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Wolf, Gunther
Satura mediaevalis: Gesammelte Schriften ; Hrsg. zum 65. Geburtstag (Band 3): Stauferzeit — Heidelberg, 1995

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https://doi.org/10.11588/diglit.15265#0077

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Dieses Recht zu verwirklichen galt als der Zweck des germanischen und frühmittelal-
terlichen ,Staates'15. Dabei war älteres Recht, mos maiorum nach den consuetudines,
grundsätzlich immer dem jüngeren überlegen16, so daß neue Gesetze im positiven Sinn
immer als restauratio oder restitutio des alten guten Rechts aufgefaßt wurden. Man
nannte das ,legem emendare'17. Recht war der Germanen höchstes Gut. Kein Wunder,
daß neben den virtutes der Tapferkeit und der kriegerischen Macht, der ,arma'18 die
Rechtlichkeit, die iustitia des Herrschers immer wieder gepriesen wurde19. ,Arma' und
'leges' sind die Mittel königlicher Herrschaftshandhabung20. So wird es verständlich, daß
uris auch in den Quellen und insbesondere in der ,Fürstenspiegelliteratur' bis ins späte
13. Jahrhundert, das Ideal des ,großen Gesetzgebers' begegnet und dafür ,immerzu das
Ideal des rechtskundigen, rechtsgewillten, rechtmäßigen und friedliebenden Fürsten', d.
h- des Herrschers, der sich dem Recht als Norm verpflichtet weiß21. Auch die alttesta-
mentlichen Vorstellungen, die ja, wie man in den letzten Jahrzehnten in der Forschung
mehr und mehr erkennt, auch im christlichen Mittelalter eine bedeutende Rolle spielten,
weisen auf den dem Recht verpflichteten Herrscher hin.

Jahwe ist die Quelle allen Rechts und aller Gerechtigkeit - Recht und Gerechtigkeit
Slnd bei ihm vollkommen und ewiglich23. Er ist gerecht und hat Gerechtigkeit lieb, sagt
der Psalmist24. So ist auch der König nach Jahwes Herzen, David, ein Spiegel der Gerech-
tigkeit und wird dessen gerühmt: ,faciebat iudicium et iustitiam omni populo suo'25. Ja,
David ist von Gott geradezu zu dem Zweck eingesetzt ,Deus constituit te regem, ut face-
res iudicium atque iustitiam'26. Insbesondere die Psalmen sind voll vom Preis des Rechts
^d der Gerechtigkeit. So erhält auch David seine Zusage des ewigen Bundes von Gott
als ,Gesalbter der Gerechtigkeit'27. Damit aber wird er zum Prototyp des gerechten Kö-
nigs der Schrift für das Mittelalter28. Daran knüpft ja bekanntlich auch die Inschrift der
David-Platte der mittelalterlichen Kaiserkrone ,honor regis iudicium diligit' an29, und die
selbstbezeichnungen und Bezeichnungen mittelalterlicher Herrscher als David von
Childebert I., Pippin, Karl dem Großen, Ludwig dem Frommen usw.30 bis hin zur Auf-
nahme dieser Titulatur durch Kaiser Friedrich II. im Jahre 1229 nach der jerusalemischen
J^rönung meinen dasselbe (wobei wohl bei Friedrich noch ein besonderer Akzent bezüg-
lich des davidischen Königtums gesetzt ist, der mir neu zu sein scheint und worüber ich
n°ch andernorts handeln werde31). ,Facere iustitiam' im davidischen Sinne ist in christli-
cher Sicht sicherlich seit Tertullian auch ,misericordia erga pauperes'32. So mahnt 1024
aer Erzbischof von Mainz, Konrad IL, ,ut facias iudicium et iustitiam ac pacem patrie ...
Ut sis defensor ecclesiarum et clericorum, tutor viduarum et orphanorum .../33, und die

^rönungsformel selbst stellt dem Herrscher vor Augen: ,ut iudicium et iustitiam dili-
gas'34.

Das greift aber schon über die germanische Staats- und Rechtsanschauung hinaus, ist
-daneben von fortschreitender, tätiger, ausgreifender Natur'35. Nicht das überlieferte und
feiende Gewohnheitsrecht, sondern das niemals ganz erreichte, aber ewig zu erstreben-
e göttlich-natürliche Vernunftsrecht, in gewissem Sinne auch das Kirchenrecht und vor
lern seine biblisch-theologischen Untergründe: das ist es, was der Staat achten und zur
Geltung bringen soll36.

Das ist aber ein neues, für das frühe Mittelalter gegenüber der Germanenzeit, konsti-
^"ves Moment.

