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Pinder, Wilhelm
Die deutsche Plastik: vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Renaissance (Band [2] (Pind,2,2)): Die deutsche Plastik der Hochrenaissance — Wildpark-Potsdam: Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion, 1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.55160#0280
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SCHLUSSWORT

Schlußwort.
„Eine großartige Handlung des menschlichen Geistes, voller Spannungen, voller ver-
bissener Mühen und heldenhafter Siege mit dem Ausgange eines Trauerspieles.“ So hatten
wir (I. Teil S. 2) den Gesamtvorgang in der Entfaltung der altdeutschen Plastik genannt. Der
Rückblick wird bestätigend wirken. In keinem Lande erfolgt eine so ungeheuer reiche Zu-
sammenfassung aller künstlerischen Kräfte so unmittelbar zugleich als Ende. Nur in Italien
ist die Zusammenfassung ebenbürtig; aber da erfolgt nur eine leise Senkung, nicht ein „Ende“.
Noch einmal: es ist nicht das Ende deutscher Qualität, schon garnicht, wenn man im Großen
sieht und über die Grenzen der bildenden Kunst hinaus, aber auch nicht einmal, wenn man
innerhalb ihrer sich umschaut. Die Erforschung des deutschen Barocks insbesondere offenbart
in fast täglich neuen Entdeckungen, wieviel starke deutsche Phantasie auch in den Formen
des Sichtbaren bei günstigen Umständen noch immer hervortreten konnte. Der Barock ist
sogar von einer unleugbaren Verwandtschaft mit den Endformen altdeutscher Kunst. Ja,
auch das spätere 16. Jahrhundert, die unmittelbare Folgezeit der großen Krisis, ist nicht völlig
kunstarm, auch nicht ausschließlich abhängig von Fremdem. Die gesamte Sinnenkultur des
Volkes scheint in mancher Beziehung zunächst noch gewachsen zu sein. Noch Montaigne hatte
von der deutschen Lebensgestaltung gegenüber der französischen eher den Eindruck der Über-
legenheit — und zwar bis hinein in die Fragen derTafelsitten und des kulinarischen Geschmackes,
auf die er, alsauf ein unwillkürlichstes Zeugnis allgemeiner Sinnenkultur, mit Recht großen Wert
legte. Es sieht noch im späten 16. Jahrhundert von weitem so aus, als sei jener alte Zustand
ungebrochen, den im 15tenAeneasSylvius bewundert hatte: glanzvolle Städte, kraftvolle Menschen
in reicher Pracht, ein starker Ausdruck der nationalen Kultur in der Welt des Auges. Aber das
war ein Nachschimmern im Äußerlichen, vielleicht schon Veräußerlichung. Das für uns hier
Entscheidende: die Herrschaft der bildenden Kunst, das drängende Bedürfnis, innerste An-
liegen gerade ihr vor jeder anderen zu übertragen, war gebrochen, früher und energischer als
irgendwo sonst. Natürlich sind wir in der Lage, auch in der Zwischenperiode zwischen altdeutscher
Kunst und Kunst um 1600 Entdeckungen zu machen. Man weiß schon jetzt, daß die alten
Schnitzertraditionen unter der Decke weiterlebten. Es gibt u. a. im Münchener National-Museum
einen Raum, der das gut illustriert. Im 18. Jahrhundert dann werden die Altersgenossen Georg
Raphael Donner und Egid Quirin Asam sehr charakteristische Gegensätze vertreten: Donner
die europäisch genährte Metallplastik, die über die Hubert-Gerhart-Periode mit Jean de Boulogne
und Italien zusammenhängt — Asam die alte deutsche Schnitzerkunst unter den neuen Bedin-
gungen einer extrem malerisch-musikalischen Gesamtkultur; Donner zugleich (und das ist immer
bezeichnend) eine überwiegend jenseits des Religiösen lebende, formalistische und eben darum
isoliert lebensfähige Plastik ■— Asam eine wesentlich religiöse und nur im Gesamtkunstwerke
lebensfähige. Das sind die wieder aufgenommenen Endlinien altdeutscher Kunst (immer wieder
gesagt: unter sehr verwandelten Allgemeinbedingungen). In Donner wird die Richtung Daucher,
Hering, Vischer, Meit, Schwarz wiederkehren, in Asam die Kunst der Backoffen, Leinberger,
H. L., Dreyer, Berg. Alles richtig — und doch ist die Wettbewerbslosigkeit der sichtbaren Form
seit der Zeit um 1530—40 niemals wiedergekehrt. Zuletzt hat das deutsche Volk den Anliegen
des Unsichtbaren (in jedem Sinne) stärker und früher als irgendein anderes seine einst so unver-
gleichliche Kultur des Auges und schließlich sein äußeres Glück, seinen äußeren Reichtum ge-
opfert. Der 30jährige Krieg ist nur Symptom, relativ spätes Symptom, nicht Begründung
dieses Vorganges. Erst aus dieser Periode aber stammt die Vorstellung einer grundsätzlichen
 
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