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Siegel- und Wappenstudien
Diese Vermutung v. Broekhusens hält jedoch einer kritischen Nachprüfung nicht
stand. Der Balkenschild als Wappen des hl. Martin leitet sich nicht von dem Wappen
des Erzbistums Mainz ab, sondern umgekehrt hat das Erzbistum oder das Domkapitel
ihn übernommen, nachdem er bereits an anderer Stelle, von der Abtei St. Martin in
Tours, als Wappen des Heiligen angenommen war 9). Und nicht nur Mainz hat dieses
Wappen von dort übernommen, sondern auch eine Reihe anderer geistlicher Körper-
schaften, deren Patron der hl. Martin war, so das St. Martins-Stift in Worms ") und
vor allem das Bistum bzw. das Domkapitel Utrecht. In Utrecht finden wir ähnlicli wie
in Mainz seit dem 15. Jh. im Wappen des Domkapitels den weiß-roten Balkenschild.
Und hier war man sich aucli über die Bedeutung des Wappens völlig klar. Der
Utrechter Chronist A. van Buchell (Buchelius), der 1565—1641 lebte, schreibt darüber
in seinen „Monumenta in templis", in denen er die Kunstdenkmäler des Utrechter
Domes beschreibt "), man habe, um das Ansehen des hl. Martin zu heben, für ihn
die Abstammung aus dem Geschlecht der Könige von Ungarn erfunden und ihm als
Zeichen seiner Herkunft das ungarische Wappen zugeteilt 12). Diese Nachricht stammt
zwar erst aus dem 17. Jh., aber sie darf als durchaus glaubhaft und als Zeugnis einer
alten Tradition gelten.
Das Wappen des Utrechter Domkapitels besteht jedoch nicht nur aus diesem
Balkenschild. Das Wappen ist vielmehr quadriert. Die weiß-roten Balken erscheinen
im zweiten und dritten Feld. Im ersten und vierten Feld dagegen stehen auf rotem
Grund drei goldene Räder (Abb. 1). Eine merkwürdige Parallele zu Mainz, wo sich
ebenfalls nebeneinander der Balkenschild und das Rad finden!
Nach dem Zeugnis van Buchells waren auch die Räder ein Wappenbild des hl.
Martin "). Weshalb sie dem Heiligen zugeteilt wurden, vermag er allerdings nicht
zu sagen. Es fragt sich nun zunächst, ob es sich hier um eine Utrechter Sondertra-
dition handelt oder oh auch im Mainzer Raum das Rad als Wappen des hl. Martin
galt. Wir haben für die letztere Annahme sehr frühe und, wie mir scheint, einwand-
freie Beweise auf Mainzer Münzen. Bereits Braun VON Stumm hatte auf zwei Mün-
zen mit Rädern hingewiesen, in denen er den frühesten Nachweis für das Mainzer
Rad zu erkennen glaubte 1 ). Die eine, ein zwischen 1230 und 1249 in Amöneburg
beschlagener Pfennig mit der Umschrift: AMENEBO(rg), zeigt eine Burg und im
unteren Teil unter einem Doppelbogen zwei sechsspeichige Räder. Die andere, ein
Fritzlarer Brakteat ohne Umschrift aus der Zeit zwischen 1250 und 1260, trägt das
Bild eines Bischofs, der in jeder Hand ein sechsspeichiges Rad hält. Gerade diese
letztere Münze legte die Annahme nah, daß es sich um den Mainzer Erzbischof und
das Mainzer Rad handele. Nun gibt es jedoch zu beiden Münzen Gegenstücke aus
Erfurt, die durch ihre Umschrift eindeutig auf den hl. Martin hinweisen. Wir kennen
eine Münze aus der Zeit um 1290 mit einem Architekturbild und zwei sechsspeichigen
Rädern und der Umschrift: S(anctus) MARTINVS 15). Wir haben aus derselben Zeit
Erfurter Münzen mit dem Bild eines Bischofs, der zwei sechsspeichige Räder in den
Händen hält 16). Die Umschrift lautet ebenfalls: S(anctus) MARTINVS '). Teils hält
der Heilige auch nur in der einen Hand ein Rad, während er in der anderen ein an-
deres Attribut trägt, einen Krummstab, ein Kreuz, eine Fahne oder einen Palmzweig,
9) Das Wappen war nach frdl. Mittig, der Bibliotheque Municipale in Tours „fasce d'argent
et de gueules ä 7 pieces". In späterer Zeit finden sich als Umrahmung des Schildes zwei grüne
Palmzweige.
