Repertorium für Kunstwissenschaft, Bd. XXV, 1902
den langen, gebogenen, herausfordernden Nasen, iiber einem breiten, ungeschlachten,
sinnlichen Mund, — mit den henkelartig abstehenden, oft sehr großen Ohren23, und den
vortretenden, dennoch oft von schweren Lidern iiberdachten, bald miide und blöd', bald
krampfhaft blickenden, auch boshaft stechenden Augen.
An der Faltenbehandlung seien nur ein paar Motive hervorgehoben, z. B. die Anschop-
pung von zwei oder drei flachen, sich iiber einander schiebenden Falten in der Giirtellage,
man vgl. in Modena die atlantenhaft sich gegen das Gesimse stemmende Figur im Knie-
rock mit der links auf der »Steinigung des Stephanus« an der Arler Fassade; zu beachten
auch, wie unter den simplen und harten Falten des Rockes die Wölbung des Leibes und
der Absatz der Schenkel hier in iibereinstimmender Weise betont ist. Charakteristisch
ferner die feinen Knickfalten unten an den Aermeln (vgl. die »Ancilla« und den Petrus
am Feuer, dazu in Arles die eben genannte Figur); auch die bei ausschreitenden Figuren
in Arles so häufig vorkommende merkwiirdige Aufstauung der Mantelfalten in der
Kniegegend (vgl. in Modena den Engel neben dem Habakuk).
An costiimlichen Details fallen hiiben und driiben in's Auge die Bordiiren mit gereihten,
in der Mitte gebohrten Perlen, die hier wie dort auch zum Schmuck architektonischer
Glieder gern verwendet werden (in Arles passim, in Modena am Bogen des Capitells mit
Opferung Isaac's, am Stuhl des Apostels r. auf dem Abendmahl). Daneben kommen an
den Gewändern auch Bordiiren mit Imitation großer Edelsteine vor (Christus auf dem
Abendmahl). Ein Erkennungszeichen ferner die ungemein häufigen halbrunden, melo-
nenhaft gerippten Kappen, die Sandalen mit ihrer Verschniirung aus gedrehten Stricken
(wie Arles Kreuzgang, Chur, Romans).
Doch ich schließe diesen Abschnitt; es kommt ja hier nur auf eine Sicherstellung im
Ganzen an. Von den Löwen mit ihrem großartigen Pathos — die Thiere sind hier das
Beste —, von den Basen der Säulen mit ihren Eckmotiven24 (vgl. Venturi a. a. O. S. 9 iiber
eine weitere Basis in Poiago) u. A. m. sei in größerem Zusammenhange die Rede.
Was uns besonders angeht, sind Venturi's Muthmaaßungen iiber die Entstehungszeit des
Pontile. Er kniipft an die Capitelle der Glöcknerstube der torre Ghirlandina (neben dem
Chor) an. Daß diese demselben Atelier gehören, ist zweifellos. Venturi geht so weit, sie
mit den übrigen Sachen der Gruppe ein und derselben Hand zu geben. Als »arlisch« sei
an diesen Capitellen nebenbei ezn Zug hervorgehoben, die Art, wie die jugendliche
Frauenfigur ihr unten außerordentlich weitfaltiges, doch um Brust und Arme eng schlie-
ßendes, auch wie die Arler Frauenkleider giirtelloses Gewand vorn in der Mitte empor-
nimmt. Es ist ein Lieblingsmotiv der Arler; auch Antelami hat es ihnen abgesehen (seine
Salome).
Diese Capitelle nun miissen schon 1159 fertig gewesen sein »quando, secondo l'iscrizione
letta dal canonico Bassoli, nella parte quadrata della torre volta verso Occidente, fu
»completa in nomine Domini ista turris« . . . La data del 1159 sarebbe quindi la più
prossima all'edificazione del »pontile«, e segnerebbe uno dei momenti dell'attività del
nostro scultore. E che non sia di molto posteriore a questa ce ne assicurano gli adden-
tellati dell'arte sua con quella dell' Antelami.«
Zwar ist der Porticus der Siidseite des Domes, der ganz verwandte Akanthusranken
23 Sehr charakteristisch das des Habakuk a. d. Danielcapitell.
24 Wichtig, daß pflanzliche und figürliche Motive auch in Arles durcheinandergehen.