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Pinder, Wilhelm
Die deutsche Plastik: vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Renaissance (Band [2] (Pind,2,2)): Die deutsche Plastik der Hochrenaissance — Wildpark-Potsdam: Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion, 1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.55160#0204
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DIE KUNST UM 1500 (DEUTSCHE FRÜHKLASSIK)

— und wohl ein Landsmann Riemenschneiders! Ein Altar mit der Schutzmantelmadonna und ein Marienaltar
gehen auf ihn zurück, beide im genannten Hospitale. — Wesentlich spätgotisch ist der 1512 datierte Hoch-
altar der Maria-Magdalenenkirche zu Prenzlau. Sehr unruhige Spätgotik, mit starken Nachklängen der 80er Jahre
in dem Sippenaltar (mit Wurzel Jesse), der als Seitenaltar in der Marienkirche zu Anklam steht. (Schmitt,
Mittelpommern, 57.) Ein Szenenaltar im Sinne niederrheinisch-niederländischer Art (die jedoch alte Vorgänger
im frühen 15. Jahrhundert in gleicher Gegend hat), der Hochaltar von St. Nikolai-Anklam (ebenda, 59). Nach-
klingende Spätgotik in der „Schliefenkrone“, einem prächtigen Kronleuchter, von der Familie Schliefen 1523
gestiftet, Dom zu Kolberg. (Schmitt, Ostpommern, 36, 37.) — Der im Jahre 1511 einem Meister Michael dem Maler
(„von Augsburg“) verdungene Hochaltar der Danziger Marienkirche, sehr figurenreich, mit Verherrlichung Marias,
könnte allenfalls an schwäbische Werke des Schaffnerkreises (Wettenhausen) erinnern, ist aber doch wohl, wie
Abramowski richtig feststellte, nordostdeutsche Arbeit. Die Reliefs nach Dürers Marienleben beweisen noch keine
süddeutsche Herkunft (s. u. a. bei Hans Brüggemann), nur allenfalls die beginnende engere Verbindung auch des
„baltischen“ Kreises deutscher Kunst mit dem südlichen Vaterlande. Der Schrein mehr prächtig als bedeutend,
und jedenfalls wesentlich spätgotisch.
14. Die Kunst um 1500 (Deutsche Frühklassik).
Wir wollen unter ihr die selbsttätige, von Italien nicht oder nur in Unwesentlichem beein-
flußte Verwandlung der Spätgotik nach den Idealen der Überschaubarkeit, der plastischen Deh-
nung, der individualisierten Figur (mit einem eignen „Selbstgefühl“), der innerlichen Motiviert-
heit der Bewegungen verstehen. Das Ziel ist die Loslösung der Gestalt aus der Durchdringung
mit dem Ornamente, die Statuarik und Monumentalität. Es ist erkennbar, wenn es auch oft
nur fragmentarisch aufleuchtet. Bei Manchem, zumal Einzelfiguren, ist es mit jäher Kraft durch-
gebrochen. Der Vorgang entspricht dem Sinne nach, wenn auch mit weniger breiter und klarer
Wirkung, der „klassischen Kunst“ Italiens, gerade dadurch, daß er nicht von ihr abhängt, daß er
ein gesteigertes nationales Selbstbewußtsein verrät. Seine Träger finden wir überwiegend schon
in der Generation von 1455—60. Wir kennen diese Generation auch in Italien. Sie steht hier
wie dort im Zwielicht. Sie ist auch dort die letzte, die noch Spätgotiker hervorbrachte, auch
dort aber die erste, die in Ausnahmen auf die klassische Kunst verwies. Die gewaltigste Ausnahme
ist Lionardo, er reicht aber über die Klassik, die er begründet und vorweg nimmt, noch weit
hinaus; er trägt, mehr als Michelangelo und der späte Raffael, schon den stärksten Hochbarock
in sich, und vieles an ihm wird erst von Rubens und Rembrandt erfüllt. Nicht ganz unmöglich
scheint eSj daß auch die stärkste Sondererscheinung der deutschen Kunst, auch ihre größte Vor-
verkündigung des Siebenzehnten, Grünewald, gleich Lionardo zu dieser Generation gehört. War
er wirklich identisch mit M. G. Nithart, so war er 1458 geboren (was ja zugleich seine noch voll-
kommen ungebrochene religiöse Erschütterungsfähigkeit gut erklären könnte!). Neben Lionardo
steht, als Jüngerer sogar, Filippino in diesem merkwürdigen Geschlechte — für Italien so reiner
Spätgotiker wie der Altersgenosse Riemenschneider bei uns; daneben aber Signorelli. Und etwa
die Rolle Signorellis fällt gleichaltrigen Meistern wie Vischer d. Ä. und Adam Krafft zu. Höch-
stens, daß die Kraft, mit der sie innerhalb des Spätgotischen das Neue suchten, entwicklungs-
geschichtlich gewaltiger war. Sie sind, nach Neudörfer, zusammen aufgewachsen. Ihr Weg zeigt
einige Parallelen. Der Adam Kraffts war der kürzere — er starb schon 1509. Krafft beginnt
als Spätgotiker und läßt einiges vollkommen Neue aufleuchten. Und er ist, wie Vischer, Spezialist
eines Materials. Wir kennen nur Steinarbeiten von ihm, wie von Vischer nur Metallwerke. Die
technische Vielseitigkeit Stoßens fehlt Beiden, beiden aber auch Stoßens flackernde Nervosität
und fieberische Unruhe.
Krafft (gute Monographie von Dorothea Stern) wird uns sichtbar mit dem Schreyerschen Epitaph an St.
Sebald (1490/91). Es ist ein übersetztes Gemälde — wie einst die Grablegung von St.Aegidien (Bd. I, S. 270).
 
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