10) v. Brockhusen S. 278 Anm. 82.
") Gemeente-Archief Utrecht, Handschr. 593xx. Nach frdl. Mittig, des Rijksarchief und des
Gemeente-Archief Utrecht.
12) „Insignia hie D(ivo) Martino, nescio quo jure aut titulo, nisi quod eum e Pannoniis ori-
ginem trahere diceretur, a regum Hungariae stirpe non alienum existimaverunt, adscripta, ubi
inscitiam suam imprimis et incautam pietatem luculenter sane produnt fabulatores isti, qui
viri sancti autoritatem imminutam iri putarunt, nisi a regio genere ortum fingerent, tum illud
magis falso argumento comprobarent, additis insigniis, quae illo tempore plane ignota et ali-
quot demum post saeculis orta, verae historiae non ignaris satis superque liquet." van Buchell
fol. 5v. — In Siegeln findet sieli das ungarische Wappen seit 1222.
13) van Buchell spricht ausdrücklich von „insignia". Gemeint sind also beide Wappenbilder.
14) Braun von Stumm Abb. 29 u. 32.
-5) v. Posern-Klett Tf. VIII, 1 und S. 86.
16) Ebd. Tf. VII, 13 und S. 81 ff.
-') Die Erfurter Münzen mit dem Bild eines Erzbischofs tragen zu dieser Zeit in der Umschrift
stets dessen Namen. Vgl. die zahlreichen Beispiele bei V. Posern-Klett S. 64 ff.
Siegel- und Wappenstudien
Diese Vermutung v. Broekhusens hält jedoch einer kritischen Nachprüfung nicht
stand. Der Balkenschild als Wappen des hl. Martin leitet sich nicht von dem Wappen
des Erzbistums Mainz ab, sondern umgekehrt hat das Erzbistum oder das Domkapitel
ihn übernommen, nachdem er bereits an anderer Stelle, von der Abtei St. Martin in
Tours, als Wappen des Heiligen angenommen war 9). Und nicht nur Mainz hat dieses
Wappen von dort übernommen, sondern auch eine Reihe anderer geistlicher Körper-
schaften, deren Patron der hl. Martin war, so das St. Martins-Stift in Worms ") und
vor allem das Bistum bzw. das Domkapitel Utrecht. In Utrecht finden wir ähnlicli wie
in Mainz seit dem 15. Jh. im Wappen des Domkapitels den weiß-roten Balkenschild.
Und hier war man sich aucli über die Bedeutung des Wappens völlig klar. Der
Utrechter Chronist A. van Buchell (Buchelius), der 1565—1641 lebte, schreibt darüber
in seinen „Monumenta in templis", in denen er die Kunstdenkmäler des Utrechter
Domes beschreibt "), man habe, um das Ansehen des hl. Martin zu heben, für ihn
die Abstammung aus dem Geschlecht der Könige von Ungarn erfunden und ihm als
Zeichen seiner Herkunft das ungarische Wappen zugeteilt 12). Diese Nachricht stammt
zwar erst aus dem 17. Jh., aber sie darf als durchaus glaubhaft und als Zeugnis einer
alten Tradition gelten.
Das Wappen des Utrechter Domkapitels besteht jedoch nicht nur aus diesem
Balkenschild. Das Wappen ist vielmehr quadriert. Die weiß-roten Balken erscheinen
im zweiten und dritten Feld. Im ersten und vierten Feld dagegen stehen auf rotem
Grund drei goldene Räder (Abb. 1). Eine merkwürdige Parallele zu Mainz, wo sich
ebenfalls nebeneinander der Balkenschild und das Rad finden!
