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Vöge, Wilhelm; Panofsky, Erwin [Bearb.]
Bildhauer des Mittelalters: gesammelte Studien — Berlin, 1958

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https://doi.org/10.11588/diglit.31190#0277
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Allgemeine Zeitung, Miinchen, Beilage zu Nr. 43 vom 23. Februar 1903, S. 341-342

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Ein Handbuch der älteren französischen Kunst

Camille Enlart. Manuel d'archéologie française depuis les temps mérovingiens juscju'à
la renaissance. Première partie, Architecture, I. Architecture religieuse, Paris 1902,
A. Picard, Rue Bonaparte 82. (16 Francs.)

Daß Camille Enlart es unternommen hat, für den Picardschen Verlag ein großes — die
Renaissance mit einschließendes — Handbuch der französischen Kunst zu schreiben, ist
ein Ereignis, das weitere Kreise angeht. Seit Viollet-le-Ducs Dictionnaire hat niemand
ernstlich versucht, den gewaltigen Stoff nach Tiefe und Breite zugleich zu durchdringen,
wohl aber ist inzwischen eine kaum übersehbare Fülle neuer Forschungen aufgehäuft.
Die Fiille zu zwingen vermochte nur ein Forscher von umfassendster Autopsie. Hier war
Enlart die gegebene Kraft. Unter den jtingeren, in der Ecole des Chartes erzogenen Ge-
lehrten, die mit erstaunlichem Erfolge wetteifern, die heimische Kunstgeschichte auf
sichere Basis zu stellen, ist Enlart einer der ersten. Verständnisvoll unterstiitzt von der
Regierung, hat er seine Untersuchungen nicht nur auf den ganzen französischen Boden,
sondern — der Reihe nach — auf alle jene Länder auszudehnen vermocht, die seit dem
Mittelalter der französische Einfluß sich unterworfen oder gestreift hat. Die »Origines
françaises de Tart gothique en Italie« und ein Buch iiber Gotik und Renaissance auf
Cypern waren neben einem großen Werk iiber die romanische Kunst der Picardie die
schönsten Friichte dieser Studien.

Was auch das Handbuch auszeichnet, ist der weite, beherrschende Ueberblick iiber den
Stoff. Es wird hier »Archéologie nationale« geboten, die nicht Halt macht an den Grenz-
pfählen; sie iiberschaut alle Nachbar-, ja alle Kulturländer, die, ausspendend oder emp-
fangend, an der französischen Kunstgeschichte teilhaben.

Gleich die ersten Abschnitte iiber die altchristlich-merovingische und karolingische Zeit
ziehen die erhaltenen Bauten (und Reste) aller christlichen Mittelmeervölker, wie die
deutschen und englischen mit in die Erörterung. Dabei schweift der Blick geistreich schon
zu Mittelalter und Renaissance voraus: Noch nie sind so umfassend und iiberzeugend
die Keime der wichtigsten romanisch-gotischen Formgedanken in der christlichen Friih-
zeit aufgewiesen. Die Verwendung des Pfeilers1 statt und neben der Säule (Stiitzen-
wechsel), die Emporen und Scheinemporen, die Ausfiillung der großen Arkaden durch
Gruppen von zwischengeschalteten kleineren, die Ueberwölbung der Nebenschiffe; —
im Grundriß die ganze Fiille verschiedener Chorbildungen, die runden, rechteckigen.

1 Ob der kreuzförmige Pfeiler eine schon karolingische Idee ist, bleibt zugleich mit dem
Datum von Saint-Philbert de Grandlieu (S. 178) einstweilen zweifelhaft.
 
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