Königen - insbesondere Westeuropas - anders zu sehen als dies in der oben erwähnten
Formulierung des Sakramentars von Angouleme der Fall ist. Dabei mag hier der Hin-
weis genügen, daß, mögen auch die bekannten partikularen Kaiservorstellungen der
Angelsachsen oder in Spanien, die wohl alle irgendwie auf Beda Venerabiiis zurückge-
hen29, bisweilen eine gewisse Rolle spielen, das Kaiserrum - eben seit Otto dem Großen
- als an das ,regnum Teutonicum' gebunden verstanden wurde30.
Fassen wir für das frühere Mittelalter, also die Zeit bis zur Mitte des 11. Jahrhun-
derts, zusammen31:
Auf der einen Seite: der Kaiser ist dominus rerum'31, ,imperator' mit universalem Mis-
sionsauftrag, ,totius orbis caput,... caius potentiae maiestatem non solum Germania, Italia al-
aue Gallia, sei totalere Europa non sustinef33. Vor ihm erscheinen die Nachbarn des Rei-
ches als Bewunderer und Bittsteller, mit gebeugtem Nacken leisten ihm die Nationen
Dienste34, selbst Babylon und Griechenland fürchten ihn und dienen ihm35, ihn erwartet
Frankreich als seinen König und Britannien als seinen Kaiser, selbst Griechenland, Ju-
däa, Caramanien, das sarazenische und das übrige Volk jenseits des Meeres erwarten
seine, d. h. die ,römische' Herrschaft. Gott hat dem Kaiser gegeben .regere totum mun-
dum', ,post Deum' ist er ,rex', ,imperator', er ist ,imago Dei, sub quo tremit orbis hydea', er
steht als ,imperator orbis'36, seit 982 als ,imperator Romanorum'37, was den Anspruch
eben dieser universalen Geltung aus der Frontstellung gegen Byzanz heraus verdeutli-
chen soll, den ,reguli provinciarum' und dem ,rex Byzantinus' gegenüber38. Das ist eine
Wirklichkeit.
Die andere Wirklichkeit ist, daß kein Kaiser je etwa einem König von Frankreich Be-
fehle erteilt hat3'. Zwar sehen wir bei der Kaiserkrönung Konrads IL, 1027 in Rom, Ru-
dolf III. von Burgund und sogar Knut den Großen von England, Dänemark und Norwe-
gen, den mächtigsten Herrscher Nordeuropas, assistieren, aber weder Otto der Große
noch einer der Salierkaiser, von anderen, weniger mächtigen Kaisern zu schweigen,
kam je etwa mit dem französischen König auf deutschem Boden derart zusammen, daß
jener ihn aufgesucht hätte10. Es ist bekannt, daß die meisten Begegnungen auf der alten
Stammesgrenze etwa in Ivois und Mouzon stattfanden", was eben für Ranggleichheit
im Faktischen spricht42. Es gibt also schon in jener Zeit des frühen Mittelalters keinerlei,
es sei denn auf die realen Macht- und oft auch Glaubensunterschiede gegenüber den
Fürsten Osteuropas gegründete ,potestas', die den Kaiser ,super reges' erhöht hätte.
Wohl aber, und das ist allenthalben anerkannt, eine ,auctoritas', ,ad quam totius orbis
spectat patrocinium'", die ,cunctis praepollef
In diesem Sinne des ,prae\ nicht des ,super', kann der Kaiser sagen: ,etsi omnis terra,
quantum inhabitatur, regni mei lerminus esset'. Das ist im Sinne unseres Themas die Ord-
nung des früheren Mittelalters45. Hier setzen nun um die Mitte des 11. Jahrhunderts
zwei, wenn man so will, ,störende' Momente ein.
