Hier aber liegt nun, in der Tat, erstmals seit langer Zeit ein unmittelbarer und absicht-
licher Rückgriff auf das ius Romanum der alten römischen Imperatoren nicht von der
kaiserlichen oder gar königlichen, sondern von päpstlicher Seite vor53, wie ja auch die
Lehre von der Volkssouveränität erstmals im Mittelalter von der päpstlichen Partei auf-
gegriffen wurde51.
Seit dieser Zeit wird nun das römische Recht55, oft in Verbindung mit dem daraus,
ebenfalls schon in der ausgehenden Antike, abgeleiteten kanonischen Recht einmal zu ei-
ner hervorragenden politischen Waffe56, zum anderen zu einer Fundgrube politisch-
rechtlicher Kategorien57 und zu einem gewaltigen Denk- und Besinnungsanstoß in Ver-
bindung mit der Wiederentdeckung des Aristoteles, die in ihrer Bedeutung kaum über-
schätzt werden kann.
Kein Wunder, daß in dieser Zeit, die man das Jahrhundert des Rechts genannt hat58,
^e Bedeutung der ,iustitia' bis zur Vorstellung des Reiches als des ,templum iustitia'5'
gesteigert wird. ,Es war, zum Teil im Einklang mit den politischen Wandlungen, die rö-
mische Jurisprudenz, welche hier die alte Anschauung grundsätzlich angreifen sollte'60
^d ,Es beginnt jene dem germanischen Denken so fremde Entwicklung', die Gierke61 so
trefflich als die ,Verselbständigung der Staatsidee gegenüber der Rechtsidee'62 gekenn-
zeichnet hat.
Diese Entwicklung ist bei Friedrich I. Barbarossa und seiner Zeit erst in den Anfängen
Nachzuweisen: römische Formeln wie ,perpetuali lege sanctientes'63 oder ,hac nostra
Pragmatica sanctione'64 etc. tauchen zwar ebenso auf wie die Formel des Justinianischen
^stitutio nen-Proömiums65. Aber der alte Charakter des Herrschers als des Rechtswah-
rers ist auch noch vorhanden; etwa im Reichslandfrieden von 1152: nos tarn divinas
luarn humanas leges in suo vigore manere cupientes.' Aber schon erscheinen, wiederum
"^SS/ bei Rahewin die Worte des Erzbischofs von Mailand an Friedrich I. auf dem ronka-
rschen Reichstag: ,Scias itaque omne ius populi in condendis legibus tibi concessum.
1 ua voluntas ius est, sicut dicitur: Quod principi placuit, legis habet vigorem, cum popu-
Us ei et in eum omne suum imperium et potestatem concesserit. Quodcumque enim im-
Perator constituerit, vel cognoscens decreverit, vel edicto preceperit, legem esse con-
stat.'«
Das allein besagt zwar noch nicht viel über Barbarossas Anschauungen. Aber der
;^renga-Typ ,ratio exigit (suadet)'67 und die bekannte, allerdings noch im dispositiven
eiI der Urkunde für Speyer von 118368 versteckte Formel ,Quoniam vero sicut nostrum
est, leges condere ita et que dubia sunt benigne interpretari ...'69, rückt doch, wie früher
ei Gregor VII., die lex in die Nähe der päpstlichen, so das jetzt die lex in den Bereich der
aiserlichen auctoritas, wobei das Verhältnis eben über die bloße Bewahrung hinaus-
uhrt, zur Möglichkeit rationaler Neuschaffung wurde70.
Bei Friedrich II. allerdings rückt die lex nicht mehr nur in die Nähe, sondern hier, und
as erscheint im Mittelalter als ein Novum im europäischen Bereich, erfolgt geradezu
erne auf uralte Vorstellungen zurückgreifende Reidentifikation von lex und rex, indem
er Kaiser als lex animata in terris erscheint72. Diese Formulierung, die erstmals im Jahre
als ,dominus imperator, qui est animata lex in terris'n, dann in einem Schiedsspruch
aUch des Kaisersohnes Heinrichs (VII.) 1231 ,de plenitudine regie potestatis qua tan-
!Juam viva et animata lex in terris supra leges sumus'74 erscheint und weiter in einer Ur-
rrnde Friedrichs II. für Asti 1232 ,in maiestatem nostram, qui est lex animata in terris et a
^Ua iura civilia oriuntur'75 nachweisbar ist, entstammt - wie könnte es anders sein - rö-
^rschen Rechtsvorstellungen. In der Novelle 105 Justinians steht ,Omnibus enim a nobis
146
dictis imperatoris excipiatur fortuna, cui et ipsas deus leges subiecit, legem animata eum
mittens hominibus'76, was seinerseits wieder auf Plutarchs Moralia77 und Aristoteles
zurückgeht:
,üc, ouv ao^ei xotig uqxovtec,; 6 v6|xoc, 6 ji&vtwv ßaaiXetig - oüx ev ßiß)ioic. 'e|(d YEYOair-
Hevoig, oüöe ttoi |i)Xoic., &XV en^ar/oc. cov ev avxw Xoyoic,, bzw. ö yäcj 6ixaaTf|c. ßoi&exai
Eivai oiov öixcuov Enipir/ov und als Idee ebenso Bestandteil der späthellenistischen Welt
wird wie nach Friedrichs II. Topos des Spätmittelalters78.
