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Wolf, Gunther
Satura mediaevalis: Gesammelte Schriften ; Hrsg. zum 65. Geburtstag (Band 3): Stauferzeit — Heidelberg, 1995

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https://doi.org/10.11588/diglit.15265#0083

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vität, die ,Grazie', wie Kleist es in seinem Essay Über das Marionettentheater nennt, das
'Eins-sein' mit sich und der Welt, verloren. Die partielle Reflexion, die partielle Bewußtheit
zerstört die Spontaneität, läßt die eigene Bedingtheit und Unzulänglichkeit, den Mangel
an Totalität des Guten offenbar werden und zwingt zur Rechtfertigung eigenen Tun und
Verhaltens: der Mensch entdeckt seine Blößen.

Das Erkenntnisinteresse der Rechtfertigung aber läßt den Apologeten des Selbst als
Subjekt einer Aussage über ,Gut und Böse' gleichsam zum Nomotheten darüber werden,
was gut und was böse sei. Das Subjekt des jeweiligen Handelns und Verhaltens versucht,
"zw. muß versuchen, sich als ,gut', sein Handeln und Verhalten als ,gut' zu rechtferti-
gen. Was dem entgegensteht, wird als ,nicht-gut', als ,böse' gleichsam mit gewollter ma-
gischer Wirkung bezeichnet. Gut ist also, was dem Aussage-Subjekt nutzt, böse, was ihm
schadet, und dies ist gemeint mit dem: ,Ihr werdet sein wie Gott'. Der jeweilige Mensch
Setzt sich selbst zum Maßstab aller Dinge, auch der Ethik und Moral, soweit er sie in sei-
ner partiellen Bewußtheit zu akzeptieren gewillt ist. Die ursprünglich und im Prinzip ra-
tionale Erkenntnis des Anders-seins von Dingen oder Menschen wird als gefährdend er-
'ebt und umgeprägt in die emotionale Wertung ,gut' oder ,böse', die, im Gegensatz zur
rationalen Erkenntnis, Kompromiß und Toleranz nicht mehr zuläßt. Es ist der Beginn an-
"nornischen Denkens in der Geistesgeschichte des Abendlandes: schwarz oder weiß,
Nacht oder Tag, Finsternis oder Licht, Böse oder Gut.

Diese Grundstruktur, die es, obiter bemerkt, im östlichen Geistesleben so nicht gibt,
^t in der Geschichte des Abendlandes und damit in der Neuzeit, über die Welt verbrei-
tet, von ungeheurer Mächtigkeit: Personen, Gruppen, Völker,,Klassen' und deren jewei-
lige Protagonisten auf der Bühne der Geschichte kämpfen den Kampf ihrer eigenen
Rechtfertigung und um ihre eigene Geschichtsmächtigkeit.

Dies gilt auch für die Auseinandersetzung von ,regnum' und ,sacerdotium', weltlicher
und geistlicher ,Macht' im Mittelalter - unsere spezielle Thematik. Dabei beabsichtige
lch nicht, die Geschichte dieser Auseinandersetzung bis hin zum Austausch ihrer Vor-
rechte - wie P. E. Schramm es definierte - nachzuzeichnen. Dies geschah oft genug und
gültig und würde, wollte man es eben vom phänomenologischen Ansatz her neu tun,
den Rahmen eines kurzen Beitrages sprengen. Ich will vielmehr versuchen nachzuwei-
Ser», wann und warum die sachliche Kontroverse zwischen Päpsten und Kaisern zu einer
existentiellen wurde, wann und warum Papst und Kaiser für die je andere Seite zum Ex-
ponenten oder Protagonisten des ,Bösen' wurden, mit dem Rechtfertigungsinteresse,
daß man selbst Protagonist des ,Guten' sei.

Versuchen wir zunächst den negativen Befund zu erheben: In der Geschichte der Al-
ten Kirche hatte es eigentlich nur einen Kaiser gegeben, der in der christlichen Überliefe-
rung die Züge des schlechthin ,Bösen' trug: Nero. Für andere Kaiser, selbst wenn sie
Christenverfolgungen initiierten, wie Domitian oder Diokletian, Jerusalem zerstörten
Titus, trifft das nicht in gleicher Weise zu. Von 300 bis 500 n. Chr. war auch die
^achtlage eindeutig. Der Kaiser war bestimmend und selbst die Christusdarstellungen
Jener Zeit - bis weit hinein ins Mittelalter - zeigen die Aufnahme kaiserlicher Epitheta:
^e Farben purpur - blau - gold, Mandorla, ,pallea', Thron - Christus als kaiserlicher
j; eltenherrscher, als Pantokrator: Es kommt zu einer quasi-Identität von Christus und
*-aiser. Erst die pseudoisidorischen Dekretalen schaffen auf lange Sicht eine grundlegen-
e Wandlung. Freilich hatte schon kurz vor 500 Papst Gelasius L mit seinem ,duo quippe
sunt: auctoritas sacrata pontificum et regalis potestas' die Ziüei-Gewalten-Lehre begründet,
le sich zunächst, in der älteren Ausformung, als Zwei-Schwerter-Theorie nach Lucas 22,