Nach dem Zeugnis van Buchells waren auch die Räder ein Wappenbild des hl.
Martin "). Weshalb sie dem Heiligen zugeteilt wurden, vermag er allerdings nicht
zu sagen. Es fragt sich nun zunächst, ob es sich hier um eine Utrechter Sondertra-
dition handelt oder oh auch im Mainzer Raum das Rad als Wappen des hl. Martin
galt. Wir haben für die letztere Annahme sehr frühe und, wie mir scheint, einwand-
freie Beweise auf Mainzer Münzen. Bereits Braun VON Stumm hatte auf zwei Mün-
zen mit Rädern hingewiesen, in denen er den frühesten Nachweis für das Mainzer
Rad zu erkennen glaubte 1 ). Die eine, ein zwischen 1230 und 1249 in Amöneburg
beschlagener Pfennig mit der Umschrift: AMENEBO(rg), zeigt eine Burg und im
unteren Teil unter einem Doppelbogen zwei sechsspeichige Räder. Die andere, ein
Fritzlarer Brakteat ohne Umschrift aus der Zeit zwischen 1250 und 1260, trägt das
Bild eines Bischofs, der in jeder Hand ein sechsspeichiges Rad hält. Gerade diese
letztere Münze legte die Annahme nah, daß es sich um den Mainzer Erzbischof und
das Mainzer Rad handele. Nun gibt es jedoch zu beiden Münzen Gegenstücke aus
Erfurt, die durch ihre Umschrift eindeutig auf den hl. Martin hinweisen. Wir kennen
eine Münze aus der Zeit um 1290 mit einem Architekturbild und zwei sechsspeichigen
Rädern und der Umschrift: S(anctus) MARTINVS 15). Wir haben aus derselben Zeit
Erfurter Münzen mit dem Bild eines Bischofs, der zwei sechsspeichige Räder in den
Händen hält 16). Die Umschrift lautet ebenfalls: S(anctus) MARTINVS '). Teils hält
der Heilige auch nur in der einen Hand ein Rad, während er in der anderen ein an-
deres Attribut trägt, einen Krummstab, ein Kreuz, eine Fahne oder einen Palmzweig,
9) Das Wappen war nach frdl. Mittig, der Bibliotheque Municipale in Tours „fasce d'argent
et de gueules ä 7 pieces". In späterer Zeit finden sich als Umrahmung des Schildes zwei grüne
Palmzweige.
10) v. Brockhusen S. 278 Anm. 82.
") Gemeente-Archief Utrecht, Handschr. 593xx. Nach frdl. Mittig, des Rijksarchief und des
Gemeente-Archief Utrecht.
12) „Insignia hie D(ivo) Martino, nescio quo jure aut titulo, nisi quod eum e Pannoniis ori-
ginem trahere diceretur, a regum Hungariae stirpe non alienum existimaverunt, adscripta, ubi
inscitiam suam imprimis et incautam pietatem luculenter sane produnt fabulatores isti, qui
viri sancti autoritatem imminutam iri putarunt, nisi a regio genere ortum fingerent, tum illud
magis falso argumento comprobarent, additis insigniis, quae illo tempore plane ignota et ali-
quot demum post saeculis orta, verae historiae non ignaris satis superque liquet." van Buchell
fol. 5v. — In Siegeln findet sieli das ungarische Wappen seit 1222.
13) van Buchell spricht ausdrücklich von „insignia". Gemeint sind also beide Wappenbilder.
14) Braun von Stumm Abb. 29 u. 32.
-5) v. Posern-Klett Tf. VIII, 1 und S. 86.
16) Ebd. Tf. VII, 13 und S. 81 ff.
-') Die Erfurter Münzen mit dem Bild eines Erzbischofs tragen zu dieser Zeit in der Umschrift
stets dessen Namen. Vgl. die zahlreichen Beispiele bei V. Posern-Klett S. 64 ff.