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Bezirk Schwetzingen [Hrsg.]; Amtsbezirk Philippsburg [Hrsg.]
Schwetzinger Wochenblatt: Amts-Verkündigungsblatt für den Bezirk Schwetzingen ; badische Hopfenzeitung — 1871

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Mai (Nr. 51 - 63)
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https://doi.org/10.11588/diglit.30184#0229

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Grotzy. UinverjNüls-Vlvuoiyer
(Pflicht-Exemplar.) Heidelberg.

Dimst-g, 18. Mai 1871. Iso. 57. Fünfter Jahrgang.


Amls-Aerkündigungsökatt für den Bezirk Schwetzingen.

adische Hopscn; citnn

Erschrint wöchentlich drei Mal: Dienstag, Donnerstag und Samstag — Alle Postanstalten nnd Boten nehmen Bestellungen an. — P r e i s vierteljährlich 45 kr.
Inserate die dreigespaltene Petitzeile oder deren Raum 3 kr. Lokalanzeigen 2 ?r.



Eine Klubsitzung in Paris.
Eines der merkwürdigsten Schauspiele, welche
man in dem heutigen Paris genießen kann, ist
jedenfalls eine Klubsitzung in der Kirche des
heiligen Nikolaus dicht neben dem 6on86rva.toirs
äss .^rt3 et UstierZ in dem gewerbreichsten Viertel
der Stadt.
Denken Sie sich eine prächtige gothische Kathe-
drale von fünf Schiffen, wie alle Pariser Kirchen
des Abends mit Gas beleuchtet und nun dicht ge-
füllt von einer volkstümlichen, beständig aus- und
niederwogenden Gemeinde.
In den Nischen und Kapellen ist der ganze,
bunte Apparat des katholischen Gottesdienstes noch
unangetastet; frische Blumensträuße füllen diese
Vasen, goldene und silberne flammende Herzen
schlingen sich um die Heiligenbilder; aber die
Männer in der Menge lassen ihr Haupt bedeckt
und die Weiber tauchen höchstens, um sich die
Stirn zu erfrischen, das Taschentuch in die Weih-
becken.
Der Kanzel gegenüber tagt das Bureau zu
Füßen eines ehernen Kruzifixes, von welchem die
rothe Fahne herabweht: man erinnert sich unwill-
kürlich, daß schon die Patrioten von 1793 den
Gekreuzigten den großen Sansculotten von Naza-
reth genannt haben.
Ein junger Bürger, das blaue mit dem
Tempel Saloinonis bestickte Freimaurerband über
der Brust, besteigt unter stürmischem Beifall die
Kanzel: er heißt Landeck, ist aber trotz seines
deutschen Namens ein achtes Kind von Paris und
jedenfalls einer der besten Volksreoner, welche diese
Bewegung auf die Oberfläche getrieben hat. Wir
möchten ihn trotz seiner Jugend, zumal an dieser
Stelle, mit Abraham a Santa Clara vergleichen;
denn wie das Wiener Urbild des Schiller'schen

Kapuziners packt auch er seine Hörer vornehmlich
durch die bittern Wahrheiten, welche er ihnen in
der derben Sprache des Pere Duchene an den
Kopf wirft. Freilich mögen die Worte vo^ou,
douZrö und üeütra, mit denen er besonders frei-
gebig ist, schon lange nicht, wahrscheinlich niemals
von dieser Kanzel erschollen sein, aber die Kirche
hat nicht immer diesen Lapidarstyl verschmäht und
manchem angesehenen Prediger wäre die populäre
Beredtsamkeit dieses Arbeiters zu wünschen.
Wie er den Frauen in's Gewissen redet,
ihre zaghaften Männer in den Kampf zu schicken,
wie er den flüchtigen Bourgeois nachhöhnt, daß
sie alle mit wohlverdienten Hörnern auf der Stirn
Paris Wiedersehen werden, da ja die Zurückge-
bliebenen nach der Versicherung von Versailles
nichts als Banditen und Wüstlinge wären, die
also mit den hinterlassenen Gespousen kurzen
Prozeß machen würden, wie er die Kaufleute durch-
hechelt, die ihre Commis trotz der absoluten Ge-
schäftslosigkeit fortbezahlen, nur damit diese nicht
die Reihen der Kämpfer für das Recht und die
Freiheit verstärken, das Alles ist in seiner Art
eine wahre Kunftleistung. Als dieser Mirabeau
aber schließlich unter allgemeinem Beifall den
Antrag stellte, es sollte in jedem Stadtiheil an
der Mairie ein Schalter befestigt werden, in welchen
die ächten Patrioten die Denunziationen der Ver-
räthec werfen würden, daran sollte sich dann eine
Razzia auf alles beweglche und unbewegliche Eigen-
thum schließen u. s. w. — da hatte freilich der
Kunstgenuß ein Ende und unter trüben Betrach-
tungen über die verhängnisvolle Bahn, in welche
dieses begabte Volk durch die Ereignisse gedrängt
ist, verließen wir die Kirche, die, wie wir beim
Herausgehen hörten, schon der in Bartholomäus-
nacht eine blutige Rolle gespielt haben soll.
Der Klub von St. Nikolaus ist die radi-!

kalste Volksversammlung von Paris und nicht
ohne Gewicht auf die Entschließung des Stadt-
hauses.