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38 (vgl. Innozenz III., ep. I, 401) findet, allmählich in das ungleichgewichtige Bild von
Sonne und Mond (1. Cor. 15,41) und das schon bei Ambrosius von Mailand nachweisba-
re von Gold und Blei (de dign. sacerd. c. 2) übergeht bis hin zum Dictatus papae (1075)
Gregors VII. und der Bulle Unam sanctam Bonifaz' VIII. von 1302, die keine zwei Gewal-
ten mehr kennen, sondern nur noch eine: die des Stellvertreters Gottes auf Erden und
Nachfolgers Petri, der nach 1. Cor. 2,15 der geistliche Mensch ist, der alle richtet und von
niemandem gerichtet werden kann, erstmals erwähnt von Ennodius um 500 n. Chr. Die
Aussagenreihe zugunsten des ,sacerdotium' läßt sich fortsetzen: die Berufung Innozenz
III. auf Psalm XLIX, 7 (,Tibi tradidit Deus omnia regna mundi ...'), die Definition Boni-
faz' VIII. um 1300, daß die Trennung und Gegenüberstellung zweier Gewalten und Prin-
zipien - der Spiritualia und der Temporalia - Manichäismus und somit Häresie sei. Ein
langer Weg einer, wenn man so will, Emanzipation der Kirche aus der Vormundschaft
weltlicher Herrschaft, wie sie aufgrund realer Machtverhältnisse noch Karl der Große
gegenüber Leo III. beansprucht, indem er sich als ,alter David' versteht, den Papst aber
als ,Moses', dessen Aufgabe allein das Fürbitte-Gebet sei (vgl. 2. Mos. 17, 8ff.).

Und dennoch läßt sich m. W. bis zum Investiturstreit - dessen historische Bezeich-
nung nach der ,Spitze des Eisbergs' längst obsolet erscheint - kaum ein ernsthafter Beleg
finden, in dem die Antinomie zwischen ,regnum' und ,sacerdotium' soweit getrieben er-
scheint, daß eine Seite die andere als Exponent oder Protagonist des ,Bösen' schlechthin,
d. h. in der Rolle des prinzipiellen Störers göttlicher Ordnung, als »Widersacher' oder
Antichrist gesehen hätte. Dem widerspricht auch nicht der gelegentliche Vorwurf, die
andere Seite unterstütze Häretiker. Auch in den noch recht heftigen Auseinandersetzun-
gen des sogenannten ,Investiturstreits' hatte nicht einmal Humbert von Silva Candida
noch andere, auch Gregor VII. nicht - etwa in seinen Anwürfen gegen Heinrich IV. in
seinem Brief an Hermann von Metz - den König als Protagonisten des ,Bösen' schlecht-
hin bezeichnet. Auch kein weltlicher Herrscher hat das getan und den Papst - bei aller
Heftigkeit etwa der Wormser Synode von 1076 - als Vertreter des ,Bösen' verdammt.

Das gilt auch für die ganze Salierzeit und weite Teile der Stauferzeit - sieht man ein-
mal von dem Mitte des 12. Jahrhunderts entstandenen ,ludus de Antichristo' ab, wo ge-
wisse kirchliche Reformisten als Heuchler im biblischen Sinn und Mannen des Antichrist
vorgestellt werden.

Erst im 13. Jahrhundert ändert sich das. Es ist bekannt, daß Engel- und Antichristvor-
stellungen, bezogen auf Kaiser und Papst, eben als Protagonisten von Gut und Böse, in
der späteren Stauferzeit, der Zeit Kaiser Friedrichs II. und seiner Söhne, mit Händen zu
greifen sind. Nicht umsonst lautet die entscheidende Schlüssel-Vokabel in einschlägigen
Werken immer wieder,Endkampf (z. B. bei Schaller, Grundmann u. v. a.), dessen Wur-
zeln freilich schon im 11. Jahrhundert liegen. Diesem ,Endkampf wohnt in der Tat etwas
von einer ,Endzeit', etwas Eschatologisches inne - sowohl in den Ausmaßen der Grund-
satzentscheidung wie in den Mitteln und den dahinter sichtbaren theologischen und ge-
schichtstheoretischen Vorstellungen.

Mit Recht verweist H. M. Schaller, einer der besten Kenner der Zeit, auf das Mo-
ment des Einflusses der Anschauungen und Prophezeiungen des calabresischen Abtes
Joachim de Floris (t 1202) hin, der gelehrt hatte, daß man nach dem Weltzeitalter des
Vaters (dem Zeitalter der Laien) und des Sohnes (dem Zeitalter der Priester) im Jahre
1260 das Zeitalter des Geistes - das Zeitalter der Mönche - anbrechen werde (kein Wun-
der, daß das IV. Lateranense sich aus verständlichem Erkenntnisinteresse der Amtskir-
che - und nicht nur aus philosophisch-logischen Gründen - in seiner Analogieformel

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