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Bezirk Schwetzingen [Hrsg.]; Amtsbezirk Philippsburg [Hrsg.]
Schwetzinger Wochenblatt: Amts-Verkündigungsblatt für den Bezirk Schwetzingen ; badische Hopfenzeitung — 1871

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Juni (Nr. 64 - 76)
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https://doi.org/10.11588/diglit.30184#0279

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Amts-Kerkündigungsökatt für den Bezirk Schwetzingen.


Erscheint wöchentlich drei Mal: Dienstag, Donnerstag und Samstag. — Alle Postanstalten und Boten nehmen Bestellungen an. — Preis vierteljährlich 45 kr.
Inserate die dreigespaltene Petitzeile oder deren Raum 3 kr. Lokalanzeigen 2 kr.

Bundschau.
Schwetzingen, 12. Juni.
Im deutschen Reichstag sind die Berathungen
über die zu gewährenden Unterstützungen an die-
jenigen , welche in Folge des Krieges in irgend
einer Weise gelitten haben, ihrem Ende nahe.
Unterstützungen werden an Alle verabreicht werden;
aber natürlich nur in geringem Maßstabe. Be-
züglich der Hinterbliebenen der Gefallenen wurde
beschlossen: 1) Doppelwaisen erhalten monatlich
5 Thlr.; 2) Stiefkinder erhalten nicht dieselbe
Unterstützung wie die andern Kinder; 3) Eltern
sofern ihr einziger Ernährer gestorben ist, erhallen
gleichfalls Unterstützung, sowohl im Soldaten- wie
im Ofsizierstande für den Fall der Bedürftigkeit,
ebenso die Großeltern.
In Baden wird in Folge des neuen Ver-
sassungs- und Wahlgesetzes die zweite Kammer
aufgelöst; da die Wahlvorschriften für die erste
Kammer nicht geändert sind, so ist für diese auch
die Auflösung nicht zu bestimmen gewesen. Ob
nicht auch für das erste Haus gleichwohl allgemeine
Neuwahlen angeordnet werden, wißen wir nicht.
Bei dieser Gelegenheit darf wohl hervorgehoben
werden, daß eine Gesammterneuerung der zweiten
Kammer seit mehr als 20 Jahren nicht stattge-
funden h^t, und wenn man daraus dem Land oder
der Regierung einen politischen Vorwurf machen
will, so haben wir nichts dagegen einzuwenden.
Nur muß man nicht meinen, daß deßhalb die Kam-
mer von 1850 und jene von 1870 aus denselben
Wahlen hervorgegangen, daß dieß ein und dieselbe
Kammer sei. Nicht allein wurde die Kammer alle
zwei Jahre zu einem Viertel erneuert und hat
schon deßhalb in diesen 20 Jahren verfassungsmä-
ßig eine zweimalige Erneuerung stattgefunden; es
haben auch die großen politischen Ereignisse so

Ein Hamburger Kind nnd Thiers.
(Schluß.)
Ich erzählte rasch, was ich wußte. Thiers
wurde blaß und stammelte, indem er auf seinen
Schreibtisch zeigte: „Dort — Papiere!" Ich
ersah deutlich aus diesem Vorfälle, daß Thiers
Nichts weniger als ein Mann voll Muth war.
Louise Bartels eilte rasch zum Schreibtisch und
raffte die Papiere zusammen. Während sie mit
dem Rücken gegen uns stand, ließ ich die Vorhänge
fallen, und mit Mühe nur kleidete sich Thiers ein
wenig an; er konnte sich vor Zittern kaum auf
den Füßen halten. Plötzlich vernahmen wir starkes
Läuten an der Thür des Hauses. — Das gab
Thiers die Besinnung wieder. „Bitte, fort mit
den Papieren, sonst bin ich verloren!" ries er
Louise zu. Diese hatte inzwischen alle Papiere
und Schriften zusammengerafft, sie unter ihren!
Röcken und Kleidern untergebracht und eilte damit
der Treppe zu. Auf derselben begegnete ihr der
Polizeicommissär Leras nebst 5 Gardisten.
Als der Eommissär sie mch aufgelöstem Haar
und unordentlichen Kleidern die Treppe Herabkommen
sah, rief er lachend: „Es thut mir leid. Sie und
Herrn Thiers in Ihrer Unterhaltung gestört zu haben!"

zahlreiche Mandatsnicderlegungen herbeigeführt, daß !
allein nach 1866 beiläufig die Hälfte der Mit-!
glieder neu gewählt werden mußte.
In Bayer n wird der durch Döllinger her-
vorgerufene Kirchenstreit in Bälde seine Lösung
finden. Die Aufregung dauert fort und wiro
durch Versammlungen der Altkatholiken sowohl als
der Vertreter des neuen Dogma's stets genährt.
Daß die Fürsten in Europa nicht schroff mit Rom
abbrechen wollen, scheint daraus hervorzugehen, daß
deren Gesandte nicht zu gleicher Zeit beim Hofe
Victor Emanuels und beim päpstlichen Hofe be-
glaubigt sind, sonder« daß bei beiden Höfen je
besondere Bevollmächtigte sein werden.
Rußland, dem man bei Gelegenheit der
Ponlusfrage so arge Absichten gegen die Türkei
unterschob, lebt in schönster Harmonie mit diesem
Nachbarn; als Beweis hiefür mag gelten, daß der
Sultan durch seinen Botschafter in St. Petersburg
dem Kaiser von Rußland den Osmanis-Orden
überreichen ließ, bei welcher Feierlichkeit der Letz-
tere seinen Gefühlen der aufrichtigsten Freundschaft
in huldvollen, herzlichen Worten Ausdruck verlieh.
England, das durch seine Waffensendun-
gen nach Frankreich schon eine ungeheure Verant-
wortlichkeit auf sich geladen und nicht geringen
Antheil an den Verwüstungen von Paris hat, war
auch zur Zeit der Kommunewirthschaft würdig ver-
treten. Die englische Zeitung „Daily Telegraph"
selbst sagt, daß ein Engländer, ehemaliger Offizier,
stark compromittirt sei und vor einigen Tagen, die
Waffen in der Hand, von General Gallifet gefan-
gen genommen wurde.
Armes Frankreich! An dir ist Hopfen
und Malz verloren. Mit Plänen gehen sie dort
um, als ob auch gar keiner mehr einen Funken j
von Verstand besäße. Thiers war der Veranlasser, l
daß Paris zu einer Festung gemacht wurde; er hat!

