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Pinder, Wilhelm
Die deutsche Plastik: vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Renaissance (Band [2] (Pind,2,2)): Die deutsche Plastik der Hochrenaissance — Wildpark-Potsdam: Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion, 1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.55160#0281
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SCHLUSSWORT

499

Unterlegenheit deutscher bildender Kunst gegenüber jener der Nachbarvölker. Sie ist auch für
die spätere Zeit übertrieben. Das 19. Jahrhundert und die aus seinem Geiste entwickelte deutsche
Kunstgeschichtschreibung tragen die stärkste Schuld daran, daß sie so sehr sich festigte. Die
typische Frage deutscher Kunsthistoriker gegenüber jeder markanten deutschen Erscheinung:
„woher hat er das?“, anstatt: „was ist er?“, schließlich zwangläufig auf fast jede, auch außer-
deutsche Erscheinung angewendet, stammt aus diesem subalternen Gefühle. Jene Vorstellung
ist noch einigermaßen verständlich (wenn auch keineswegs voll berechtigt), sobald man an das
19. Jahrhundert selber denkt. Sie ist wirklich und wesentlich, d. h. aus einem tatsächlichen
Verlaufe heraus, berechtigt gegenüber der deutschen Malerei (namentlich dieser!) des 17. und 18.
Jahrhunderts, verglichen mit den gewaltigen Leistungen der Nachbarvölker. Sie ist aber voll-
kommen unberechtigt, solange es sich um das handelt, was wir altdeutsche Kunst nennen wollten,
d. h. aber, um jene Zeit, in der für die Deutschen bildende Kunst das Erste war. Die Grundlegung
der altdeutschen Kunst fanden wir im 14. Jahrhundert, von dem an ein breiter und sehr originaler
Aufstieg beginnt. Hinter diesem Aufstiege bleibt z. B. Frankreich geradezu erstaunlich weit
zurück — bis es durch eine genial-bewußte Überpflanzung rein italienischer Kunst (die bei uns
nie vorkam!), durch die Schule von Fontainebleau, in eben dem Augenblicke wieder zu steigen
begann, als Deutschlands bildende Kunst zurücksank, aus ihrem angestammten Bereiche, dem
der vornehmlich religiösen Gefühlssprache vertrieben. Vor dem 14. Jahrhundert war ein schwan-
kendes Verhältnis, ein Nehmen und Geben da. In der ottonischen Zeit allen Nachbarn kaiserlich
überlegen, hatte die deutsche Kunst gewiß im hohen Mittelalter Vieles von den Franzosen zu
lernen (nicht anders als die italienische). Was sie damit tat, war eigen, verdient den höchsten
Ruhm und verleiht vordersten Rang. Mit der französischen gemeinsam, war die deutsche Kunst
im hohen 13. Jahrhundert der italienischen weit voraus. Denn was ist Niccolo Pisano gegen das
gleichzeitige Naumburg, gegen das vorangehende Chartres, Straßburg, Reims, Bamberg! Erst
mit Giovanni Pisano, dann mit Giotto, kam eine Verschiebung; jedoch keineswegs eine wirkliche
Unterlegenheit deutscher Kunst. Das ganze 14. Jahrhundert bildet eine Kette künstlerischer
Eroberungen gerade durch die Deutschen; sie schufen, um nur Weniges zu nennen, das eigentliche
Andachtsbild, sie erfanden die plastische Pieta! Die Ehrfurcht, mit der Ghiberti in seinem Kom-
mentar von dem großen deutschen Plastiker in Florenz spricht, ist ein charakteristisches Zeugnis
für die nächstfolgende Zeit; es gehört mit dem staunenden Berichte des Aeneas Sylvius über die
imposante Schönheit unserer Städte zusammen. Gewiß ist dann im 15. Jahrhundert vieles
Befruchtende vom „Burgundischen“, vom Niederländischen, auf unsere Kunst ausgegangen (wie
ja auch von Italien zum „Burgundischen“). Aber sie blühte und sie schuf Einzigartiges — selbst
wenn wir nur an das denken wollen, was in diesem Buche andeutend behandelt ist. Dehio hat
vollkommen Recht, wenn er an der kleinen Cronberger Kirche — als einem Beispiel für sehr
viele — eine altdeutsche Kultur des Auges demonstrierte, in der Alles Form war, vom Raume
über die Bilder und Figuren bis zum kleinsten Geräte; deutsche Form, nicht französische oder
italienische. Er hat ebenso Recht, von einem starken Absturz kurz danach zu sprechen. Deutsch-
land hat um 1800 in einer ebenso unvergleichlich herrlichen geistigen Entfaltung wie um 1500
der Welt ein Schauspiel dichtest gedrängter, überwuchernd reicher Genialität gegeben; aber nicht
mehr in bildender Kunst, so vornehm-anständig wenigstens die baulichen Leistungen des deut-
schen Klassizismus waren. Nur wer sich diese Weiterwanderung der gleichen Genialität aus
der Welt der sichtbar erscheinenden in die Welt der ertönenden und erklingenden Geistigkeit,
diese Erhaltung der Kraft in sich wandelnden Aggregatzuständen, klarmacht, nur der bekommt
das richtige Verhältnis zum Werte der altdeutschen und schließlich aller deutschen Kunst über-
W. Pinder, Die deutsche Plastik. 33
 
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