Fragen um die Mutter des Freiherrn vom Stein
Mit einer Verwandtschaftstafel
Von Alfred Hartlieb von Wallthor
Von den Personen, die im Leben des Freiherrn vom Stein eine Rolle spiel-
ten, ist stets der Mutter des Staatsmannes besondere Aufmerksamkeit geschenkt
worden. Freilich wurde sie meist als Mutter ihres großen Sohnes betrachtet,
obwohl sie, wie ihr Biograph in den „Nassauischen Lebensbildern" mit Recht
betont hat, kraft ihrer Persönlichkeit eigenen geschichtlichen Rang besitzt ').
Stein selber hat diese Betrachtungsweise dadurch gefördert, daß er bis ins hohe
Alter hinein der Verehrung und Dankbarkeit für sie Ausdruck gab. Das Bei-
spiel seiner „vortrefflichen Mutter und des verehrungswürdigen Staatsmini-
sters v. Heinitz", deren Leben eine Reihe von Anstrengungen und Aufopfe-
rungen war, sei ihm, so schrieb er i. J. 1826 seiner Tochter Henriette, beständig
vor Augen gewesen 2).
Henriette Caroline vom Stein war in der Tat eine außergewöhnliche Frau,
die auf ihre Zeitgenossen tiefen Eindruck machte, obwohl sie selbst nie eine
Rolle spielen wollte, sondern in der Sorge um die Familie und den Familien-
besitz aufging. In der Familie hatte sie allerdings auch die geistige Führung
inne und bestimmte die Atmosphäre des Elternhauses Steins. Johann Kaspar
Lavater, ein begeistert aufgenommener Gast in Nassau und dann für einige
Jahre in regem Briefwechsel mit der Herrin des Hauses, nannte sie in seinem
Tagebuch „eine kleine Königin", und Goethe, der im Sommer 1774 zusammen
mit Lavater im Steinschen Schlosse eingekehrt war, hielt in „Dichtung und
Wahrheit" die Erinnerung an die „höchst ehrwürdige Dame, die der allgemein-
sten Achtung genoß", fest 3). Herausgehoben war sie schon durch ihre stän-
disch-gesellschaftliche Stellung. Aus der angesehenen reichsritterlichen Familie
Langwerth v. Simmern stammend, die in Hattenheim, Eltville und Schierstein
im Rheingau angesessen war, und durch ihre Mutter mit dem schwäbischen
Adelsgeschlecht v. Gemmingen verwandt, das im kaiserlichen Militär, in der
Reichsritterschaft und in landesherrlichen Diensten einiger deutscher Terri-
torien wichtige Positionen innehatte, heiratete sie als junge Witwe i. J. 1746
ihren Vetter Karl Philipp vom Stein in Nassau, dessen Mutter eine Schwester
ihrer Mutter war. Audi er gehörte einer reichsritterlichen Familie an und ver-
trat als Ritterrat die Interessen der mittelrheinischen Reichsritterschaft, stand
aber als kurmainzischer Kammerherr und später sogar als kurmainzischer Ge-
heimer Rat zugleich in engen Beziehungen zum kurfürstlichen Hof in Mainz.
Die Verbindung zu Mainz hatte auch Carolines Elternhaus in Eltville aufrecht-
erhalten. Die Töchter wurden dort zu den Hoffestlichkeiten eingeladen, und
Carolines nächstältere Schwester heiratete, wie noch zu erläutern sein wird,
den kurmainzischen Oberamtmann von Königstein und späteren Hofmarschall
9 Albert SCHAEFER: Henriette Caroline Freifrau vom Stein geb. Langwerth v. Simmern. In:
Nassauische Lebensbilder Bd. 6, Wiesbaden 1961 S. 66—96. Wie mir Herr Prof. v. Raumer
mitteilt, beabsichtigt Herr Schaefer, sein Lebensbild der Mutter Steins in etwas erweiterter
Form neu herauszugeben.
2) Freiherr VOM STEIN: Briefwechsel, Denkschriften und Aufzeichnungen. Bearb. v. Erich Bot-
ZENHART. Bd. I—VII, Berlin 1931—37, VI S. 404 (im folgenden als „Alte Stein-Ausgabe" zitiert).
3) Die Belege dazu in der ausgezeichneten Dokumentation von Adolf BACH: Goethes Rhein-
reise mit Lavater und Basedow im Sommer 1774, Zürich 1923.
