Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Wolf, Gunther
Satura mediaevalis: Gesammelte Schriften ; Hrsg. zum 65. Geburtstag (Band 3): Stauferzeit — Heidelberg, 1995

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.15265#0084

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
dagegen wendet). Vorher aber werde - so Joachim - der Antichrist oder sein Vorläufer
erscheinen und Drangsal über die Christenheit bringen: eine geradezu ideale ,Angebots-
Vorstellung' im sich abzeichnenden geschichtlichen Machtkampf zwischen Papst und
Kaiser!

Mit Recht aber muß auch auf das Phänomen der Entstehung der Pauperisten-Orden
der Franziskaner und Dominikaner (bald nach 1200) und auf andere Tendenzen dieser
Art hingewiesen werden als einer Reaktion auf die Verweltlichung der Amtskirche - wie
dies ja für Mönchsordensgründungen im Abendland, etwa die Benediktiner bald nach
500, die Karthäuser und Zisterzienser (1084 bzw. 1098) - um einige zu nennen - gilt.

Mit Recht ist auch festzuhalten, daß in jener Zeit explicite die Gedanken und Vorstel-
lungen des Konziliarismus (angesprochen von Friedrich II. in seinem Schreiben an die
Kardinäle vom 10. März 1239) und des ,rex imperator in regno suo' bzw. des ,corpus princi-
pum saecularium' auftauchen, beides m. E. auf dem Boden der Rechtsvorstellungen des
römischen ,Quod omnes tangit, ab omnibus iudicetur'.

Dies alles zeigt, daß es nicht zufällig ist, daß gerade in dieser Zeit, als es auf dem Hin-
tergrund verbreiteter eschatologischer Vorstellungen um die rechte Ordnung in der
Welt, die rechte Zuordnung von ,regnum' und ,sacerdotium', fast schon als ,Staat' und
'Kirche' im modernen Sinn, auch um die rechte Ordnung innerhalb beider ging, die emo-
tionalen und emotionalisierenden Wertungen ,Gut' und ,Böse', Engel und Antichrist, an-
stelle sachlicher argumentativer Auseinandersetzungen mit Schrift-Stellen - soweit mög-
- traten.

Hinzu kommt in concreto im Proömium der Constitutionen von Melfi (1231), daß
Kiedrich II. eine imperiale Idee des heilsnotwendigen Staates als der Epiphanie der ,iu-
stitia' mit ihm selbst als ,lex animata in terris' formulierte, wobei der Kaiser ,dominus at-
9ue minister, pater atque filius' der ,iustitia' war. Darüber hinaus rückte sich der Kaiser
111 Christus-Nähe durch den Vergleich seiner Geburtsstadt Jesi mit Bethlehem und mit
dem berühmten Kreuzzugsmanifest des Ostersonntages 1229, März 18, über seinen Ein-
2ug in Jerusalem als Friedensfürst: ,Vere nunc igitur nobis omnibus illuxisse visa est dies illa
ln qua angeli cecinerunt: ,Gloria in excelsis Deo et in terra pax hominibus bonae voluntatis':
MGh Const. II, 122, p. 166,4).

Das aber mußte an die existentiellen Wurzeln der Papstkirche nach dem Verständnis
regors VII., Innozenz III. und seiner Nachfolger rühren und sie gefährden. Es ist in die-
Sern Zusammenhang müßig, innerhalb dieser phänomenologischen Skizze die andern-
orts bei Kantorowicz (in seinem Werk über Friedrich II.) oder K. Burdach (Rienzo) dar-
gestellten Antichrist- bzw. Engel- oder Heilandsvorstellungen, bezogen auf Kaiser und
. aPst, hier zu wiederholen - sie dürfen als bekannt vorausgesetzt werden. Festzuhalten
ist aber, daß sich, gerade in der wie oben gekennzeichneten Zeit, Kaiser und Papst, als
le beiden höchsten Autoritäten der Christenheit, gegenseitig vorwarfen, Verderber und
^rthchrist zu sein, Protagonisten also des ,Bösen' im jeweils anderen sahen, sich selbst
er als Protagonisten des ,Guten'.

Phänomenologisch bedeutet dies eine Dämonisierung der Auseinandersetzung zwi-
^>en Kaiser und Papst als Vertreter der ,Heilsinstitution',Imperium' (s. o.) und der
' eilsinstitution' Kirche, die sich zur ,ecclesia triumphans' entwickelt hatte, die diese
le . ^khmg aber nun gefährdet sah. Da sich aber sowohl das ,imperium' - die imperia-
auf ~ W^6 ^aS 'sacerd°uum' Gregorianischer Prägung - die papale Idee - nunmehr
6g 'dee der jeweiligen Heilsnotwendigkeit stützten, schlössen sie einander aus, d. h.
S^g um die Entscheidung, den ,Endkampf, um die eigene Geschichtsmächtigkeit.

