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ABWANDLUNGEN DES WEICHEN STILES IM SÜDOSTEN
257. Madonna von Großgmain.
diese barocke Steigerung zuweilen in sehr sanften Formen
vor sich gehen kann; man kann in weitgehenden Fällen
dann von einer stetigen Abwandlung sprechen. Sie ist der
barocken noch immer in Einigem verwandt und wirkt
manchmal nur wie ihre sanfteste Form. Sie ist jedenfalls mit
ihr gemeinsam der manieristischen entgegengestellt. Auch
sie widersetzt sich scharfer Verhärtung, auch sie ist wesent-
lich (aber auch sie gewiß nicht ausnahmslos) in der zukunfts-
reicheren Welt der zünftlerischen Werkstätte zu Hause.
Das Ideal annähernder Vollständigkeit wenigstens der
Aufzählung darf bei der Betrachtung dieses formenge-
schichtlichen Gebietes übrigens schon etwas mehr zurück-
treten. Je weiter die Darstellung fortschreitet, um so
dringender wird die Beschränkung auf wesentlichste Werke.
Ganz wird sie freilich erst möglich sein, sobald die bekann-
teren Gebiete erreicht sind, also vom IV. Hauptkapitel an.
a) Der Südosten.
Kaschauers Madonna für Freising und die Madonna
von S. Severin zu Passau genügten schon, auf die Be-
deutung des Südostens aufmerksam zu machen. (Vgl. II.
Teil, S. 250 und 255.) Aber sie genügen bei weitem nicht,
die Fülle der Nuancen gerade in dieser deutschen Kunst-
provinz auch nur anzudeuten. Eine besonders wichtige
Rolle fällt hier — so wie sonst vielleicht nur noch in
Schwaben — der Madonna überhaupt zu. Der Typus der
„Schönen“ war hier am großartigsten und feinsten ausge-
bildet worden. (Vgl. I. Teil, S. 167ff.)
Wie richtig es war, seine köstlichsten Schöpfungen dem Osten, wo sie überliefert sind, auch als geistige
Leistung zuzuschreiben, ist inzwischen übrigens durch einen wichtigen Fund Franz Kieslingers noch einmal be-
stätigt worden. In den „Mitteil. d. Vereins f. Geschichte d. St. Wien“, 1925, hat K. eine Wiener Miniatur aus der
vom Kloster Reun dem Herzog Ernst gewidmeten Handschrift abgebildet, die der Breslauer Kalksteinmadonna
in der unverkennbarsten Weise gleicht. Ob K-s Versuch, die schöpferische Bedeutung Wiens deutlicher zu machen,
Erfolg haben mag oder nicht — das Südöstliche, das „Österreichische“ des ganzen Typus ist zweifellos aufs neue
bewiesen.
Die große plastische Fülle und Weichheit aber gerade der östlichen Schönen mußte einem
veränderten Wollen die beste Gelegenheit geben: diese Fülle und Weichheit entweder in einer
neuen Unruhe aufzulockern oder in einer neuen Ruhe zusammenzuschließen, sie tektonischer zu
machen, ohne sie allzuweit manieristischer Schärfung und Verstarrung auszuliefern, der das Ideal
der Himmelskönigin ja auch ziemlich deutlich entgegenstand. Wieder aber muß man sich zu-
nächst der Gleichzeitigkeit verschiedener Generationen in jedem geschichtlichen Augenblicke
bewußt werden. Als Arbeitshypothese zum mindesten ist sie vorzüglich, als die logisch am ersten
einleuchtende Begründung für das späte Vorkommen sehr sanfter, oft schwer entdeckbarer Ab-
wandlungen des Alten neben und selbst nach den kühnsten.