1. Vorbereitet durch uralte, seit dem oben erwähnten Brief des Papstes Gelasius I.
nicht mehr zur Ruhe gekommene, Vorstellungen kommt dem ,sacerdotium' gegenüber
dem ,regnum' ein Vorrang zu, wie der Sonne gegenüber dem Mond, wie der Seele ge-
genüber dem Leib, wie dem Himmel gegenüber der Erde46. Diese, schon infolge der
äußeren politischen Machtverhältnisse, lange latenten Vorstellungen47 brechen nun bei
Gregor VII. mit ungeheurer Gewalt in den Grundsätzen seines ,dictatus papae' her-
vor48. Der ,römische Bischof allein', heißt es da, ,darf sich der kaiserlichen Insignien be-
dienen'. ,Des Papstes Füße allein haben alle Fürsten zu küssen'. ,Kein Name ist dem
seinen in der Welt zur Seite zu stellen', ,1hm ist erlaubt, Kaiser abzusetzen'. ,Er selber
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darf von niemandem gerichtet werden.' - Kurz: Gregor sieht sich selbst als den ,prin-
ceps super regna mundi'45. Der Papst allein ist nach Gregor die Spitze des ,orbis Christi-
anus', Herr über die Könige dieser Welt mit echter Befehlsgewalt, nicht mehr also mit
beanspruchter ,auctoritas' ,prae regibus', sondern mit ,potestas' ,super reges'50. Es liegt
auf der Hand, daß diese Vorstellungen und Ziele den bisherigen ,ordo' störten51 und
eine Gefährdung der kaiserlichen Stellung in sich schlössen. Kein Wunder also, daß ein
Streit mit allen Konsequenzen und bis dahin nicht gekannter Härte entbrannte, den
man nur unzulänglich, nach einem Teilbereich, den Investiturstreit nennt. Immerhin,
und das bleibt festzuhalten, bleibt auch bei diesen Vorstellungen das Weltbild moni-
stisch-christozentrisch, auf das ,spirituale', von dem man eben die Höherwertigkeit des
Papstes als des ,homo spirirualis' schlechthin ableitet, gerichtet - wenngleich hier, erst-
mals seit Beginn des Mittelalters, eine radikale Abwendung von jenem ,duo quippe
sunt' sichtbar wird, die in eben ihrer Radikalität kompromißlos war und daher ebenso
kompromißlose Reaktionen herausforderte. Es ist nicht verwunderlich, daß, in diesem
zeitlichen wie gedanklichen Zusammenhang, jene beiden Theorien auftauchen, deren
eine, die des erblichen Reiches, zwar immer schon mitschwang, deren andere aber seit
Jahrhunderten erstmals und bezeichnenderweise als ,argumentum contra regem' er-
scheint: die Idee der Volkssouveränität. Beide Vorstellungen in der hier vorliegenden
Ausprägung dem römischen Recht, das jetzt allenthalben gegen Ende des 11. Jahrhun-
derts wieder klarer faßbar wird, entstammend, haben gegeneinander und bisweilen in
ungleicher Verbindung die Staatslehre der kommenden Jahrhunderte, bis in die Neu-
zeit hinein, beeinflußt.
2. Gerade die Vorstellungen vom souveränen Volk, das sich aus Gründen der Nütz-
lichkeit, der Rechtssicherheit etc. einem Herrscher anvertraut, fallen zeitlich zusammen
und, wie ich meine, nicht nur zeitlich, mit einer Umgestaltung des gesamten mittelalter-
lichen Weltbildes, das im Verlauf des 12. Jahrhunderts die ersten bescheidenen Ansätze
des Weltbildes zeigt, das wir heute ein pluralistisches nennen52. Nicht mehr nur die ,spi-
ritualia' verlangen ihr Recht, auch die ,temporalia' des Menschen und der Menschen er-
halten ihr eigenes Gewicht. Das Kreuzzugserleben hat in der Begegnung mit der arabi-
schen Welt und der durch sie verhältnismäßig unverwandelten Antike diese, wenn man
so will, Kehrseite. Zu dieser neuen Weltsicht, der im staatlichen Bereich erste Ansätze
dessen entsprechen, was man seit Friedrich Meinecke die ,Staatsraison' zu nennen
pflegt, hatten aber im 11. und 12. Jahrhundert die Normannen die größte Affinität. Wo
sie staatliche Gebilde schaffen, ob in der Normandie, in England nach der Invasion von
1066, oder in Süditalien-Sizilien, da haben wir es mit ,instituta' zu tun, die in erster Linie
auf die ,temporalia', auf die eigengesetzlichen Belange des Staates und des ihn uneinge-
schränkt repräsentierenden Königs, ausgerichtet sind. Das aber ist etwas Neues, was zu-
nächst in England, Frankreich und Sizilien über das frühe Mittelalter hinausführt und
das ,regnum' auf sich selbst gründet, gewissermaßen löst von der Verbindung mit dem
ursprünglichen Traditionsgedanken des ,imperium Romanum' als eines ,singulare im-
perium', dessen Kaiser als ,antecessores' der mittelalterlichen Kaiser deutscher Herkunft
gegolten hatten. Erstarken im 12. Jahrhundert in Byzanz die Bestrebungen, die Tradition
der römischen Imperatoren und des ,imperium Romanum' zu erneuern, so finden wir
auch in Westeuropa Rückgriffe auf diese Tradition seit dem Ende des 11. bzw. seit dem
Beginn des 12. Jahrhunderts. Das Reich Wilhelms des Eroberers ist ein ,regale imperi-
um', sein Szepter ein imperiale et regale', er selbst ist größer und edler als Caesar usw.
