Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Pinder, Wilhelm
Die deutsche Plastik: vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Renaissance (Band [2] (Pind,2,2)): Die deutsche Plastik der Hochrenaissance — Wildpark-Potsdam: Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion, 1929

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.55160#0279
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ALLGEMEINES ZUR RENAISSANCEMÄSSIGEN RICHTUNG

497

Protest des Eigenen gegen ein völlig bewußtes Suchen in der Fremde erhalten bleibt. Unsere
Richtung ist kein Suchen in der Fremde, sie ist ein Finden im Eigenen, gelegentlich auch ein
Sich-Finden im „Fremden“, also hier Verwandten. Sie ist nicht manieristisch; höchstens
nähert sie sich dem fein-glatten Frühmanierismus Cellinis oder Goujons. (Hans Vischers Nürn-
berger Apollobrunnen, Cellinis Tafelaufsatz, Goujons Diana von Anet sind generationsverwandt 1 —
Jedes Mal auf fast rokokohaft zierlicher ornamentaler Basis eine schlanke, glatte, leicht lesbare
plastische Form!) Die leichte Lesbarkeit der Form, das Einölen gleichsam der Bahnen für den
Blick und sür den Tastsinn, ist der tiefste Gegensatz gegen den frühen niederländischen Roma-
nismus. Hierin trifft sich die deutsche plastische Form unserer Richtung mit der Tracht — mit
der der Ritter, so wie die frühbarocke ein wenig mit der der Landsknechte. Die maximilianeische
Rüstung mit ihren Parallelriefelungen, ihrer runden Geschlossenheit, soll zwar aus bestimmten,
praktischen Gründen erfunden sein. Sie ist nichts destoweniger Stilzeugnis. (Nicht anders war
es im Weltkriege mit den Stahlhelmen der verschiedenen Nationen. Sie dienten alle dem gleichen
praktischen Ziele. Dennoch müßte ein guter Stilphysiognomiker z. B. den deutschen Stahlhelm
mit seiner mächtigen Wölbung neben dem leichten, flachkrempigen englischen Topfhelme an
seinem nationalen Stile ohne weiteres herauskennen, er müßte geradezu auf die durchschnittliche
Körpergestaltung der verschiedenen Nationen, mehr noch: auf ihr Körper-, zuletzt ihr Lebens-
gefühlgeführt werden können). Hier darf auch noch ein norddeutsches Beispiel genannt werden.
Der lübische St. Georg im Kopenhagener Museum (ca. 1530) gibt in der Gedrungenheit des
Pferdes, der Rundung des Reiters und der maximilianeischen Rüstung, genau den gleichen Glatt-
lauf der Blickbahnen, dem unsere Richtung dient.
Zugleich erkennt man hier noch einmal die Angrenzung unserer Richtung an andere, be-
sonders den „Parallelfaltenstil“. Das Lineare der maximilianeischen Rüstung ist sozusagen
metalltechnisch angewandter Parallelfaltenstil, das Plastische „Renaissance“. (In der Haar-
tracht ist Ähnliches zu beobachten.) — Was aber das Lebensgefühl im Großen angeht: die Nei-
gung, fröhliche Putten zu bringen, aus dem Lebenszustande des kindlich-Prallen, Saftigen, des
Werdenden, Jungen und Feuchten Formen zu gewinnen — diese durchaus nicht spätgotische
Neigung teilt unsere Richtung mit der frühbarocken. Hierin erscheint sie als das nur abgewan-
delte Gesicht der gleichen Stimmung: einer Bejahung des irdischen Daseins. Aber auch der
grundsätzlichste Unterschied gegen den Frühbarock sei noch einmal genannt: unsere Richtung
ist nicht wesentlich religiös. Sie entzieht sich damit, formal gesprochen, dem Zusammenhänge
der plastischen Form mit der übergeordneten des Gesamtkunstwerkes (das längst der Altar an
Stelle der Kathedrale geworden). Der Frühbarock einschließlich des Parallelfaltenstiles wahrt
den Zusammenhang mit der übergeordneten Form als den selbstverständlichen Ausdruck für
den Zusammenhang des Gefühles mit einer übergeordneten (und über-formalen) Welt.
 
Annotationen