Der Chorus lachte mit und ließ sie passiven.
Ich verbarg mich unter dem Bette des Herrn
Thiers, mit der sichern Aussicht, entdeckt zu werden u.
für meine Treulosigkeit in's Gefängniß zu wandern.
Der Commissär trat ein und auf den zittern-
den Thiers zuschreitend, sagte er: „Im Naimn
des Präsidenten und der Repnblik verhafte ich Sie."
Thiers: „Wissen Sie, daß ich Volksvertreter
und als solcher unverletzlich bin?"
Commissär: „Ich thue meine Pflicht!"
Thiers: „Sie tragen Ihr Haupt auf das
Schaffot, wenn Sie die Constitution verletzen."
Commissär: „Ich befolge die mir ertheilten
Befehle!"
Nun ward der Schreibtisch untersucht.
Der Commissär sowie Alle wendeten sich unvor-
sichtiger Weise von Thiers ab, er beugte sich zur Erde,
um seine Stiefel, die beim Bette standen, zu holen.
Ich benutzte die Gelegenheit, ihm zuzuflüstern:
„Wenn Sie frei kommen, so eilen Sie nach
Frankfurt, bei meinem Vater finden Sie die Papiere!"
Man war mit der Untersuchung zu Ende
— man fand natürlich keine Papiere.
Als Thiers fortgebracht wurde, verschwendete
er abermals seine Bitten an den Commissär, um

! jetzt gesehen, wie Forts , Bastionen und Erdwerke
! der stärksten Art der Intelligenz und Zähigkeit ei-
I ner gebildeten Armee widerstehen können und
trotz der vor Augen liegenden Ruinen der ganzen
gewaltigen Festung taucht der Plan auf, in Paris
selbst Forts zu errichten, um die Erneuerung ei-
nes Aufstandes unmöglich zu machen. Ebensogut
als die Paris umgebenden Forts in die Hände
der Deutschen und dann in die Hände der Auf-
ständischen fielen, würden eines Tages die im In-
nern der Stadt zu errichtenden Forts in die Hände
des Pöbels fallen und sollten alsdann wieder Zer-
störungsgelüste Hervorkommen, dann, Angesichts
dieser Forts, wäre es keiner Armee möglich, den
gänzlichen Ruin der „Hauptstadt der Civilisation"
zu verhindern.
Wie es in einigen Jahren in Frankreich aus-
sehen wird, ist unmöglich vorherzusagen bei dem
Gebühren der Parteien. Man möchte fast zweifeln,
ob jenseits des Rheins überhaupt noch ein patrio-
tisches Herz schlägt, denn es müßte sich jetzt regen.
Im Angesicht des unübersehbaren Elendes denkt
Jeder nur an sich, reiben die Auserlesenen der
Nation, Pie Volksvertreter, ihre Kräfte auf in un-
fruchtbaren Jntriguen über die künftige Regierungs-
form. Thiers hat gut schwören, daß er es ehrlich
meint, man glaubt es ihm auch, aber da wollen
die Republikaner die definitive Proklamirung der
Republik, die Anhänger des Königshauses möchten
je eher je lieber die Restauration der Bourbonen
und die Untersuchuugsrichler haben Spuren entdeckt,
welche zeigen, daß die Napoleoniden den Aufstand,
der so unerhörte Opfer gefordert, angezettelt haben.
Alles deutet darauf hin, daß Frankreich noch nicht
das letzte Blutbad erlebt und daß es einen recht
jglänz enden Untergang haben wird.
Eine namenlose Frechheit gehört jedenfalls
> dazu, um aufzutreten wie die Bonaparte. In sei-

freigelassen zu werden, und geberdete sich wie ein
Kind. Ich entkam glücklich am Morgen aus mei-
nem Versteck und eilte zu meiner Louise, um die
Papiere in Empfang zu nehmen.
Da sich jedoch der Morgen des 2. Dezembers in
Paris schrecklich gestaltete, suchten ich und meine Braut,
weil wir uns am Hauptorte des Staatsstreichs mit
unserm Schatze nicht sicher glaubten, bald in aller
Stille das Weite. Wir flohen nach Frankfurt zu
meinem Vater, dem Schauspieler Weidenbach.
Thiers wurde bald aus seiner Haft entlasten
und über die Grenze gebracht —- er kam, zum Er-
staunen der Welt, am 21. Dezember in Frankfurt
am Main an. Er suchte und fand mich bald —
nahm seine Papiere in Empfang, die ihn, wie er
selbst sagte, „vor dem sichern Tod retteten; denn,"
fügte er hinzu, „in Cayenne, oder auf dem Schaf-
fot sterben, ist einander gleich."
Thiers wohnte meiner Hochzeit mit Louisen bei
und reiste dann nach England. Er vergaß mir
und meiner Frau den geleisteten Dienst nie.
Weidenbach und seine Fran sind arm gestorben.
Thiers verdrängte den Staatsstreichshelden
vom Throne und ist Präsident der Republik von
Frankreich. Weltenlauf!
 
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