ge-
schichte enthält, wird man den ungreif-
baren Humanisten kaum zu bemühen
brauchen. Over de Linden schrieb den
Abschnitt einfach aus dieser Humanisten-
chronik ab, — wie er anderes aus Volney
usw. abschrieb.
W. hat mit seiner Ura-Linda-Chronik
zu einer eingehenden Erörterung Anlaß
gegeben. Ich stelle diese Literatur zu-
sammen, ehe sie vergessen wird. Die
Erörterung begann mit dem Protest der
germanistischen Dozenten des Deutschen
Mittelalter
735 NAUMANN, HANS, Wandlung und Er-
füllung. Stuttgart: Metzler '33. 167 S.
N. legt eine Sammlung seiner „Reden
und Aufsätze zur germanisch-deutschen
Geistesgeschichte“ vor, in denen das Wer-
den bestimmter, von ihm vertretener An-
schauungen und ihr folgerichtiger Ausbau
sichtbar wird. Uns interessieren hier vor
allem die ersten vier Aufsätze.
Am „Reiter von Möjebro“, einem, römi-
schen Reiterbildern nachgeahmten, Grab-
steine im Norden, — an „Balders Tod“,
der einen vom Norden übernommenen
vorderasiatisch-hellenistischen Mythus in
sich beschließt, — an den Sagen Meleagros-
Nornagest und Daidalos-Wieland, zeigt N.
dreimal die Wandlung auf, die ein antikes
Gut in ein germanisches umschmolz. „Die
Wissenschaft darf sich nicht länger be-
gnügen mit der bloßen Aufzeigung der
fremden Quellen und Zusammenhänge.
Viel wichtiger ist die Aufzeigung der Wand-
lung, die sich nach den Gesetzen des ger-
manischen Denkens und des germanischen
Lebensstils mit j enen Einzelgütern vollzog. ‘ ‘
Das Schwergewicht in diesen geist-
vollen, begeistert vorgetragenen Aufsätzen
liegt demnach nicht, und sollte auch nicht
liegen, in den Nachweisen der Übernahme
antiker Motive. Es handelt sich für N. vor
allem darum, das Neue, Andere, Germani-
sche aufzuweisen.
Es ist verständlich, daß diese Schrift,
deutlich auf eine „Renaissance“ germani-
scher Werte zielend, aus ihrer besonderen
Situation in unserer Zeit zu pädagogischer
Bedeutung gelangte. Die Widmung deutet
bereits diese fast politische Tendenz an.
W. E. P.
736 NECKEL, GUSTAV, Das Klassische im
germanischen und hellenischen Altertum.
In: Neue Jbb. f. Wiss. u. Jugendbildung
9, '33. S. 42—55.
N., der das Problem schon vorher be-
handelt hat (Island und Hellas. In: Mittei-
lungen der Islandfreunde 9), zeigt an Bei-
spielen aus der nordischen Literatur und
Volkskunde, daß germanisches und helle-
nisches Altertum am Klassischen oder, wie
hier gewollt wird, Apollinischen gleich star-
ken Anteil haben. R. N.
737 SCHULZ, WALTHER, Archäologisches zur
Wodan- und Wanenverehrung. In: Wie-
ner prähist. Zs. 19, '32, S. 161—72.
Das Vordringen der Wodanverehrung
ist eine germanische Reaktion gegen die
dem Südosten verpflichtete, am klein-
asiatisch-hellenistischen Kulturkreis hän-
gende Wanenverehrung. Sch. versucht, am
Grabritus, nach dem Wodanverehrer ver-
brannt, Wanengläubige bestattet werden,
(Ynglingarsaga c. 9—10), beide Bezirke ab-
zugrenzen; Zentrum des Wanenkultes ist
Seeland-Upsala; in die kimbrische Land-
schaft dringt der Wodanskult im letzten
Jahrhundert vor oder den ersten Jahrhun-
derten nach Christi ein und überwältigt
die Wanenzeit, das goldene Zeitalter von
Frodis Frieden. Kühn, aber wohl annehm-
bar. W. E. P.
Die Ura-Linda-Chronik. Übers, u. m. e. 738
einf. geschichtl. Unters, hrsg. v. Her-
mann Wirth. Leipzig: Koehler u. Ame-
lang ’33. 321 S., 41 Bl.
Kürzende Übersetzung und Erläute-
rung einer 1867 in Holland auf getauchten
angeblichen Familienchronik, die bis „vor
die Sintflut“ zurückzugreifen vorgibt.
Die Fälschung ist für den Germanisten
und Volkskundler offensichtlich. Ich hebe
heraus: S. 63 „Vampir“, ein Wort und
Begriff (Blutsauger), den das 18. Jahrh.
den Slaven verdankt (Calmet); die west-
elbischen Länder kannten nur den „Nach-
zehrer“. Die Markenordnung (S. 24) ist
bekanntlich von Dopsch als Produkt
mittelalterlichen Wirtschaftslebens erwie-
sen worden. Die Rückfahrt der Indo-
Friesen wird von W. selbst als humanisti-
sche Interpolation angesehen; sie sei im
16./17. Jahrh. eingetragen worden. Da
sich aber im Nachlaß des Cornelius over
de Linden, aus dessen Händen 1867 die
Fälschung auftauchte, eine sonst unbe-
kannte Hs. der Chronik des Worp van
Thabor fand, die wörtlich dieselbe Ge-
schichte enthält, wird man den ungreif-
baren Humanisten kaum zu bemühen
brauchen. Over de Linden schrieb den
Abschnitt einfach aus dieser Humanisten-
chronik ab, — wie er anderes aus Volney
usw. abschrieb.
W. hat mit seiner Ura-Linda-Chronik
zu einer eingehenden Erörterung Anlaß
gegeben. Ich stelle diese Literatur zu-
sammen, ehe sie vergessen wird. Die
Erörterung begann mit dem Protest der
germanistischen Dozenten des Deutschen