Freilich, universal ist dieses Imperium' nicht - wie sollte es, von seiner Idee her gese-
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Formulierung des Sakramentars von Angouleme der Fall ist. Dabei mag hier der Hin-
weis genügen, daß, mögen auch die bekannten partikularen Kaiservorstellungen der
Angelsachsen oder in Spanien, die wohl alle irgendwie auf Beda Venerabiiis zurückge-
hen29, bisweilen eine gewisse Rolle spielen, das Kaiserrum - eben seit Otto dem Großen
- als an das ,regnum Teutonicum' gebunden verstanden wurde30.
Fassen wir für das frühere Mittelalter, also die Zeit bis zur Mitte des 11. Jahrhun-
derts, zusammen31:
Auf der einen Seite: der Kaiser ist dominus rerum'31, ,imperator' mit universalem Mis-
sionsauftrag, ,totius orbis caput,... caius potentiae maiestatem non solum Germania, Italia al-
aue Gallia, sei totalere Europa non sustinef33. Vor ihm erscheinen die Nachbarn des Rei-
ches als Bewunderer und Bittsteller, mit gebeugtem Nacken leisten ihm die Nationen
Dienste34, selbst Babylon und Griechenland fürchten ihn und dienen ihm35, ihn erwartet
Frankreich als seinen König und Britannien als seinen Kaiser, selbst Griechenland, Ju-
däa, Caramanien, das sarazenische und das übrige Volk jenseits des Meeres erwarten
seine, d. h. die ,römische' Herrschaft. Gott hat dem Kaiser gegeben .regere totum mun-
dum', ,post Deum' ist er ,rex', ,imperator', er ist ,imago Dei, sub quo tremit orbis hydea', er
steht als ,imperator orbis'36, seit 982 als ,imperator Romanorum'37, was den Anspruch
eben dieser universalen Geltung aus der Frontstellung gegen Byzanz heraus verdeutli-
chen soll, den ,reguli provinciarum' und dem ,rex Byzantinus' gegenüber38. Das ist eine
Wirklichkeit.
Die andere Wirklichkeit ist, daß kein Kaiser je etwa einem König von Frankreich Be-
fehle erteilt hat3'. Zwar sehen wir bei der Kaiserkrönung Konrads IL, 1027 in Rom, Ru-
dolf III. von Burgund und sogar Knut den Großen von England, Dänemark und Norwe-
gen, den mächtigsten Herrscher Nordeuropas, assistieren, aber weder Otto der Große
noch einer der Salierkaiser, von anderen, weniger mächtigen Kaisern zu schweigen,
kam je etwa mit dem französischen König auf deutschem Boden derart zusammen, daß
jener ihn aufgesucht hätte10. Es ist bekannt, daß die meisten Begegnungen auf der alten
Stammesgrenze etwa in Ivois und Mouzon stattfanden", was eben für Ranggleichheit
im Faktischen spricht42. Es gibt also schon in jener Zeit des frühen Mittelalters keinerlei,
es sei denn auf die realen Macht- und oft auch Glaubensunterschiede gegenüber den
Fürsten Osteuropas gegründete ,potestas', die den Kaiser ,super reges' erhöht hätte.
