Über die Bamberger Domsculpturen
14I
Es bleibt immer werthvoll, was einer der besten Kenner und aufrichtigsten Bewunderer
der altfranzôsischen Sculptur, Viollet-le-Duc, über die Bamberger Apostel in seinen Dic-
tionnaire de l'architecture bemerkt hat21: »II a dans les gestes, dans les expressions de
ces personnages qui discutent, un sentiment dramatique prononcé, penchant vers le
réalisme, qu'on ne trouve à cette époque dans aucune autre école.« Diese Beobachtung ist
auch heute noch vollkommen zutreffend. Der Zug zum Dramatischen ist in Bamberg ver-
bunden mit einer tiefernsten Versenkung in das Sujet, wie sie jenen verwandten franzôsi-
schen Gruppen nicht entfernt eigen ist. Die Formfreude und die decorative Absicht über-
wiegen in Frankreich; das Inhaltliche ist vielfach nur ein Vorwand für eine kunstvolle,
wirkungsvolle Inscenirung. Für den Bamberger Meister ist bei aller — altfrânkischen —
Freude am Schnôrkel die energische Verdeutlichung des Vorgangs das erste Gebot. Daher
diese gespannte Energie des geistigen Ausdrucks in den Kôpfen, die in Frankreich kaum
irgendwo begegnen dürfte; auch spâter nicht. Die Augen sprechen, sie drohen und
sprühen Funken; insbesondere der Jonas (Abb. 3) erscheint wie eine Vorahnung dessen,
was Dürer in manchen seiner Portraits giebt. — Das ornamentale Blâtterwerk an den Con-
solen, die (auf den meisten Reliefs) hinter den Kôpfen der Apostel sichtbar werden, ist
in Anordnung und Erfindung von ausgesprochen deutschem Geschmack, desgleichen das
Rankengeschlinge, das einige der Bogenfelder fiillt; diese Ornamente aber sind gewiß
von der Hand, die das Figiirliche schuf.
TEIL II22
Die inzwischen von Goldschmidt verôffentlichten Studien23 iiber die Stilentwicklung der
romanischen Sculptur in Sachsen haben eine Ergânzung und — auf diesem Umwege —
Bestätigung meiner Anmerkungen zu den âlteren Bamberger Sachen gebracht. Denn auch
durch Goldschmidt's Beobachtungen wird die große Bedeutung in's Licht gesetzt, welche
die byzantinische Kleinkunst für die deutsche Monumentalsculptur dieser Zeit gehabt
hat. Dabei muß von Fall zu Fall allerdings erst entschieden werden, ob es sich, wie môg-
licher Weise24 in Hildesheim (Chorschranken in St. Michael, Adelog-Grabmal, Portal-
lünette v. St. Godehard) um Benutzung byzantinischer Originalwerke oder, wie ohne Frage
in Bamberg, um das Wiederauf- oder Fortleben âlterer, seit langem im Abendlande accli-
21 Bd. VIII, S.158. Erkommt auch in seinen Lettres adressées de I'Allemagne auf die Bamberger
Sculpturen zu sprechen; sie erinnern ihn an — Cornelius!
22 Vgl. Rep. f. K. W. 189g, 94 ff. Das spâte Erscheinen dieses Aufsatzes ist z. Th. dadurch ver-
anlaßt, daß ich diejenigen Punkte, die ich ursprünglich in dieser Fortsetzung zu betonen ge-
dachte, besonders die Ansicht von dem Schulzusammenhang der zwei Bamberger Ateliers, schon
von Goldschmidt hervorgehoben sah. (DLZ 1898, 481 ff.) Später ergab sich dann allerdings, daß
über die Bamberger Frage noch Manches zu sagen blieb, insbesondere zur Kritik der Reimser
Sachen, ohne welche auch das Verhältniß des Bamberger Meisters zu Reims nicht klar gefaßt
werden kann. Natürlich gebe ich hier nicht mehr eine Kritik des Weese'schen Buches, sondern
beschränke mich nach Môglichkeit auf die Mittheilung — und Sicherstellung — meiner eigenen
Beobachtungen, welche diejenigen der Vorgänger theils ergânzen, theils zu ihnen im Gegensatz
stehen.