Mit einer Verwandtschaftstafel
Von Alfred Hartlieb von Wallthor
Von den Personen, die im Leben des Freiherrn vom Stein eine Rolle spiel-
ten, ist stets der Mutter des Staatsmannes besondere Aufmerksamkeit geschenkt
worden. Freilich wurde sie meist als Mutter ihres großen Sohnes betrachtet,
obwohl sie, wie ihr Biograph in den „Nassauischen Lebensbildern" mit Recht
betont hat, kraft ihrer Persönlichkeit eigenen geschichtlichen Rang besitzt ').
Stein selber hat diese Betrachtungsweise dadurch gefördert, daß er bis ins hohe
Alter hinein der Verehrung und Dankbarkeit für sie Ausdruck gab. Das Bei-
spiel seiner „vortrefflichen Mutter und des verehrungswürdigen Staatsmini-
sters v. Heinitz", deren Leben eine Reihe von Anstrengungen und Aufopfe-
rungen war, sei ihm, so schrieb er i. J. 1826 seiner Tochter Henriette, beständig
vor Augen gewesen 2).
Henriette Caroline vom Stein war in der Tat eine außergewöhnliche Frau,
die auf ihre Zeitgenossen tiefen Eindruck machte, obwohl sie selbst nie eine
Rolle spielen wollte, sondern in der Sorge um die Familie und den Familien-
besitz aufging. In der Familie hatte sie allerdings auch die geistige Führung
inne und bestimmte die Atmosphäre des Elternhauses Steins. Johann Kaspar
Lavater, ein begeistert aufgenommener Gast in Nassau und dann für einige
Jahre in regem Briefwechsel mit der Herrin des Hauses, nannte sie in seinem
Tagebuch „eine kleine Königin", und Goethe, der im Sommer 1774 zusammen
mit Lavater im Steinschen Schlosse eingekehrt war, hielt in „Dichtung und
Wahrheit" die Erinnerung an die „höchst ehrwürdige Dame, die der allgemein-
sten Achtung genoß", fest 3). Herausgehoben war sie schon durch ihre stän-
disch-gesellschaftliche Stellung. Aus der angesehenen reichsritterlichen Familie
Langwerth v. Simmern stammend, die in Hattenheim, Eltville und Schierstein
im Rheingau angesessen war, und durch ihre Mutter mit dem schwäbischen
Adelsgeschlecht v. Gemmingen verwandt, das im kaiserlichen Militär, in der
Reichsritterschaft und in landesherrlichen Diensten einiger deutscher Terri-
torien wichtige Positionen innehatte, heiratete sie als junge Witwe i. J. 1746
ihren Vetter Karl Philipp vom Stein in Nassau, dessen Mutter eine Schwester
ihrer Mutter war. Audi er gehörte einer reichsritterlichen Familie an und ver-
trat als Ritterrat die Interessen der mittelrheinischen Reichsritterschaft, stand
aber als kurmainzischer Kammerherr und später sogar als kurmainzischer Ge-
heimer Rat zugleich in engen Beziehungen zum kurfürstlichen Hof in Mainz.
Die Verbindung zu Mainz hatte auch Carolines Elternhaus in Eltville aufrecht-
erhalten. Die Töchter wurden dort zu den Hoffestlichkeiten eingeladen, und
Carolines nächstältere Schwester heiratete, wie noch zu erläutern sein wird,
den kurmainzischen Oberamtmann von Königstein und späteren Hofmarschall
9 Albert SCHAEFER: Henriette Caroline Freifrau vom Stein geb. Langwerth v. Simmern. In:
Nassauische Lebensbilder Bd. 6, Wiesbaden 1961 S. 66—96. Wie mir Herr Prof. v. Raumer
mitteilt, beabsichtigt Herr Schaefer, sein Lebensbild der Mutter Steins in etwas erweiterter
Form neu herauszugeben.
2) Freiherr VOM STEIN: Briefwechsel, Denkschriften und Aufzeichnungen. Bearb. v. Erich Bot-
ZENHART. Bd. I—VII, Berlin 1931—37, VI S. 404 (im folgenden als „Alte Stein-Ausgabe" zitiert).
3) Die Belege dazu in der ausgezeichneten Dokumentation von Adolf BACH: Goethes Rhein-
reise mit Lavater und Basedow im Sommer 1774, Zürich 1923.