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Pinder, Wilhelm
Die deutsche Plastik: vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Renaissance (Band [2] (Pind,2,2)): Die deutsche Plastik der Hochrenaissance — Wildpark-Potsdam: Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion, 1929

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.55160#0233
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DEUTSCHER FRÜHBAROCK

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barocks“, die aus der erzwun-
genen Kürze den Vorteil der Klar-
heit ziehen möge.
b) Der Frühbarock.
Die Kunst um 1500, die
deutsche Frühklassik, ist voraus-
gesetzt. Es handelt sich nicht um
die Formenwelt etwa des Veit
Stoß, die überwiegend (auch dies
sei zugestanden: nur überwiegend
und nicht völlig ausnahmslos) un-
mittelbare Selbstverwandlung rei-
ner Spätgotik ist. Der Unter-
schied dieses zweiten spätgotischen
Barocks gegen den ersten der 80 er
Jahre (mit manieristischem Ein-
schläge), schon früher betont, wird
nun noch klarer zu verstehen sein.
In den 80erJahren ist noch nicht
da, was jetzt, vorwiegend in und
seit dem zweiten Jahrzehnt des
16. Jahrhunderts, Basis und Vor-
aussetzung ist: der feste, unan-
tastbare Kern einer zuständlichen
Körperlichkeit. Man vergleiche die
Schwebeengel auf Backoffens Gem-
mingendenkmal im Mainzer Dome
(1515—17) mit jenen des Rothen-


434. Hans Backoffen. Vom Gemmingen-Grabmal, Mainz.
(Nach P. Kautzsch, H. Backoffen.)

burger Altares (wohl Ende der 1480er Jahre). Nicht, daß die Mainzer Putten ,,welsche Kindlein“
sind, ist das Entscheidende, wiewohl es charakteristisch ist; sondern die zuständliche Fülle
ihrer durchaus bejahten Körperlichkeit. Diese bleibt, auch wenn die Bewegung hinweg-
gedacht wird. Sie prägt sich als Existenz ein, sie hat Fülle in sich. Es ist bewegte Körper-
lichkeit. In den Rothenburgern — stärker noch den Kefermarktern, den Nördlingern, den
Münnerstädtern — ist verkörperte Bewegung. Sie sind schwerelos, ihre Körperlichkeit dient
der Bewegung; in Mainz dient die Bewegung dem Körperlichen, das sich durch sie um so fülliger
darstellt. Die Engel der 80er Jahre, alle typische Gestalten dieser Zeit, sind in irgend einem
Sinne raumdurchlässig; in denen des zweiten spätgotischen Barocks ist ein unantastbarer Kern,
der die Bewegung verursacht, um sich darzustellen. Im ersten spätgotischen Barock umschwebt
das Körperliche oft einen Hohlraum; im zweiten dient alles Konkave nur der Schwellung des Kon-
vexen. Im ersten ist das Konkave gleichberechtigtes polyphones Element zum Körperlichen; im
zweiten ist es nur des Körperlichen Folie. Form ist Gesinnung. Man vergleiche die herrliche Lands-
huter Madonna Hans Leinbergers mit der Dangolsheimer (Simon Lainbergers ?). (Abb. 435 u. Taf.
XVI.) Die beiden Leinberger (erlauben wir uns vorübergehend diese pädagogisch nützliche Namen-
gleichung voller entscheidender Gegensätze als Parallele zum stilgeschichtlichen Vorgang) sind
 
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