BAROCK UND STETIGE ABWANDLUNG WEICHEN STILES
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Dreizehnten geschehen, wo gleichsam die Tendenzen der noch ungeborenen späteren Schnitzer-
kunst im Rahmen der noch ungebrochenen Bauplastik einen wundervollen Ausgleich zwischen
,,Leben“ und Monumentalgesetz erreichten — ist bekannt und selbstverständlich. Nicht Zufall
ist es aber, daß gerade dann, wenn die allgemeine Situation (ob auch aus ganz anderen geistigen
Gegenden und Zwecken her) zur Tektonisierung und Graphisierung drängte, die Architektur
gleichsam diese schwache Stelle der darstellenden Künste ausnutzte. So geschah es im 14. Jahr-
hundert. So geschah es noch einmal um 1440. Es ist besonders gut in Würzburg -— aber nicht nur
da — zu beobachten, daß noch einmal ein Aufleuchten architektonischer Lust da ist. Es drängt
sich in die Krisis des weichen Stiles. Ornamentfreude und Naturferne befeuern sich gegenseitig.
Bauplastik ist an sich bedingte Plastik. Daß noch einmal die Bedingtheit durch Architektur
an die Stelle der Bedingtheit durch das Malerische treten kann, wird durch diese stetige Eigenschaft
aller Bauplastik gefördert. Dazu die augenblickliche Lage, die innere Ermüdung der Hütten-
plastik. Das Gefühl für das Kubische, wie es Konrad Witz verrät, werden wir auch in Kaschauers
Madonna sehr zu vermerken haben. Die Entscheidung über das Verhalten der Oberfläche aber
ist damit noch immer freigegeben. Sie wird von den Steinmetzen anders gefällt als von den
Schnitzern. Der zukunftsreichere Stil erwächst in der zukunftsreicheren Kunstart. Die sterbende
Hüttenkunst, bedingtheitsfreudig an sich, von der Übermacht des weichen Stiles durch dessen
eigene Zersetzung erlöst, greift nach Kristallisation und Erstarrung. Wo, wie in Halberstadt,
gefühlsreiche Meister eingreifen, entlehnt gerade die Kopfbildung dem verstarrenden Formgefühl
ausdrucksvolle Symbole für Entrücktheit. ,,Naturferne“ wird „Wirklichkeitsferne“ im posi-
tiven Sinne enthobener Geistigkeit, die sich in großartigen Masken versteinert. — Die Grabmal-
plastik aber nimmt, so scheint es, die Hüttenmeister besonders gerne auf. Und hier wirkt die
geheime Verbindung der manieristischen Gesinnung mit dem Todesgefühle unmittelbar durch
das Thema. Die verhärtete Form erlaubt, für den Ausdruck der Leiche knappe, sehr neue und
überraschende Wendungen zu erfinden: Kristallisation als Symbol für Tod. Das Epitaph Kaspar
Zellers in Straubing ist für die zweite Generation so wichtig, wie der Kastenmayr für die erste.
Aber der Kastenmayr ist noch „lebensnäher“ als der Zeller. Er stellt den Tod dar — einen
Lebensvorgang —, der Zeller das Nicht-Leben — eine neutrale Abstraktion. Der Kastenmayr ist
auch der großen Malerei näher, der Zeller — noch einmal — der abstrakten Ornamentik. Die ent-
scheidende Wendung liegt um 1440. Johann von Brunn in Würzburg und Pfalzgräfin Johanna
in Mosbach sind die stärksten Zeugen. Gegen 1450 wird die Bahn des Manierismus schmäler.
Kaspar Zeller ist übertreibende Konsequenz, aber schon vereinzeltere. Daneben wächst — auf
der gleichen Grundlage der Rücktektonisierung — ein größeres Gefühl für Blockbreite auf. Die
60er Jahre haben häufig wieder ein untersetzteres Proportionsgefühl. Im Altar von Scharen-
stetten, in der Landsberger Madonna, im Rothenburger Hochaltar nähern sich — wie wir finden
werden — den Formen der Steinmetzen die der Schnitzer. Wir wenden uns ihnen zu.
10. Die barocke und die stetige Abwandlung des weichen Stiles,
wesentlich in der Kunst der beweglichen Werke.
