Die industriellen Zusammenhänge
der preußischen West- und Ostprovinzen
im 18. und 19. Jahrhundert*)
Von Konrad Fuchs
I.
Die industriellen Zusammenhänge zwischen den preußischen West- und Ost-
provinzen im 18. und 19. Jahrhundert müssen unter dem Aspekt zweier völlig
verschiedener wirtschaftspolitischer Konzeptionen betrachtet werden: für das
18. Jahrhundert unter dem des Merkantilismus, für das 19. unter dem des Libe-
ralismus. Zudem ergeben die Dimensionen des brandenburg-preußischen Staates
im 18. Jahrhundert eine von denen des 19. Jahrhunderts sich unterscheidende
Ost-West-Gliederung. Vom Zentrum des Staatsgebildes Brandenburg-Preußen,
der Mark Brandenburg, her betrachtet, bilden im 18. Jahrhundert die west-
lich der Elbe gelegenen Gebiete dessen westlichen Teil, der ihm, von der Alt-
mark abgesehen, erst im 17. Jahrhundert zuwuchs, und zwar Kleve, Mark und
Ravensberg 1614 im Zusammenhang mit dem Jülisch-Clevischen Erbfolgestreit
sowie die Stifter Minden und Halberstadt, außerdem das Erzstift Magdeburg
durch den Westfälischen Friedensvertrag von 1648. Im 19. Jahrhundert hin-
gegen bilden die 1815 gewonnenen Provinzen Rheinland und Westfalen sowie
die aus den 1866 annektierten Gebieten gebildeten Provinzen Hannover und
Hessen-Nassau den Westen des preußischen Staates.
Mit den Grafschaften Mark und Ravensberg war Brandenburg-Prenßen ein
industriell bedeutsames Gebiet zugefallen: Ravensberg wegen der Tuchmanu-
fakturen, Mark wegen der Erzgewinnung und -verarbeitung. Bis zur endgül-
tigen Inbesitznahme Schlesiens im Jahre 1763 darf man sie den industriell be-
deutsamsten Teilen der Monarchie zurechnen, wiewohl auch die Mark Branden-
burg, insbesondere seit der Ansiedlung von Hugenotten im Zusammenhang
mit dem Edikt von Potsdam aus dem Jahre 1685, in wirtschaftspolitischer
Hinsicht sehr gewonnen hatte, hier vor allem Berlin ').
Unter dem Großen Kurfürsten hatte die preußische Wirtschaftspolitik die
merkantilistische Richtung eingeschlagen. Prinzipiell durchgeführt wurde dieses
System während der Regierungszeit Friedricli Wilhelms I., um schließlich durch
Friedrich II. völlig ausgebaut zu werden. Zweck und Ziel dieser Politik waren
zunächst Ausnutzung, dann aber auch Erweckung aller produktiven Kräfte, zu-
dem die Gründung eines eigenen, mächtigen Manufakturwesens. Doch hierin
erschöpften sich die von der merkantilistischen Auffassung her bestimmten
Initiativen nicht. Außerdem verbot man die Ausfuhr von Rohstoffen — noch
1787 wurde die Wollausfuhr mit der Todesstrafe bedroht —, wohingegen die
Rohwoll-Einfuhr unversteuert blieb, um dadurch der eigenen Industrie billiges
Material und niedrige Arbeitslöhne zu sichern. Ferner wurde der inländische
*) Der Aufsatz stellt die nur wenig erweiterte Fassung eines Vortrags dar, den der Verf. am
19. Okt. 1965 auf der von Prof. Dr. Ldw. Petry, Mainz, veranstalteten Tagung unter dem Motto
„Die geschichtlichen Wechselbeziehungen zwischen West- und Ostdeutschland als Aufgabe
von Forschung und Unterricht" in Bad Ems gehalten hat.
') Vgl. hierzu Martin PFANNSCHMIDT, Die Industrialisierung in Berlin und in der Mark Bran-
denburg, Stuttgart u. Berlin 1937, S. 6.
der preußischen West- und Ostprovinzen
im 18. und 19. Jahrhundert*)
Von Konrad Fuchs
I.