Zur Hagesgeschichte.
Schwetzingen, 15. Mai. Nachdem die
Konferenz in Frankfurt ein so überraschendes Ende
genommen, wird der Telegraphendraht wohl vor-
wiegend mit Nachrichten aus Versailles und Paris
wieder aufwarten. Sie hatten schon immer während
der letzten Wochen ein nur geringes Interesse für
uns. Seitdem aber der Friede mit Frankreich
definitiv und der AuSgang des Kampfes in Paris
durch die neuesten Erfolge der Versailler Truppen
unzweifelhaft geworden, dürfte auch der letzte Rest
der Aufmerksamkeit schwinden, welche wir den
dortigen Vorgängen widmeten, zumal wir nicht
wissen, was uns eine größere Abneigung einflößt,
die wüste Zerfahrenheit der Commune, zu der
der letzte Brief Rossels einen hübschen Beleg liefert,
oder die Energielosigkeit der Versailler Negierung.
Die letztere'legt übrigens ja selbst viel geringeren
Werth auf diesen Pariser Aufstand, als auf die
Erhebung in Algier. Dorthin lenkt sie augen-
blicklich ihre ganze Aufmerksamkeit und in Bälde
werden die Augen der politischen Welt den Ereig-
nissen folgen, welche aus jenem Punkte sich voll-
ziehen werden. Die jetzige Regierung ist ja an
den Zuständen Algiers so unschuldig wie ein neu-
geborenes Kind, nichtsdestoweniger mag sie, und
nicht ganz mit Unrecht, ihren Bestand in einer
gewissen Beziehung sehen zu den Erfolgen ihrer
Politik und ihrer Waffen in jenem Koloniallande.
Berlin. Reichstag. Bismarck sagt: Ich ging
in der Absicht nach Frankfurt, einige schwebende
Fragen zur Entscheidung zu bringen, nämlich die

Ein Geprellter.
Eines Tages trat ein Gentlemann in den
Laden Ralph Hartmann's in Newyork mit einem
Violinkasten unter dem Arme. Er kaufte eine
Halsbinde, für die er 50 Cents bezahlte, und
dann bat er um die Erlaubniß, seinen Violinkasten
da lassen zu dürfen, weil er in der Stadt noch
einige Geschäfte zu besorgen habe. Der alte Hart-
mann, welcher neue und alte Kleidungsstücke ver-
kaufte, hatte dagegen nichts einzuwenden. „Es ist
eine Violine," sagte der Gentlemann, „die in mei-
nen Augen einen hohen Werth hat. Sie wurde
mir von einem alten Jialiener gegeben, der in
dem Hause meines Vaters starb. Ich ersuche Sie,
Sire, sie mit Sorgfalt zu behüten." Herr Hart-
mann versprach es und der Eigenthümer der kost-
baren Geige entfernte sich.
Gegen 12 Uhr, während der Kleiderhändler
eben angelegentlich beschäftigt war, einem Käufer alte
Kleider für neue zu verkaufen, trat ein Fremder
in den Laden, der ganz vorzüglich gekleidet war
und ein vornehmes Ansehen hatte. Der Violin-
kasten stand auf dem Ladentische und da Niemand

da war, es zu verhindern, schlich sich der Neuan-:
gekommene zu demselben, nahm die Violine heraus, ?
die sehr dunkel und alt zu fein schien.
„Halloh!" schrie Hartmann, als er den Ton
der Geige hörte, „wie können Sie diese Geige be-
rühren?" Der Fremde erklärte, er sei ein Pro-
fessor und Dirigent des Orchesters und er könne
keine Violine sehen, ohne sie zu versuchen. Und
dann machte er auf derselben einige kräftige Striche l
und spielte dann einen bekannten deutschen Walzer.
„Beim Himmel!" rief er, als er endlich sein
Spiel einstellte, „das ist die beste Geige, die ich
je sah ! Es gibt in der ganzen Stadt keine bessere ^
— eine echte alte Cremoneser Geige? Ich will
Ihnen hundert Dollars dafür geben."
Hartmann sagte ihm, sie sei nicht sein Ei-
genthum. „Ich gebe Ihnen hundert und fünfzig,
ja zweihundert Dollars!" Hartmann war gezwun-
gen , ihm zu erklären, wie die Geige in seinen
Laden gekommen sei.
Der Fremde hatte aus seinem Taschenbuche!
zwei Hundert-Dollarsnoten heraus genommen. Er ^
legte sie wieder in dasselbe und sagte: „Ich muß!
diese Geige haben, wenn sie für Geld zu kaufen i

ist. Wollen Sie, wenn der Eigenthümer zurück-
kehrt, ihn bitten, mich zu erwarten. Wenn er
nicht warten kann, so bitten Sie ihn, mich um
6 Uhr hier zu treffen. Wenn er das nicht thun
kann, dann sagen Sie ihm, er möge sich nach dem
Bureau des Zahlmeisters der Akademie der Musik
begeben, und dort nach dem Direktor des Orchesters
fragen. Wollen Sie das thun?"
Hartmann versprach es.
„Aber," bemerkte der Fremde, „Sie müssen
dem Manne nicht sagen, was ich über die Geige
gesagt und was ich Ihnen dafür geboten habe;
vielleicht hat er gar keine Idee davon, welchen
Schatz er in derselben besitzt. Sie werden vor-
sichtig und umsichtig sein."
Der Fremde ging fort und Ralph Hartmann
dachte nach. Nach Verlauf einer Stunde kehrte der
Eigenthümer der Violine zurück und verlangte
sein Eigenthum. Aber der Kleiderhäudler war
durch den goldenen Köder gefangen und daher
fragte er, für welchen Preis der Gentlemann seine
Geige verkaufen würde.
Anfangs wollte derselbe auf den Vorschlag
gar nicht bören/aber nach einem längeren Hin- und
 
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