Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Österreichisches Archäologisches Institut [Editor]
Jahreshefte des Österreichischen Archäologischen Institutes in Wien — 17.1914

DOI issue:
Beiblatt
DOI article:
Weiss, Egon: Zu den Milesischen Inschriften aus dem Delphinion
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.33679#0343
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
259

Egon Weiss

200

durch Volksbeschluß dazu bestimmten Monat hundert
Stateren Gold einzahlen sollen^), den Rest aber, der
wegen des schwankenden Kurses zwischen Drachmen
und Goldstateren seiner Höhe nach vorläufig nicht zu
bestimmen ist^), spätestens bis zum 8. Artemision,
das ist dem letzten Monat des nach Koitoboulos be-
nannten Kalenderjahres, zu entrichten haben. Die
Beamten der Staatsbank haben die Eingänge für die
Stadt zu buchen (κποχκΰτστκνκ; Z. 16) und den Schatz-
meistern, die wohl nur gemeinschaftlich zur Empfang-
nahme berechtigt sind, auszubezahlen (έγγράφεστίκί εις

τούς των τκμίων λόγους Ζ. 1$)^). Dies entspricht
nur zum Teil der Ausdrucksweise der Papyri, wo sich
zwar gleichfalls δίκγρκφείν, (freilich in der Verbindung
διά της τοΰ δεΐνκ τρκπέζης, mit der Bedeutung einer
Zahlung schlechthin, wenngleich vorwiegend im Giro-
wege) findet^), auch der Ausdruck λόγος für „Konto",
namentlich staatliches Einnahmenkonto^), üblich ist,
hingegen als Schlagwort für Kassenverfügungen an die
Staatskassa ,,χρημκτίσον" verwendet wird^), während
das unserem (Z. 16) κποχκβτστκνκί verwandte xK&t-
στκνκί. im Sinne von Hinterlegen vorkommt 19).

Aus dem Dargelegten ergibt sich, daß es sich
um die Vornahme eines Rechtsgeschäftes zwischen
den sich dazu bereit findenden Bürgern und Bürge-
rinnen einerseits und der Stadt anderseits handelt,
dahingehend, daß einmalige Zahlung von 3600 Drach-
men den Anspruch auf eine lebenslängliche Rente
von 30 Drachmen monatlich^) und eines Sterbegeldes
von 130 Drachmen erwirbt. Dies ist im Sinne der
mittelalterlichen Rechtslehre ein census vitalicius per-
sonalis-^), oder eine Leibrente in der heutigen Aus-
drucksweise, wo durch Hingabe und Empfang eines
bestimmten Kapitals, das dem Verpflichteten ver-
bleibt, das Forderungsrecht auf bestimmte Renten-
zahlungen erworben wird 33), also der gleiche Ver-
sprechensinhalt wie bei der römischen Stipulation:
decem aureos annuos quoad vivam dare spondes
(J- 3; ip) 3)^3); freilich wird in unserer Urkunde
nicht jährliche, sondern monatliche Leistung aus-

*3) δί,κγρκφεο/ os τοΐς επί της δημοσίκς τρκπέζης
Ζ. 12; einige Bemerkungen über hellenische Banken
bei Belocb, Griechische Geschichte 2, 34.9—353;
insbesondere betreffs der Entgegennahme öffentlicher
Gelder, Francotte, Finances des citds grecques 139 ff-
ü) Wilamowitz a. a. O. 103, Anm. 2.
13) Wie die Herausgeber (S. 340) bemerken, ist
der Geschäftsgang bei der Eudemosstiftung ein an-
derer, Z. 10 Eudemos zahlt an die τκμίκη diese
liefern den Betrag τοΐς επί της δημοσίκς τρκπέζης
κίρουμένοίς ab, welche den Betrag zu verwahren
haben.
IC) Preisigke, Girowesen 186; Wilcken, O. Gr. 1,
189 ff.; Mitteis ZSS. St. 1898 S. 217. Das Einzahlen
eines Guthabens bei einer Bank heißt ΙΙεμκτίζείν,
P. Catt. Verso C0I.4, Z.28; Mitteis-Wilcken, Papyrus-
kunde 2, 2, 88.
11) Preisigke a. a. O. 159, Ibl, 188.

bedungen und betreffs der näheren Umstände auf
die Bestimmungen über Priester und die Sieger in
den Wettkämpfen verwiesen (Z. 20, 47).
Die Summe nun, um welche die Leibrente er-
worben wird, kann von jedem Bürger für sich selbst
oder für einen anderen erlegt werden. Z. 9 υπέρ
κυτών η υπέρ άλλων, und wie die Rentnerliste zeigt,
hat davon eine beträchtliche Anzahl von Bürgern
Gebrauch gemacht, von 59 Personen 26. Dies ist
der eigentlich juristisch erhebliche Punkt der Ur-
kunde, der auch, wie wahrscheinlich, bei der An-
wendung Schwierigkeiten bereitet. Denn auf ihn be-
zieht sich als authentische Auslegung der Volks-
beschluß II. Nach dessen Verfügung kommt das
σί,τηρέσων in allen diesen Fällen dem Einzahlenden
selber zu, solange er lebt. Erst mit seinem Tode
beginnt das Recht des anderen, mit dessen Ableben
die Verbindlichkeit der Stadt endgültig erlischt.

iS) Preisigke a. a. O. 203, Anm. 4; Oxyn IV
710 a, Z. 2; Mitteis-Wilcken a. a. Ο. I, 2, 436;
Hibeh 1, 67, Z. 29 Mitteis-Wilcken, 1, 2, 306.
19) P. Catt. Verso Col. 4, Z. 23; Mitteis-Wilcken
a. a. O. 2, 2, 88.
39) Jährlich also 360 Drachmen, demnach Ιθ9/ο,
nicht etwa 129^, wie Wilamowitz annimmt.
31) W. Endemann, Studien in der romanistisch-
kanonistischen Wirtscbaftslehre 2, 143 ff. Dort wird
auf S. 142 über eine Ansicht des Bartolus (1317 bis
1357) berichtet, wonach dieser für eine Aureus-Rente
den Preis des Zehnfachen für angemessen gehalten
habe; dies ist der Maßstab unserer Urkunde.
33) So F. Endemann, Lehrbuch des bürgerlichen
Rechtes 1184; vgl. auch Schuster von Bonnot,
Österreichisches Obligationenrecht 3 137.
33) Vgl. auch Pomp. D. 45, 1, 16, I, u. Mitteis,
RPR I, 193.
 
Annotationen