Der Kaiser als ,lex animata', in Anlehnung an die Vorstellung des Xöyoc, Eji^uxoc, von
Gott den Menschen gesandt (was Gottfried von Viterbo noch steigert zu: ,Deus sanciendi
potestatem imperatoribus donavit')7', das führt in die Nähe jenes Xoyog-Begriffes des Jo-
hannes-Evangeliums. Somit wird der Kaiser, wird Friedrich, bezeichnenderweise nach
der jerusalemischen Krönung 1229, die ja auch ein Markstein der Entwicklung der
Staatsvorstellung ist, zum ,elg (.ieoltt|5 öeoü xcci, ävOqümiwv.', zum ,Mittler,S0 von Deutero-
jesaia, 1. Tim. 2, 5, oder Galater 3,19.20 nicht nur in juristischer, sondern auch kosmolo-
gischer und soteriologischer Bedeutung, er ist (so würde ich es im Gegensatz zu W. Ber-
ges, der vom ,leibgewordenen Gesetz' spricht51, nennen) das fleischgewordene Gesetz'
(meinethalben auch: die .Inkarnation des Rechts'), mit all' den Untertönen, die nach dem
Johannes-Evangelium, das ja auch sonst bei Friedrich in hohem Ansehen steht82, mit-
schwingen (,das' ,Wort' ,ward Fleisch und wohnte unter uns'). So begreift sich Friedrich
als imago Dei im Hinblick auf die und durch die iustitia83 (die hier im allgemeinen Sinne
mit lex bedeutungsgleich ist), als Mittler zwischen Gott und den Menschen, wie dies im
Hinblick auf die und durch die gratia für das sacerdotium galt: der Staat, mit dem Kaiser
an der Spitze, wird Heilsinstitut84, wie es die Kirche seit langem war.
,Oportet igitur Cesarem fore iustitie patrem et filium, dominum et ministrum: patrem
et dominum in edendo iustitiam et editam conservando, sie in venerando iustitiam sit fi-
lius et in ipsius copiam ministrando minister'85 schreibt Friedrich im Liber Augustalis,
und man hat die Stellung als Sohn und Diener auf die Rechtsgebundenheit des Herr-
schers gegenüber dem ius divinum, die Stellung als pater und dominus auf die römi-
schen Rechtssätze ,Quod principi placuit, legis habet vigorem' und ,Princeps legibus so-
lutus' bezogen86. Sicher zu Recht. Sicher untersteht der Kaiser dem göttlichen Recht, wie
andererseits die iura civilia der kaiserlichen Majestät kraft göttlichen Auftrags entflie-
ßen87. Aber es scheint doch, daß gerade bei der Wahl der Ausdrücke dieser ,zwei Natu-
ren' des Kaisers, im Hinblick auf die iustitia, nicht reiner Zufall waltet. Gilt für Gott Au-
gustins Wort: ,Ipse fons iustitie Deus'88, so ist als editor, als pater und dominus, der Kai-
ser imago Dei89, während als minister ,Dei enim minister est tibi in bonum' im Sinne der
potestas von Römer 13, 4 - wobei hier etwas vom Auserwähltsein der alttestamentlichen
Gottesknechte90 mitzuschwingen scheint, zu denen ja auch David gehört.
Wie aber bereits oben erwähnt, hat Friedrich II. in seiner großen Enzyklika ,Letentur
in Domino' vom 18. März 122991, nach der Königskrönung in Jerusalem, tatsächlich auf
das regnum Davidicum rekurriert und mehrfach David als ,noster predecessor' gefeiert
- als Begründer der stirps regia Israel'2. Daß sich das alles in kaiserliche Herrschervor-
stellungen, die auf Menschensohn- und Messias-Vorstellungen jüdischer Prägung
zurückgehen, einfügt, habe ich bereits an anderer Stelle mehrfach gezeigt93. Es scheint zu
erhärten, was die neuere Forschung im Gegensatz etwa zu Jacob Burckhardt und Franz
Kampers betont94: daß Friedrich II. nicht der ,erste moderne Mensch auf dem Thron'
(Burckhardt) oder der ,Wegbereiter der Renaissance' (Kampers) genannt werden kann,
sondern daß er Vollender des Mittelalters war95, in der Weise auch, als er das Sakrale des
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licher Rückgriff auf das ius Romanum der alten römischen Imperatoren nicht von der
kaiserlichen oder gar königlichen, sondern von päpstlicher Seite vor53, wie ja auch die
Lehre von der Volkssouveränität erstmals im Mittelalter von der päpstlichen Partei auf-
gegriffen wurde51.