'Vera iustitia' ist nach Augustin die final auf den ewigen Frieden Gottes gerichtete,
°bei diesem finalen Moment eben ein in nuce dynamisches innewohnt, das über den
Sermanischen, weitgehend konservativen, restaurierenden Rechtsgedanken hinausführt

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zu einer norma maior: ,Iustitia est, ut obedienti Deus homini, animus corpori, ratio au-
tem vitiis etiam repugnantibus imperet vel sub jugando vel resistendo.'37 Damit ermög-
licht oder heischt gar die kirchliche Rechtsauffassung der christlichen Obrigkeit Dispens
vom positiven Recht, indem sie nach Acta 5, 29: ,obedire oportet Deo magis, quam homi-
nibus' (jt£i6aQxetv Sei 6eü> \xä\\ov rj dvÖQümoic,)38 das auf Piatons sokratische ,Apologie'
(29 D: 4 JiEiooum bzl T<5 6eö) \iä\\o\ rj X)(xiv) zurückzuverfolgende öet der Überordnung
des ius divinum gegenüber dem positiven Recht sanktioniert. Welche Möglichkeiten der
neuen Interpretation des Verhältnisses von rex und lex das bot, wird unten noch zu erör-
tern sein.

Auch in der klassischen Antike fand das Verhältnis von lex und rex Beachtung. Schon
in homerischer Zeit39, in späthellenistischen Königsspiegeln40 und Auseinandersetzungen
um die Rechtspflege im ptolemäischen Ägypten41, nicht zuletzt aber auch bei den großen
Philosophen der griechischen Klassik, von denen Aristoteles42 nicht nur seinen verlore-
nen Jugenddialog ,Über die Gerechtigkeit', sondern auch das ganze V. Buch seiner
berühmten nikomachischen Ethik der Tugend der Gerechtigkeit widmete, die für ihn
nicht nur, wie seit den Tagen Homers und Hesiods üblich, Gesetzmäßigkeit ist, sondern,
anknüpfend an Piaton, zugleich Inbegriff der Tugendhaftigkeit43.

Gerechtigkeit und Rechtlichkeit werden dann, über Diogenes44 und Dionysios von
Halikarnass45, zu einer politischen Haupttugend des Augustus auf dem Ehrenschild,
nach dem Monumentum Ancyranum46. Damit hat die ,iustitia' ihren festen Platz auch in
der in antiker Tradition stehenden Tugendlehre47. Sie konstituiert geradezu den rex: ,Rex
a recte agendo vocatur. Si enim pie et iuste et misericorditer regit, merito rex appellatur;
si his caruerit, nomen regis amittit.'48

Fassen wir die Anschauungen über das Verhältnis von Herrscher und Recht, wie sie
uns in der Karolinger-, Ottonen- und Salierzeit begegnen (mit geringen Unterschieden
der Akzentuierung, die wir hier außer Betracht lassen können), zusammen, so ergibt
sich:

1. Der Herrscher steht unter der Pflicht, Recht zu wahren481 und zu gebieten.

2. Rechtlichkeit und Gerechtigkeit, gemessen an der Wahrung von göttlichem und
überkommenem Volksrecht, gehören zur Herrschertugend.

3. Wo göttliches (ius divinum) und Volksrecht einander widerstreiten, heischt, unter
kirchlichem Einfluß, die Zeitanschauung immer mehr einen Vorzug des ius divi-
num.

4. Daraus folgt: Der Herrscher steht, in der bislang betrachteten Zeit des Mittelalters,
grundsätzlich unter dem Recht, in jedem Falle unter dem idealen guten Recht und
dem ius divinum. Nur wo damit das ius positivum und das Gewohnheitsrecht in
Widerspruch stehen, ausnahmsweise über letzterem49.

Diese zuletzt angedeutete Kollision aber scheint mir ein Urgrund der Auseinander-
setzungen des sogenannten Investiturstreits zu sein, in dessen Verlauf und unter dessen
Einfluß sich die Dinge wesentlich geändert haben: Stand einerseits der Herrscher, wie
wir sahen, infra legem, so nach der sich allmählich entwickelnden Anschauung, die auf
den homo spiritualis von 1. Cor. 2, 1550 zurückgriff, der Papst als vicarius Christi supra
legem, da ihm als Nachfolger Petri auch die Binde- und Lösegewalt gegenüber der lex
zuerkannt wurde51.

So war es nur folgerichtig, in seinem Sinne, daß Gregor VII. die rechtliche Stellung
des Papstes gleichsam wie in einem Prisma zusammenfaßte:quod Uli (papae) soli li-
cet pro temporis necessitate novas leges condere.'52

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