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Albert, Peter P.; Beyerle, Konrad [Hrsg.]
Die Kultur der Abtei Reichenau: Erinnerungsschrift zur zwölfhundertsten Wiederkehr des Gründungsjahres des Inselklosters 724-1924 (1. Halbband) — München: Verlag der Muenchner Drucke, 1925

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Vorgeschichte und Klostergründung
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Jecker, Gall: St. Pirmins Herkunft und Mission
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https://doi.org/10.11588/diglit.61010#0065
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Gall Jecker

er mit Martin zurückgeht) aus Spanien oder dem
einst von den Westgoten beherrschten Arles. Da-
gegen war es bis jetzt unmöglich, auch nur eine
einzige irische oder angelsächsische Vorlage nach-
zuweisen. Wir schließen daraus, daß Pirmin Ro-
mane gewesen und aus Spanien oder aus den einst
von den Westgoten beherrschten Gebieten Süd-
frankreichs stammt.
Em Blick auf die verwandte Predigtliteratur des
7. und 8. Jahrhunderts scheint unsern Schluß
zu bekräftigen. Einzelne Predigten, welche die
Heilsgeschichte und Christenpflichten in einer so
vollständigen Zusammenfassung bieten wie der
Scarapsus, sind uns bis jetzt nicht bekannt ge-
worden; aber auch Pirmins Schrift selber scheint
bei der Nachwelt noch weniger Beachtung ge-
funden zu haben als sein Leben, über das sein
erster Biograph nur mühsam wenig sichere Nach-
richten zusammenbrachte. Um so zahlreicher sind
aus jener Zeit die Predigten über den heidnischen
Aberglauben. Alle aber, soviel wir deren bis jetzt
untersucht haben, lassen sich auf Cäsanus allem
zurückführen; nur einer hat neben dem Bischof
von Arles auch Martin von Braga verwendet, es
ist Eligius von Noyon.
Von vornherein waren wir geneigt, in seinen Pre-
digten eine Vorlage Pirmins zu finden. Sie stam-
men ja auch von einem seeleneifrigen Bischof,
der auf die Ausrottung der Reste heidnischen
Aberglaubens besonders bedacht war, und ent-
halten in der Tat sehr viele ähnliche Ideen wie
der Scarapsus; aber nicht weil Pirmin sie den
Predigten des Eligius entnommen hätte, sondern
weil er sie dort geschöpft, wo sie vor ihm schon
Eligius gefunden hatte, nämlich bei Cäsanus von
Arles und Martin von Braga.
Dieser Eligius war der Sohn wohlhabender ro-
manischer Eltern und wurde ums Jahr 590 zu
Chaptelat bei Limoges in Aquitanien geboren.
Damals hatten freilich die Franken sich Aqui-
tanien, das Land zwischen der Loire und den

Pyrenäen, schon unterworfen, aber vorher hatten
es die Westgoten beinahe em ganzes Jahrhundert
besessen; es erfreute sich auch später noch einer
großen Selbständigkeit und wußte wie Septi-
mamen und die Provence sich den romanischen
Charakter viel mehr zu wahren als die nördlichen
Gebiete. In Limoges hatte Eligius die Gold-
schmiedekunst erlernt und war dann als könig-
licher Münzmeister in Marseille tätig. Später
kam er als vertrauter Ratgeber des Königs Dago-
bert nach Paris. Seme Beziehungen zur aquita-
nischen Heimat behielt er bei und ließ dort seinen
Freunden, den Schottenmönchen, das berühmte
Kloster Sohgnac bauen. Nach dem Tode König
Dagoberts ( 638) verließ er mit seinem ver-
trauten Freunde Audom den Königshof, um sich
dem Dienst der Kirche zu widmen, und mit die-
sem zog er sich wahrscheinlich nach Spanien zu-
rück, um sich auf die heiligen Weihen und die
bischöfliche Wirksamkeit vorzubereiten. Nach
Jahresfrist wurde er dann Bischof von Noyon
(64059) , einer Diözese, die sich im Norden
von Pans die Oise entlang bis in den Hennegau
und nach Flandern mochte erstreckt haben und
meist von Germanen bewohnt war, die noch stark
an heidnischen Sitten hingen.
Auf diesen heidnischen Aberglauben hatte es nun
Eligius besonders abgesehen. Aber der Bischof
dieser vorwiegend germanischen Bevölkerung hatte
die Waffen zum Geisteskampfe aus den romani-
schen Rüstkammern des Cäsanus und Martin ge-
holt, weil er selber von Geburt und der Bildung
nach Romane war. Seine Zuhörer wurden sich
dessen wohl bewußt; darum riefen sie ihm eines
Tages zu: .Soviel du, Römer, auch predigen
magst, es wird dir nicht gelingen, unsere alten
Gewohnheiten zu vernichten.
Zum mindesten im gleichen Maße wie Eligius ist
auch Pirmin Romane gewesen. Ja noch mehr;
die ausgesprochen spanischen Vorlagen, die er
außer Martin von Braga benützt, weisen direkt
 
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