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Pinder, Wilhelm
Die deutsche Plastik: vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Renaissance (Band [2] (Pind,2,2)): Die deutsche Plastik der Hochrenaissance — Wildpark-Potsdam: Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion, 1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.55160#0205
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ADAM KRAFFT

429

Es hatte auch ein Gemälde zu vertreten, das früher
an gleicher Stelle war. Es ist aber wie ein Kasten
gebildet, auch die Schmalwände tragen Reliefs,
jedoch nicht für die Vorderansicht, sondern wie
halb eingeklappte Flügel. Es ist eine echt spät-
gotisch dienende Reliefplastik, sie steht unter
der Wirkung der Graphik (Schongauers), dahinter
der Malerei (zuletzt Rogiers!). Wenn überhaupt
bei Krafft, so könnte man hier, zumal im linken
Flügel mit der Kreuztragung, an stoßische Art
sich erinnert fühlen; da gibt es noch spitzige und
überhitzte Formen. In der Grablegung, dem lin-
ken Teile der Hauptwand, großlinige Kantilene.
In den von Golgatha heimkehrenden Männern ist
der kommende Krafft schon zu spüren: eine breite,
großartig untersetzte Plastizität, eine bieder klare
Hineinsühlung in männliche Realität. Es ist nicht
die ausgezehrte Feinfühligkeit Riemenschneiders,
nicht die wilde Dämonie Stoßens; es ist eine be-
ruhigte lebenbejahende Männlichkeit — sie ist
überall die Voraussetzung für die neue Kunst um
1500. Die edle und demütige Bürgerlichkeit, die
am Sakramentshause von St. Lorenz aus den knie-
enden Tragfiguren des Künstlers und der beiden
Obergesellen schon lange vernommen wurde, ge-
hört zu den gleichen Zügen. Von 1493/96 ist das
Ganze, Stiftung des Hans Imhoff, ausgeführt. Es
setzt zunächst die malerischen Tendenzen fort, und
zwar auch hier wieder unter Verzicht auf Ein-
bildigkeit: nicht nur der Gesamtaufbau bis zur
umgerollten Spitze ist typisch späte Gotik, d. h.
Sprießung, nicht Schichtung — auch die Abfolge


404. Adam Krafft, Rückkehr v. Golgatha am Schreyergrabmal.
(Nach Bier.)

der zahlreichen Szenen kann vom Auge nur mühsam geleistet werden, ja sie wird eigentlich erst durch die Photo-
graphie dem Heutigen zugänglich. Damals genügte es, das Vorhandensein zu wissen, und den unsäglichen Reichtum
der (im Hauptgeschoß) unter geweihförmig verschlungenen Flechtbögen eingeborgenen Figurengruppen mit dem
Auge zu ahnen. Eine ins Riesenhafte vergrößerte Monstranz! Der Blick umfing sie mit dem gleichen zärtlichen
Sinne für den Reichtum der Detaillierung wie ein Ziergefäß, auch ohne sie jemals in einheitlichem Felde umfassen
zu können. Die Tendenz der neuen Kunst ist dagegen die Überschaubarkeit — ein reinerer optischer Standpunkt.
Die Menschen der spätgotischen Kultur bejahten Kraffts tatsächlich wunderhafte Leistung begeistert. Eobanus
Hessus sang sein Lobgedicht darauf; wäre der Humanismus wirklich mit den tragenden Kräften der neuen

Kunst verwachsen gewesen, das Lob wäre nicht gesungen. Aber die Züge des deutschen Humanismus selbst
sind eher spätgotisch und dann manieristisch. Sie sind gerade dem innerlich abhold, was der übliche Begriff
der „Renaissance“ fordert. Krafft selbst aber fand sich zur neuen Richtung durch, vermöge einer genialen In-
tuition. Das Relief über der Türe der alten Stadtwage zu Nürnberg, 1497 datiert, ist gleich eines ihrer stärksten
Zeugnisse: Bildmäßige (nicht: allgemein „malerisch“ = vage) Überschaubarkeit, reines Verhältnis der Figuren
zu neutralem Reliefgrund, also Klarheit von Grund und „Muster“, symmetrische Komposition (durch die der
Wiegevorgang in seinen feinen Nüancen erst fühlbar wird). Und — was besonders wichtig ist — eine fast gänzlich
aus den Motiven gewonnene Bewegung untersetzt kräftiger Körper. Dies alles an diesem Zeitpunkte ist erstaunlich.
Wie anders ist dies Alles noch in Stoßens Volkamerschen Reliefs (1499)! Das Relief der Wage ist nicht mehr
späte Gotik. Die Durchdringung von Ornament und Gestalt — der Sinn alles Spätgotischen — ist gelöst, der
Kampf gegen diese Durchdringung, der Dürers lange unruhig schwankender Kampf werden sollte, ein Jahr vor
der Apokalypse schon einmal siegreich durchgeführt. Es ist fast genau die Zeit von Lionardos Abendmahl, von
Fra Bartolommeos Jüngstem Gericht aus St. Maria Nuova — und Hans Seyffers Heilbronner Altar. Mutatis
mutandis darf hier der Parallelismus der Erscheinungen gesehen werden. Auch das Relief von Josua und Kaleb
 
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