Seit dieser Zeit wird nun das römische Recht55, oft in Verbindung mit dem daraus,
ebenfalls schon in der ausgehenden Antike, abgeleiteten kanonischen Recht einmal zu ei-
ner hervorragenden politischen Waffe56, zum anderen zu einer Fundgrube politisch-
rechtlicher Kategorien57 und zu einem gewaltigen Denk- und Besinnungsanstoß in Ver-
bindung mit der Wiederentdeckung des Aristoteles, die in ihrer Bedeutung kaum über-
schätzt werden kann.
Kein Wunder, daß in dieser Zeit, die man das Jahrhundert des Rechts genannt hat58,
^e Bedeutung der ,iustitia' bis zur Vorstellung des Reiches als des ,templum iustitia'5'
gesteigert wird. ,Es war, zum Teil im Einklang mit den politischen Wandlungen, die rö-
mische Jurisprudenz, welche hier die alte Anschauung grundsätzlich angreifen sollte'60
^d ,Es beginnt jene dem germanischen Denken so fremde Entwicklung', die Gierke61 so
trefflich als die ,Verselbständigung der Staatsidee gegenüber der Rechtsidee'62 gekenn-
zeichnet hat.
Diese Entwicklung ist bei Friedrich I. Barbarossa und seiner Zeit erst in den Anfängen
Nachzuweisen: römische Formeln wie ,perpetuali lege sanctientes'63 oder ,hac nostra
Pragmatica sanctione'64 etc. tauchen zwar ebenso auf wie die Formel des Justinianischen
^stitutio nen-Proömiums65. Aber der alte Charakter des Herrschers als des Rechtswah-
rers ist auch noch vorhanden; etwa im Reichslandfrieden von 1152: nos tarn divinas
luarn humanas leges in suo vigore manere cupientes.' Aber schon erscheinen, wiederum
"^SS/ bei Rahewin die Worte des Erzbischofs von Mailand an Friedrich I. auf dem ronka-
rschen Reichstag: ,Scias itaque omne ius populi in condendis legibus tibi concessum.
1 ua voluntas ius est, sicut dicitur: Quod principi placuit, legis habet vigorem, cum popu-
Us ei et in eum omne suum imperium et potestatem concesserit. Quodcumque enim im-
Perator constituerit, vel cognoscens decreverit, vel edicto preceperit, legem esse con-
stat.'«
Das allein besagt zwar noch nicht viel über Barbarossas Anschauungen. Aber der
;^renga-Typ ,ratio exigit (suadet)'67 und die bekannte, allerdings noch im dispositiven
eiI der Urkunde für Speyer von 118368 versteckte Formel ,Quoniam vero sicut nostrum
est, leges condere ita et que dubia sunt benigne interpretari ...'69, rückt doch, wie früher
ei Gregor VII., die lex in die Nähe der päpstlichen, so das jetzt die lex in den Bereich der
aiserlichen auctoritas, wobei das Verhältnis eben über die bloße Bewahrung hinaus-
uhrt, zur Möglichkeit rationaler Neuschaffung wurde70.
Bei Friedrich II. allerdings rückt die lex nicht mehr nur in die Nähe, sondern hier, und
as erscheint im Mittelalter als ein Novum im europäischen Bereich, erfolgt geradezu
erne auf uralte Vorstellungen zurückgreifende Reidentifikation von lex und rex, indem
er Kaiser als lex animata in terris erscheint72. Diese Formulierung, die erstmals im Jahre
als ,dominus imperator, qui est animata lex in terris'n, dann in einem Schiedsspruch
aUch des Kaisersohnes Heinrichs (VII.) 1231 ,de plenitudine regie potestatis qua tan-
!Juam viva et animata lex in terris supra leges sumus'74 erscheint und weiter in einer Ur-
rrnde Friedrichs II. für Asti 1232 ,in maiestatem nostram, qui est lex animata in terris et a
^Ua iura civilia oriuntur'75 nachweisbar ist, entstammt - wie könnte es anders sein - rö-
^rschen Rechtsvorstellungen. In der Novelle 105 Justinians steht ,Omnibus enim a nobis
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dictis imperatoris excipiatur fortuna, cui et ipsas deus leges subiecit, legem animata eum
mittens hominibus'76, was seinerseits wieder auf Plutarchs Moralia77 und Aristoteles
zurückgeht:
,üc, ouv ao^ei xotig uqxovtec,; 6 v6|xoc, 6 ji&vtwv ßaaiXetig - oüx ev ßiß)ioic. 'e|(d YEYOair-
Hevoig, oüöe ttoi |i)Xoic., &XV en^ar/oc. cov ev avxw Xoyoic,, bzw. ö yäcj 6ixaaTf|c. ßoi&exai
Eivai oiov öixcuov Enipir/ov und als Idee ebenso Bestandteil der späthellenistischen Welt
wird wie nach Friedrichs II. Topos des Spätmittelalters78.
