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Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung [Editor]
Nassauische Annalen: Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung — 77.1966

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Struck, Wolf-Heino: Das Streben nach bürgerlicher Freiheit und nationaler Einheit in der Sicht des Herzogtums Nassau
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https://doi.org/10.11588/diglit.70353#0172

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Das Streben nach bürgerlicher Freiheit
und nationaler Einheit
in der Sicht des Herzogtums Nassau
Ein Beitrag zur Beurteilung der Entscheidung von 1866
Von Wolf-Heino Struck

Seite

I. Das Zeitalter der Freiheitskriege und seine Nachwirkung.143
II. Unter dem Einfluß der französischen Julirevolution von 1830.159
III. Die Märzrevolution von 1848.170
IV. Auf dem Wege zur kleindeutschen Lösung Bismarcks von 1866.188

Der *) Philosoph Immanuel Kant definiert in seiner im Wintersemester
1772/73 zum ersten Male vorgetragenen, 1798 veröffentlichten „Anthropologie"
Nation als die Menge Menschen, die sich durch gemeinschaftliche Abstammung
für vereinigt zu einem bürgerlichen Wesen erkennt. Die volksmäßige Verbun-
denheit durch gemeinsame Abstammung, Sprache und Tradition allein macht
also die Nation nicht aus, sondern erst das freie Bekenntnis zu dem gemein-
samen Staat, wie es durch Rousseaus großartige Beredsamkeit im „Contrat
social" von 1762 erweckt, durch die französische Revolution verwirklicht
wurde. Das heißt, der Begriff des citoyen, der bürgerlichen Freiheit ist mit dem
Begriff des Nationalstaates, der nationalen Einheit seinem Ursprung nach un-
trennbar verbunden. Nur, wenn man die Freiheit als Voraussetzung, als Vor-
stufe der Einheit betrachtet, ist Goethes bekanntes Epigramm zu verstehen:
„Zur Nation Euch zu bilden, Ihr hofft es, Deutsche, vergebens. Bildet, Ihr
könnt es, dafür freier zu Menschen Euch aus."
Dieses Element des freien Menschentums, der freiwilligen, pflichtmäßigen
Einordnung in das große Ganze ist es zweifellos, was dem Begriff der Nation
als dem Selbstbestimmungsrecht der Völker eine so unwiderstehliche Kraft seit
1789 während des ganzen 19. Jahrhunderts gegeben hat und noch zu unserer
Zeit verleiht. Bürgerliche Freiheit und nationale Einheit stehen dabei aller-
dings in spannungsvoller Wechselwirkung. Der Nationalismus eines egoistischen
Machtdenkens hat oft genug den Lebensraum des Einzelnen nicht erweitert,
sondern eingeschränkt, ja zuweilen vernichtet. Umgekehrt kann die bürger-
liche Freiheit zu einer Versöhnung der nationalen Gegensätze beitragen. Dar-
aus ergibt sich ferner, daß beide Ideen auch vorübergehend als Alternative
auseinandertreten können. Wir erleben dies in der Diskussion um die Wieder-
vereinigung Deutschlands, wo die These verfochten wird, man solle statt der
Einheit nur die Freiheit für die Sowjetzone erstreben. Ebenso standen die
liberalen und demokratischen Politiker des deutschen Südwestens bis zur klein-
deutschen Lösung von 1870/71 vor der Entscheidung, ob sie erst die Einheit
der Nation unter Opferung freiheitlicher Forderungen oder erst die Freiheit

*) Der Aufsatz ist in verkürzter Form am 16. März 1966 im Verein für Nassauische Alter-
tumskunde und Geschichtsforschung vorgetragen worden. Es 1 schien berechtigt, das bisher im
Zusammenhang noch nicht dargestelke Thema ohne Beigabe von Anmerkungen zu behandeln,
da die Unterbauung, Erläuterung oder Einschränkung in Auseinandersetzung mit der umfang-
reichen, sich nicht selten überschneidenden Literatur über Einzelfragen den Umfang eines
lesbaren Aufsatzes überschritten hätte. Die neben Archivalien des Hessischen Hauptstaats-
archivs Wiesbaden benutzte hauptsächliche Literatur ist im Anhang S. 208 ff. nachgewiesen.
 
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