23 Im Jahrbuch der Kgl. pr. KSS. 1900, 225 ff.
24 Sicher scheint mir das auch hier nicht.
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Es bleibt immer werthvoll, was einer der besten Kenner und aufrichtigsten Bewunderer
der altfranzôsischen Sculptur, Viollet-le-Duc, über die Bamberger Apostel in seinen Dic-
tionnaire de l'architecture bemerkt hat21: »II a dans les gestes, dans les expressions de
ces personnages qui discutent, un sentiment dramatique prononcé, penchant vers le
réalisme, qu'on ne trouve à cette époque dans aucune autre école.« Diese Beobachtung ist
auch heute noch vollkommen zutreffend. Der Zug zum Dramatischen ist in Bamberg ver-
bunden mit einer tiefernsten Versenkung in das Sujet, wie sie jenen verwandten franzôsi-
schen Gruppen nicht entfernt eigen ist. Die Formfreude und die decorative Absicht über-
wiegen in Frankreich; das Inhaltliche ist vielfach nur ein Vorwand für eine kunstvolle,
wirkungsvolle Inscenirung. Für den Bamberger Meister ist bei aller — altfrânkischen —
Freude am Schnôrkel die energische Verdeutlichung des Vorgangs das erste Gebot. Daher
diese gespannte Energie des geistigen Ausdrucks in den Kôpfen, die in Frankreich kaum
irgendwo begegnen dürfte; auch spâter nicht. Die Augen sprechen, sie drohen und
sprühen Funken; insbesondere der Jonas (Abb. 3) erscheint wie eine Vorahnung dessen,
was Dürer in manchen seiner Portraits giebt. — Das ornamentale Blâtterwerk an den Con-
solen, die (auf den meisten Reliefs) hinter den Kôpfen der Apostel sichtbar werden, ist
in Anordnung und Erfindung von ausgesprochen deutschem Geschmack, desgleichen das
Rankengeschlinge, das einige der Bogenfelder fiillt; diese Ornamente aber sind gewiß
von der Hand, die das Figiirliche schuf.
TEIL II22
Die inzwischen von Goldschmidt verôffentlichten Studien23 iiber die Stilentwicklung der
romanischen Sculptur in Sachsen haben eine Ergânzung und — auf diesem Umwege —
Bestätigung meiner Anmerkungen zu den âlteren Bamberger Sachen gebracht. Denn auch
durch Goldschmidt's Beobachtungen wird die große Bedeutung in's Licht gesetzt, welche
die byzantinische Kleinkunst für die deutsche Monumentalsculptur dieser Zeit gehabt
hat. Dabei muß von Fall zu Fall allerdings erst entschieden werden, ob es sich, wie môg-
licher Weise24 in Hildesheim (Chorschranken in St. Michael, Adelog-Grabmal, Portal-
lünette v. St. Godehard) um Benutzung byzantinischer Originalwerke oder, wie ohne Frage
in Bamberg, um das Wiederauf- oder Fortleben âlterer, seit langem im Abendlande accli-
21 Bd. VIII, S.158. Erkommt auch in seinen Lettres adressées de I'Allemagne auf die Bamberger
Sculpturen zu sprechen; sie erinnern ihn an — Cornelius!
22 Vgl. Rep. f. K. W. 189g, 94 ff. Das spâte Erscheinen dieses Aufsatzes ist z. Th. dadurch ver-
anlaßt, daß ich diejenigen Punkte, die ich ursprünglich in dieser Fortsetzung zu betonen ge-
dachte, besonders die Ansicht von dem Schulzusammenhang der zwei Bamberger Ateliers, schon
von Goldschmidt hervorgehoben sah. (DLZ 1898, 481 ff.) Später ergab sich dann allerdings, daß
über die Bamberger Frage noch Manches zu sagen blieb, insbesondere zur Kritik der Reimser
Sachen, ohne welche auch das Verhältniß des Bamberger Meisters zu Reims nicht klar gefaßt
werden kann. Natürlich gebe ich hier nicht mehr eine Kritik des Weese'schen Buches, sondern
beschränke mich nach Môglichkeit auf die Mittheilung — und Sicherstellung — meiner eigenen
Beobachtungen, welche diejenigen der Vorgänger theils ergânzen, theils zu ihnen im Gegensatz
stehen.
23 Im Jahrbuch der Kgl. pr. KSS. 1900, 225 ff.
24 Sicher scheint mir das auch hier nicht.