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Vöge, Wilhelm; Panofsky, Erwin [Bearb.]
Bildhauer des Mittelalters: gesammelte Studien — Berlin, 1958

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https://doi.org/10.11588/diglit.31190#0259
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Jahrbuch der Preußischen Kunstsammlungen, Bd. XXIX, 1908, S. 217-222

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Oie <JA4adonna der SaMmlung Oppenheim

Vor kurzem hat Benoit Oppenheim seine Bildwerke herausgegeben1. Neben herrlichen
deutschen und niederländischen Sachen und einigen italienischen findet man in seiner
Sammlung eine Reihe erlesener französischer Skulpturen, doppelt verlockend, da sie der
näheren Bestimmung noch harren. Fiir einige gibt der sachkundige Text wertvolle Fin-
gerzeige, andere verzeichnet er kurz als französisch. Es sind nicht nur Arbeiten der
französischen Spätgotik und Frührenaissance; Oppenheim hat auch für das französische
Mittelalter ein sicheres Gefiihl, ein empfindsames Auge. Er besaß schon seit längerem
eine französische Elfenbeinmadonna aus der Zeit um 1300, die von den anmutigsten ist,
welche wir kennen2, an die der Sammlung Doisteau erinnernd. Neuerdings ist dann eine
der schönsten französischen Altarmadonnen des XIV. Jahrhunderts in seinen Besitz ge-
langt. Mit der »Dürerschen« Tänzerin und der Bischofsbüste von Tilmann Riemen-
schneider gehört sie zu den Hauptstücken seiner Sammlung (vgl. Abb. x).

Der Lichtdruck gibt keine volle Vorstellung von dem Zauber dieser Figur, schon weil die
Farben fehlen: ein wunderschönes Beisammen von gedämpften weißen Tönen und alter
Vergoldung. Das Gold wird befeuert vom Rot der Untermalung, aus dem Inkarnat da-
gegen sind alle Röten verflogen, es blickt leuchtendblaß aus bräunlichem Gelock3.

Die Figur — so mittelalterlich sie ist — hat einen Anflug von antiker Herrlichkeit, beson-
ders das Antlitz in seiner junonischen Fitlle, den vollen, dennoch abweisenden Lippen,
dem dichten, feingekrausten Lockenhaar. Das Faltenwerk, so wenig es abzuweichen
scheint vom längst Geläufigen, gibt feine Spiegelungen der Stimmung. Mehr passiv
bewegt, niederhängend, -schwebend oder -fallend, begleitet es jene edle Schwermut,
die in den Zügen ist.

Wir wissen nichts über die Herkunft der Figur, ihre engere Heimat; sie nach Stil und
Erfindung allein an ihren Platz zu stellen, ist so leicht nicht. Es kommen in dieser Zeit
an ganz verschiedenen Orten Frankreichs, an entfernten Punkten seiner Peripherie und
über sie hinaus bisweilen Werke vor, die nach Motiv und Behandlung einander nahe
sind; z. B. ist die aus Pisa stammende Marmormadonna des Kaiser-Friedrich-Museums
(Abb. 2) der in der Kathedrale von Antwerpen (Abb. 3) auffallend ähnlich4. Vielleicht ist

1 Originalbildwerke aus meiner Sammlung (in 58 Tafeln); Berlin 1907. Die Publikation ist
dankenswerterweise in hundert Exemplaren auch in den Buchhandel gegeben (Leipzig, bei
Hiersemann).

2 Taf. 35 Nr. 72.

3 Die Locken waren ursprünglich vergoldet; auch die Rückseite, deren Aushöhlung geschlossen
ist, war, obschon nur wenig bearbeitet, volistandig bemalt.

4 Die hier gegebene Abbildung nach van Ysendycks Documents de l'art dans les Pays-Bas;
 
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