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Pinder, Wilhelm
Die deutsche Plastik: vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Renaissance (Band [2] (Pind,2,2)): Die deutsche Plastik der Hochrenaissance — Wildpark-Potsdam: Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion, 1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.55160#0121
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MITTELDEUTSCHE PLASTIK DER DUNKLEN ZEIT

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Straße 2 in das Museum gelangt ist. Passarge hat nachgewiesen, daß sie
am Anfang der 50 er Jahre entstanden sein muß. Noch immer dem Typus
der Schönen Madonnen nahe. Das Motiv des an der Brust trinkenden Kindes
z. B. im Brustbild einer Madonna, einem Kupferstich des ,,Meisters der
Weibermacht“ (Geisberg, Taf. 25) belegt, zu dem auch rein stilistische Be-
ziehungen deutlich sind. Das lebensvolle Motiv eingehegt in eine wesentlich
abstrakt gedachte Tektonik. Die Falten sparsamer, auf wenige Scharfkeile
und größere, außen geschärfte Rohre zusammengezogen. Freier bewegt
eine Verkündigung im Chore der Erfurter Predigerkirche. Üppige Schlinge-
rung, viele Brüche (Overmann, Nr. 112). Das feinste Erfurter Werk der Jahr-
hundertmitte ist ein Grabmal: Probst Heinrich von Gerbstätt, s 1451, im
Dome (Overmann, Nr. 113). Man würde sich nicht wundern, einem solchen
Werke am Mittelrhein zu begegnen. Der Frankfurter Bartholomäus geht
von einem auffällig verwandten Stile aus. Im Halberstadter Dom ein ala-
basternes Kreuzigungsrelief von wildem Verismus und scharfen Einzelformen
— Geist des Wurzacher Altares!
Zur Zeit macht Obersachsen noch den besten Eindruck. Die aus-

gezeichnete Kreuzigungsgruppe der Kamenzer Hauptkirche (Inv. Sachsen

XXXVI. Beil. 2). wird man in den Zusammenhang der ostdeutschen Kolo-

nialkunst (Böhmen-Schlesien) rechnen dürfen. Besonders der Johannes ver-
trägt den Vergleich mit südostdeutschen, auch niederbayerischen Genossen.
Schwächere Zeugnisse der Verdunkelung und der Brüchigkeit in den Altären

aus Roßwein (Wankel, Dresdener Sammlg. d. Gesch.- u. Altert.-Ver., Taf. 35)

und in Gundorf (Inv. 16 Beil. 4).

Die thüringischen Altäre von Groß-Koch-

berg und Farnroda seien, obwohl später, schon hier genannt, weil sie wesent-
liche Züge der dunklen Zeit in die spätere hinüberretten. Ein gutes Beispiel
für die äußerliche Übersetzung einer alten Form die große Pietä aus Frei-

berg in der Dresdener Altert.-Slg. (Wanckel, Taf. 50). Die Vermutung, daß
ein Freiberger Bürger das Werk in den 50 er Jahren gestiftet habe, stil-

geschichtlich nicht unmöglich; aber der Anschluß an den monumentalen

Typus des 14. Jahrhunderts bleibt deutlich. Aus der letzten Blüte unserer
Eopche gibt es wenigstens drei gute Werke, die den Vergleich mit süddeut-
scher und nordwestlicher Kunst voll aushalten. Die Madonna von Gelenau

entspricht tatsächlich etwa der Magdalena „von Wörishofen“ (nach freundl.
Mitteilung Baums wäre diese allerdings aus Pfarrkirchen), der Zeitstufe des
Sterzinger Altares (Abb. 335). Eine noch feiner empfundene kleinere Madonna
aus der Lausitz seit einigen Jahren im Bautzener Museum. Eine ostsäch-

335. Madonna von Gelenau.

sische Parallele zu Sterzing, offenbar an das Ende der 50 er Jahre zu setzen. Wenig spätere Verwandte finden
sich, ebenfalls auf Lausitzer Boden, an einem Görlitzer Befestigungsturm. Madonna und Heilige, die dem gleichen

Stilzusammenhang angehören, Werke der Bauplastik, die in leicht vergröberter Form, durchaus antimanieristisch,

den Geist der Schnitzerkunst in Stein übertragen. Vergleichbar auf böhmischem Boden: Dorothea und Katharina
in Charvatetz, Katharina und Barbara in Rocov (Böhm. Kunst-Topogr. Bez. Raudnitz, Taf. 4, S. 51, Bez. Alaun,
S. 70). Endlich ein hl. Bischof aus Freiberg im Dresdner Altert.-Mus. (Abb. 336). Er hat den einheitlich kurviert
umrissenen Block, die Konsonanz der Vertikalen, die halbweiche Knickung der Staufalten, die Brüchigkeit im
Hauptdreieck — lauter Züge, die verschiedenen Stadie unserer Epoche zugehören, aber auf keine fremde ver-
weisen. Der Kopf sehr großartig. Wohl schon aus den 60 er Jahren. — Eine bäuerliche Parallele zum Rothen-
burger Hochaltar: die Altarflügel aus Wermsdorf in Dresden (Wanckel, Taf. 45). Nicht von Rang, aber wichtige
Dokumente.

Für Schlesien verspricht Erich Wiese („Die Plastik“ im Breslauer Ausstellungswerke von 1926, S. 172)
mögliche Aufklärung der dunklen Zeit. Selbst Namen sind für sie bekannt: so Jodokus Tauchen, der 1453—56
das Sakramentshaus in St. Elisabeth-Breslau errichtet (ziemlich provinziell); so Nikolaus Smed (offenbar Nieder
deutscher) aus Breslau, der 1440—1478 genannt wird. (Hauptaltar der Liegnitzer Peter Pauls-Kirche.) Mit dem
Marien-Altar von St. Elisabeth zu Breslau (Wiese, Abb. 127) und dem Brockendorf-Altar ebda, (Wiese, Abb. 128)
ist schon die Zeit um 1470 erreicht. Die von Wiese vermutend jenem Liegnitzer Hauptaltar zugeschriebene Mad.
 
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