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Albert, Peter P.; Beyerle, Konrad [Editor]
Die Kultur der Abtei Reichenau: Erinnerungsschrift zur zwölfhundertsten Wiederkehr des Gründungsjahres des Inselklosters 724-1924 (1. Halbband) — München: Verlag der Muenchner Drucke, 1925

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Vorgeschichte und Klostergründung
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Jecker, Gall: St. Pirmins Herkunft und Mission
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https://doi.org/10.11588/diglit.61010#0066
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St. Pirmins Herkunft und Mission

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auf dessen spanische Abstammung hin. Das sagt
uns auch ein Blick auf den Inhalt des Scarapsus.
In den letzten Jahrzehnten haben wir durch vor-
zügliche Werke genauere Kenntnis der altspani-
schen, mozarabischen Liturgie erhalten. Pirmin
steht mit ihr in voller Harmonie, ja, verschiedene
Stellen seiner Schrift sind der beste Kommentar
zu einer ganzen Reihe von mozarabischen Ge-
beten und Weiheformeln der Opfer, ZehntenM
Erstlingsfrüchte.
Was später bei Burkhard von Worms und im
Sachsenspiegel wiederkehrt, die merkwürdige
Verknüpfung von Weltalterlehre und Verwandt-
schaftsgrenze, hat schon St. Pirmin nach Deutsch-
land gebracht. Die eine rechtmäßige Ehe
verbietende Blutsverwandtschaft reicht nach
Pirmin bis zum 6. Grad, er stimmt da
wörtlich mit Isidor von Sevilla und dem
westgotischen Recht überein! So aber, nach
der römisch-rechtlichen Komputation, zählte da-
mals nur die westgotische Kirche. Die Päpste des
8. Jahrhunderts: Gregor II., Gregor III. und
Zacharias zählten die Geschlechter, wie einst
Gregor der Große nach der kanonischen Kom-
putation, und ihnen folgte zweifellos Bonifatius,
der Apostel der Deutschen, der sich in allem der
Praxis der römischen Kirche angeschlossen hatte
ohne Rücksicht auf die Gepflogenheiten seiner
Umgebung. Im Frankenreich hingegen hielt man
sich gewöhnlich an die germanische Zählung, nur
ausnahmsweise an die kanonische; Pirmin steht
mit seiner Verwandtschaftszählung vereinzelt da,
weil er dem Gebrauche seiner spanischen Heimat
folgte.
Befremdend ist Pirmins Ausspruch, daß schon
der Verdacht von Ehebruch erlaube, die Gattin
zu entlassen. Der Satz stammt aus den Werken
des hl. Hieronymus und kam auch in kirchliche
Rechtssammlungen, wo dessen Tragweite be-
stimmt wurde durch die Glosse: der Verdacht
sei nicht Grund zur Entlassung, sondern nur

em Modus, den Grund der Entlassung zu be-
weisen. Aber gerade in Spanien scheint die Auf-
fassung, welche Pirmin ausgesprochen hatte, ver-
derbliche Folgen hervorgerufen zu haben, gegen
welche König Chindasvind (642—53) auftrat
und durch ein Gesetz bestimmte, daß nur offen-
kundiger Ehebruch die Trennung erlaube.
Dem mit den Bußbüchern des frühen Mittelalters
nicht vertrauten Leser mußte auffallen, daß Pir-
min den Genuß des Fleisches tot gefundener Tiere
und des Blutes überhaupt verbietet. Gerade dieses
Verbot hat den Oratorianer und Patristiker Gal-
landi (um 1779) zuerst vermuten lassen, Pirmin
möchte aus Spanien stammen. Denn ein Zeit-
genosse unseres Heiligen, der Abt Evantius, be-
richtet, in der Gegend von Saragossa hätten
einige auf Grund der hl. Schriften das Fleisch
gefallener Tiere und alles Blut für unrein er-
klärt und dessen Genuß verboten, und zieht mit
scharfer Feder gegen diese judaisierenden Ge-
bräuche zu Felde.
Energische und viel beachtete Sätze hat Pirmin
gegen den heidnischen Aberglauben. Einem Spa-
nier mußten solche Warnungen und Mahnungen
leicht in die Feder und über die Lippen fließen;
denn immer und immer wieder hatten sich die
Synoden der Iberischen Halbinsel mit den heid-
nischen Unsitten des Volkes befaßt. Wie die
Kanones der Konzilien, so hatte auch das west-
gotische Rechtsbuch eine ganze Reihe von Straf-
bestimmungen gegen Zauberer und Wettermacher,
gegen Heidentänze und Naturkult. Es ist der
Geist dieser Satzungen, den wir bei Pirmin wie-
derfinden.
Aber auch in der Organisation seiner Klöster
verrät Pirmin spanische Einflüsse. Außer Rei-
chenau hatte er zwischen dem Schwarzwald und
den Vogesen noch mehr als em halbes Dutzend
Klöster gegründet oder reformiert. Überall führte
er die durch Maß und Milde ausgezeichnete Be-
nediktusregel em und traf Vorsorge, daß sie treu

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