Die Möglichkeit, nicht durch manieristische Verstarrung, sondern durch barocke Bewegtheit
von der festen Melodik des weichen Stiles loszukommen, ist an wesentlichen Zügen der Freisinger
wie auch der Passauer Madonna gezeigt worden. Erst jetzt, beim Eintritt in die Welt der freieren
Werke und besonders der Schnitzerplastik, der jene entstammen, braucht betont zu werden, daß
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Dreizehnten geschehen, wo gleichsam die Tendenzen der noch ungeborenen späteren Schnitzer-
kunst im Rahmen der noch ungebrochenen Bauplastik einen wundervollen Ausgleich zwischen
,,Leben“ und Monumentalgesetz erreichten — ist bekannt und selbstverständlich. Nicht Zufall
ist es aber, daß gerade dann, wenn die allgemeine Situation (ob auch aus ganz anderen geistigen
Gegenden und Zwecken her) zur Tektonisierung und Graphisierung drängte, die Architektur
gleichsam diese schwache Stelle der darstellenden Künste ausnutzte. So geschah es im 14. Jahr-
hundert. So geschah es noch einmal um 1440. Es ist besonders gut in Würzburg -— aber nicht nur
da — zu beobachten, daß noch einmal ein Aufleuchten architektonischer Lust da ist. Es drängt
sich in die Krisis des weichen Stiles. Ornamentfreude und Naturferne befeuern sich gegenseitig.
Bauplastik ist an sich bedingte Plastik. Daß noch einmal die Bedingtheit durch Architektur
an die Stelle der Bedingtheit durch das Malerische treten kann, wird durch diese stetige Eigenschaft
aller Bauplastik gefördert. Dazu die augenblickliche Lage, die innere Ermüdung der Hütten-
plastik. Das Gefühl für das Kubische, wie es Konrad Witz verrät, werden wir auch in Kaschauers
Madonna sehr zu vermerken haben. Die Entscheidung über das Verhalten der Oberfläche aber
ist damit noch immer freigegeben. Sie wird von den Steinmetzen anders gefällt als von den
Schnitzern. Der zukunftsreichere Stil erwächst in der zukunftsreicheren Kunstart. Die sterbende
Hüttenkunst, bedingtheitsfreudig an sich, von der Übermacht des weichen Stiles durch dessen
eigene Zersetzung erlöst, greift nach Kristallisation und Erstarrung. Wo, wie in Halberstadt,
gefühlsreiche Meister eingreifen, entlehnt gerade die Kopfbildung dem verstarrenden Formgefühl
ausdrucksvolle Symbole für Entrücktheit. ,,Naturferne“ wird „Wirklichkeitsferne“ im posi-
tiven Sinne enthobener Geistigkeit, die sich in großartigen Masken versteinert. — Die Grabmal-
plastik aber nimmt, so scheint es, die Hüttenmeister besonders gerne auf. Und hier wirkt die
geheime Verbindung der manieristischen Gesinnung mit dem Todesgefühle unmittelbar durch
das Thema. Die verhärtete Form erlaubt, für den Ausdruck der Leiche knappe, sehr neue und
überraschende Wendungen zu erfinden: Kristallisation als Symbol für Tod. Das Epitaph Kaspar
Zellers in Straubing ist für die zweite Generation so wichtig, wie der Kastenmayr für die erste.
Aber der Kastenmayr ist noch „lebensnäher“ als der Zeller. Er stellt den Tod dar — einen
Lebensvorgang —, der Zeller das Nicht-Leben — eine neutrale Abstraktion. Der Kastenmayr ist
auch der großen Malerei näher, der Zeller — noch einmal — der abstrakten Ornamentik. Die ent-
scheidende Wendung liegt um 1440. Johann von Brunn in Würzburg und Pfalzgräfin Johanna
in Mosbach sind die stärksten Zeugen. Gegen 1450 wird die Bahn des Manierismus schmäler.
Kaspar Zeller ist übertreibende Konsequenz, aber schon vereinzeltere. Daneben wächst — auf
der gleichen Grundlage der Rücktektonisierung — ein größeres Gefühl für Blockbreite auf. Die
60er Jahre haben häufig wieder ein untersetzteres Proportionsgefühl. Im Altar von Scharen-
stetten, in der Landsberger Madonna, im Rothenburger Hochaltar nähern sich — wie wir finden
werden — den Formen der Steinmetzen die der Schnitzer. Wir wenden uns ihnen zu.
10. Die barocke und die stetige Abwandlung des weichen Stiles,
wesentlich in der Kunst der beweglichen Werke.
Die Möglichkeit, nicht durch manieristische Verstarrung, sondern durch barocke Bewegtheit
von der festen Melodik des weichen Stiles loszukommen, ist an wesentlichen Zügen der Freisinger
wie auch der Passauer Madonna gezeigt worden. Erst jetzt, beim Eintritt in die Welt der freieren
Werke und besonders der Schnitzerplastik, der jene entstammen, braucht betont zu werden, daß