158

Von daher läßt sich die Qualität wie die Quantität des Engagements beider Seiten, die Fi-
berhitze und Dämonisierung des Kampfes, ableiten.

Es ist bekannt, wann ein Individuum, ob Kind oder Erwachsener, wann auch Grup-
pen und Völker auf das Gegenüber gleichsam mit dem Finger deuten und sagen ,Du bist
bösel': In der Situation des subjektiven Sich-gefährdet-fühlens wird die rationale-argu-
mentative Auseinandersetzung wenigstens teilweise ersetzt durch die ideologische, das
gleichsam an die eigene Brust-klopfen. ,Ich bin gutV als Angstverdrängung ist ebenso be-
kannt wie die Dämonisierung des Be- oder Gefürchteten als ,Böse', die Ideologisierung
der Auseinandersetzung zum ,bellum iustum', die gleichsam Gott als Bundesgenossen
an die eigene Seite zwingen will, indem sie die eigene Sache zu seiner, die des Gegners
zur Sache des Teufels macht, ausgehend von der eingangs aufgeführten Prämisse, daß
Gott als Prinzip des Guten der Stärkere sei.

Versuchen wir diese Grunderkenntnis der Tiefenpsychologie auf die historische Si-
tuation des ,Endkampfes' zwischen Kaiser und Papst im 13. Jahrhundert zu übertragen,
so liegt m. E. die Pathogenese der Ideologisierung auf der Hand: sowohl Papst wie Kai-
ser fühlten sich in ihrem jeweiligen Amtsverständnis, in ihrer Autorität, in eben ihrem
Papst- bzw. Kaisersein existentiell voneinander gefährdet, in der Tiefe ihres Selbstver-
ständnisses und Selbstbewußtseins be- und getroffen: eine typische ,Angst'-Situation,
die zur Dämonisierung des Gegenübers geradezu zwingt.

Aber darüber hinaus: beide mußten sich nicht nur vom jeweils anderen her gefährdet
fühlen, sondern auch durch die aufkommende Rationalität, die das ,corpus Christianum
vel Christianorum' als solches in Frage stellte und das Bewußtwerden der Individualität
des Einzelnen ermöglichte, der des kaiserlichen oder päpstlichen ,Mittlers' zu Gott nicht
mehr bedurfte, der seine Existenzberechtigung aus sich selbst und seiner eigenen ,neces-
sitas' und ,utilitas' ableitete (hierher gehören u. a. die Städtebewegung, die Erneuerung
der Mönchsbewegung und die ,Emanzipation' der Philosophie). Zudem: diese Tenden-
zen, wohl richtig eingeschätzt, wurden von den beiden Kontrahenten auch gegeneinan-
der verwendet. Etwa im päpstlichen Satz ,rex imperator in regno suo' oder in Friedrichs
Appellation an ein allgemeines Konzil, um den Gegner im Kern seines Selbstverständ-
nisses zu treffen. Gerade dadurch erscheint mir auch nur verständlich, daß beide, Kaiser
und Papst als ,historische Verlierer', nie wieder gleiche Bedeutung wie zuvor erlangen
konnten.

Schlagen wir den Bogen zum Anfang unserer Ausführungen, so ergibt sich das ,do-
cet': anhand einer phänomenologischen Betrachtung des ,Endkampfes' zwischen Kaiser
und Papst im 13. Jahrhundert, in dem beide als Protagonisten des ,Guten' sowohl wie
des ,Bösen' in jeweils eigener bzw. gegnerischer Sicht auftreten, läßt sich feststellen, daß
das Bewußtsein existentieller Gefährdung des ,Ich', des eigenen Bewußtseins, der eige-
nen Person oder Position, evidenterweise zur Ideologisierung bzw. Dämonisierung des
gefährdenden Moments, des Gegners, der zum ,Feind' wird, führt: es entsteht dann ein
»Feindbild'! Grundlage aber eines »Feindbildes' ist immer die Angst.

Es liegt nahe, hier Überlegungen zum Erkenntnisinteresse der Gesamtthematik wie-
der aufleben zu lassen, warum sich gerade heute eine Beschäftigung mit ,den Mächten
des Guten und Bösen' anbietet: das Ende des sogenannten rationalen Zeitalters scheint
sich abzuzeichnen - warum ? Wie sagte doch Martin Luther: ,Hic est historiarum usus:
rerum cognoscere conscientias'.

Erstveröffentlichung in: Miscellanea Mediaevalia XI, 1977, S. 410 - 416.

159
 
Annotationen