Der Kaiser als ,lex animata', in Anlehnung an die Vorstellung des Xöyoc, Eji^uxoc, von
Gott den Menschen gesandt (was Gottfried von Viterbo noch steigert zu: ,Deus sanciendi
potestatem imperatoribus donavit')7', das führt in die Nähe jenes Xoyog-Begriffes des Jo-
hannes-Evangeliums. Somit wird der Kaiser, wird Friedrich, bezeichnenderweise nach
der jerusalemischen Krönung 1229, die ja auch ein Markstein der Entwicklung der
Staatsvorstellung ist, zum ,elg (.ieoltt|5 öeoü xcci, ävOqümiwv.', zum ,Mittler,S0 von Deutero-
jesaia, 1. Tim. 2, 5, oder Galater 3,19.20 nicht nur in juristischer, sondern auch kosmolo-
gischer und soteriologischer Bedeutung, er ist (so würde ich es im Gegensatz zu W. Ber-
ges, der vom ,leibgewordenen Gesetz' spricht51, nennen) das fleischgewordene Gesetz'
(meinethalben auch: die .Inkarnation des Rechts'), mit all' den Untertönen, die nach dem
Johannes-Evangelium, das ja auch sonst bei Friedrich in hohem Ansehen steht82, mit-
schwingen (,das' ,Wort' ,ward Fleisch und wohnte unter uns'). So begreift sich Friedrich
als imago Dei im Hinblick auf die und durch die iustitia83 (die hier im allgemeinen Sinne
mit lex bedeutungsgleich ist), als Mittler zwischen Gott und den Menschen, wie dies im
Hinblick auf die und durch die gratia für das sacerdotium galt: der Staat, mit dem Kaiser
an der Spitze, wird Heilsinstitut84, wie es die Kirche seit langem war.
,Oportet igitur Cesarem fore iustitie patrem et filium, dominum et ministrum: patrem
et dominum in edendo iustitiam et editam conservando, sie in venerando iustitiam sit fi-
lius et in ipsius copiam ministrando minister'85 schreibt Friedrich im Liber Augustalis,
und man hat die Stellung als Sohn und Diener auf die Rechtsgebundenheit des Herr-
schers gegenüber dem ius divinum, die Stellung als pater und dominus auf die römi-
schen Rechtssätze ,Quod principi placuit, legis habet vigorem' und ,Princeps legibus so-
lutus' bezogen86. Sicher zu Recht. Sicher untersteht der Kaiser dem göttlichen Recht, wie
andererseits die iura civilia der kaiserlichen Majestät kraft göttlichen Auftrags entflie-
ßen87. Aber es scheint doch, daß gerade bei der Wahl der Ausdrücke dieser ,zwei Natu-
ren' des Kaisers, im Hinblick auf die iustitia, nicht reiner Zufall waltet. Gilt für Gott Au-
gustins Wort: ,Ipse fons iustitie Deus'88, so ist als editor, als pater und dominus, der Kai-
ser imago Dei89, während als minister ,Dei enim minister est tibi in bonum' im Sinne der
potestas von Römer 13, 4 - wobei hier etwas vom Auserwähltsein der alttestamentlichen
Gottesknechte90 mitzuschwingen scheint, zu denen ja auch David gehört.
Wie aber bereits oben erwähnt, hat Friedrich II. in seiner großen Enzyklika ,Letentur
in Domino' vom 18. März 122991, nach der Königskrönung in Jerusalem, tatsächlich auf
das regnum Davidicum rekurriert und mehrfach David als ,noster predecessor' gefeiert
- als Begründer der stirps regia Israel'2. Daß sich das alles in kaiserliche Herrschervor-
stellungen, die auf Menschensohn- und Messias-Vorstellungen jüdischer Prägung
zurückgehen, einfügt, habe ich bereits an anderer Stelle mehrfach gezeigt93. Es scheint zu
erhärten, was die neuere Forschung im Gegensatz etwa zu Jacob Burckhardt und Franz
Kampers betont94: daß Friedrich II. nicht der ,erste moderne Mensch auf dem Thron'
(Burckhardt) oder der ,Wegbereiter der Renaissance' (Kampers) genannt werden kann,
sondern daß er Vollender des Mittelalters war95, in der Weise auch, als er das Sakrale des
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