Die Madonna von Großgmain (Ö. K. Topogr. XI, Fig. 119, unsere Abb. 257), heute in einen Altar von 1739
eingebaut, trägt das Datum 1453. Zehn Jahre nach Kaschauers Werk entstanden, scheint sie auf den ersten Blick
ABWANDLUNGEN DES WEICHEN STILES IM SÜDOSTEN
257. Madonna von Großgmain.
diese barocke Steigerung zuweilen in sehr sanften Formen
vor sich gehen kann; man kann in weitgehenden Fällen
dann von einer stetigen Abwandlung sprechen. Sie ist der
barocken noch immer in Einigem verwandt und wirkt
manchmal nur wie ihre sanfteste Form. Sie ist jedenfalls mit
ihr gemeinsam der manieristischen entgegengestellt. Auch
sie widersetzt sich scharfer Verhärtung, auch sie ist wesent-
lich (aber auch sie gewiß nicht ausnahmslos) in der zukunfts-
reicheren Welt der zünftlerischen Werkstätte zu Hause.
Das Ideal annähernder Vollständigkeit wenigstens der
Aufzählung darf bei der Betrachtung dieses formenge-
schichtlichen Gebietes übrigens schon etwas mehr zurück-
treten. Je weiter die Darstellung fortschreitet, um so
dringender wird die Beschränkung auf wesentlichste Werke.
Ganz wird sie freilich erst möglich sein, sobald die bekann-
teren Gebiete erreicht sind, also vom IV. Hauptkapitel an.
a) Der Südosten.
Kaschauers Madonna für Freising und die Madonna
von S. Severin zu Passau genügten schon, auf die Be-
deutung des Südostens aufmerksam zu machen. (Vgl. II.
Teil, S. 250 und 255.) Aber sie genügen bei weitem nicht,
die Fülle der Nuancen gerade in dieser deutschen Kunst-
provinz auch nur anzudeuten. Eine besonders wichtige
Rolle fällt hier — so wie sonst vielleicht nur noch in
Schwaben — der Madonna überhaupt zu. Der Typus der
„Schönen“ war hier am großartigsten und feinsten ausge-
bildet worden. (Vgl. I. Teil, S. 167ff.)
Wie richtig es war, seine köstlichsten Schöpfungen dem Osten, wo sie überliefert sind, auch als geistige
Leistung zuzuschreiben, ist inzwischen übrigens durch einen wichtigen Fund Franz Kieslingers noch einmal be-
stätigt worden. In den „Mitteil. d. Vereins f. Geschichte d. St. Wien“, 1925, hat K. eine Wiener Miniatur aus der
vom Kloster Reun dem Herzog Ernst gewidmeten Handschrift abgebildet, die der Breslauer Kalksteinmadonna
in der unverkennbarsten Weise gleicht. Ob K-s Versuch, die schöpferische Bedeutung Wiens deutlicher zu machen,
Erfolg haben mag oder nicht — das Südöstliche, das „Österreichische“ des ganzen Typus ist zweifellos aufs neue
bewiesen.
Die große plastische Fülle und Weichheit aber gerade der östlichen Schönen mußte einem
veränderten Wollen die beste Gelegenheit geben: diese Fülle und Weichheit entweder in einer
neuen Unruhe aufzulockern oder in einer neuen Ruhe zusammenzuschließen, sie tektonischer zu
machen, ohne sie allzuweit manieristischer Schärfung und Verstarrung auszuliefern, der das Ideal
der Himmelskönigin ja auch ziemlich deutlich entgegenstand. Wieder aber muß man sich zu-
nächst der Gleichzeitigkeit verschiedener Generationen in jedem geschichtlichen Augenblicke
bewußt werden. Als Arbeitshypothese zum mindesten ist sie vorzüglich, als die logisch am ersten
einleuchtende Begründung für das späte Vorkommen sehr sanfter, oft schwer entdeckbarer Ab-
wandlungen des Alten neben und selbst nach den kühnsten.
Die Madonna von Großgmain (Ö. K. Topogr. XI, Fig. 119, unsere Abb. 257), heute in einen Altar von 1739
eingebaut, trägt das Datum 1453. Zehn Jahre nach Kaschauers Werk entstanden, scheint sie auf den ersten Blick