Die industriellen Zusammenhänge zwischen den preußischen West- und Ost-
provinzen im 18. und 19. Jahrhundert müssen unter dem Aspekt zweier völlig
verschiedener wirtschaftspolitischer Konzeptionen betrachtet werden: für das
18. Jahrhundert unter dem des Merkantilismus, für das 19. unter dem des Libe-
ralismus. Zudem ergeben die Dimensionen des brandenburg-preußischen Staates
im 18. Jahrhundert eine von denen des 19. Jahrhunderts sich unterscheidende
Ost-West-Gliederung. Vom Zentrum des Staatsgebildes Brandenburg-Preußen,
der Mark Brandenburg, her betrachtet, bilden im 18. Jahrhundert die west-
lich der Elbe gelegenen Gebiete dessen westlichen Teil, der ihm, von der Alt-
mark abgesehen, erst im 17. Jahrhundert zuwuchs, und zwar Kleve, Mark und
Ravensberg 1614 im Zusammenhang mit dem Jülisch-Clevischen Erbfolgestreit
sowie die Stifter Minden und Halberstadt, außerdem das Erzstift Magdeburg
durch den Westfälischen Friedensvertrag von 1648. Im 19. Jahrhundert hin-
gegen bilden die 1815 gewonnenen Provinzen Rheinland und Westfalen sowie
die aus den 1866 annektierten Gebieten gebildeten Provinzen Hannover und
Hessen-Nassau den Westen des preußischen Staates.
Mit den Grafschaften Mark und Ravensberg war Brandenburg-Prenßen ein
industriell bedeutsames Gebiet zugefallen: Ravensberg wegen der Tuchmanu-
fakturen, Mark wegen der Erzgewinnung und -verarbeitung. Bis zur endgül-
tigen Inbesitznahme Schlesiens im Jahre 1763 darf man sie den industriell be-
deutsamsten Teilen der Monarchie zurechnen, wiewohl auch die Mark Branden-
burg, insbesondere seit der Ansiedlung von Hugenotten im Zusammenhang
mit dem Edikt von Potsdam aus dem Jahre 1685, in wirtschaftspolitischer
Hinsicht sehr gewonnen hatte, hier vor allem Berlin ').
Unter dem Großen Kurfürsten hatte die preußische Wirtschaftspolitik die
merkantilistische Richtung eingeschlagen. Prinzipiell durchgeführt wurde dieses
System während der Regierungszeit Friedricli Wilhelms I., um schließlich durch
Friedrich II. völlig ausgebaut zu werden. Zweck und Ziel dieser Politik waren
zunächst Ausnutzung, dann aber auch Erweckung aller produktiven Kräfte, zu-
dem die Gründung eines eigenen, mächtigen Manufakturwesens. Doch hierin
erschöpften sich die von der merkantilistischen Auffassung her bestimmten
Initiativen nicht. Außerdem verbot man die Ausfuhr von Rohstoffen — noch
1787 wurde die Wollausfuhr mit der Todesstrafe bedroht —, wohingegen die
Rohwoll-Einfuhr unversteuert blieb, um dadurch der eigenen Industrie billiges
Material und niedrige Arbeitslöhne zu sichern. Ferner wurde der inländische
*) Der Aufsatz stellt die nur wenig erweiterte Fassung eines Vortrags dar, den der Verf. am
19. Okt. 1965 auf der von Prof. Dr. Ldw. Petry, Mainz, veranstalteten Tagung unter dem Motto
„Die geschichtlichen Wechselbeziehungen zwischen West- und Ostdeutschland als Aufgabe
von Forschung und Unterricht" in Bad Ems gehalten hat.
') Vgl. hierzu Martin PFANNSCHMIDT, Die Industrialisierung in Berlin und in der Mark Bran-
denburg, Stuttgart u. Berlin 1937, S. 6.