Wohl aber, und das ist allenthalben anerkannt, eine ,auctoritas', ,ad quam totius orbis
spectat patrocinium'", die ,cunctis praepollef
In diesem Sinne des ,prae\ nicht des ,super', kann der Kaiser sagen: ,etsi omnis terra,
quantum inhabitatur, regni mei lerminus esset'. Das ist im Sinne unseres Themas die Ord-
nung des früheren Mittelalters45. Hier setzen nun um die Mitte des 11. Jahrhunderts
zwei, wenn man so will, ,störende' Momente ein.
1. Vorbereitet durch uralte, seit dem oben erwähnten Brief des Papstes Gelasius I.
nicht mehr zur Ruhe gekommene, Vorstellungen kommt dem ,sacerdotium' gegenüber
dem ,regnum' ein Vorrang zu, wie der Sonne gegenüber dem Mond, wie der Seele ge-
genüber dem Leib, wie dem Himmel gegenüber der Erde46. Diese, schon infolge der
äußeren politischen Machtverhältnisse, lange latenten Vorstellungen47 brechen nun bei
Gregor VII. mit ungeheurer Gewalt in den Grundsätzen seines ,dictatus papae' her-
vor48. Der ,römische Bischof allein', heißt es da, ,darf sich der kaiserlichen Insignien be-
dienen'. ,Des Papstes Füße allein haben alle Fürsten zu küssen'. ,Kein Name ist dem
seinen in der Welt zur Seite zu stellen', ,1hm ist erlaubt, Kaiser abzusetzen'. ,Er selber
164
darf von niemandem gerichtet werden.' - Kurz: Gregor sieht sich selbst als den ,prin-
ceps super regna mundi'45. Der Papst allein ist nach Gregor die Spitze des ,orbis Christi-
anus', Herr über die Könige dieser Welt mit echter Befehlsgewalt, nicht mehr also mit
beanspruchter ,auctoritas' ,prae regibus', sondern mit ,potestas' ,super reges'50. Es liegt
auf der Hand, daß diese Vorstellungen und Ziele den bisherigen ,ordo' störten51 und
eine Gefährdung der kaiserlichen Stellung in sich schlössen. Kein Wunder also, daß ein
Streit mit allen Konsequenzen und bis dahin nicht gekannter Härte entbrannte, den
man nur unzulänglich, nach einem Teilbereich, den Investiturstreit nennt. Immerhin,
und das bleibt festzuhalten, bleibt auch bei diesen Vorstellungen das Weltbild moni-
stisch-christozentrisch, auf das ,spirituale', von dem man eben die Höherwertigkeit des
Papstes als des ,homo spirirualis' schlechthin ableitet, gerichtet - wenngleich hier, erst-
mals seit Beginn des Mittelalters, eine radikale Abwendung von jenem ,duo quippe
sunt' sichtbar wird, die in eben ihrer Radikalität kompromißlos war und daher ebenso
kompromißlose Reaktionen herausforderte. Es ist nicht verwunderlich, daß, in diesem
zeitlichen wie gedanklichen Zusammenhang, jene beiden Theorien auftauchen, deren
eine, die des erblichen Reiches, zwar immer schon mitschwang, deren andere aber seit
Jahrhunderten erstmals und bezeichnenderweise als ,argumentum contra regem' er-
scheint: die Idee der Volkssouveränität. Beide Vorstellungen in der hier vorliegenden
Ausprägung dem römischen Recht, das jetzt allenthalben gegen Ende des 11. Jahrhun-
derts wieder klarer faßbar wird, entstammend, haben gegeneinander und bisweilen in
ungleicher Verbindung die Staatslehre der kommenden Jahrhunderte, bis in die Neu-
zeit hinein, beeinflußt.
2. Gerade die Vorstellungen vom souveränen Volk, das sich aus Gründen der Nütz-
lichkeit, der Rechtssicherheit etc. einem Herrscher anvertraut, fallen zeitlich zusammen
und, wie ich meine, nicht nur zeitlich, mit einer Umgestaltung des gesamten mittelalter-
lichen Weltbildes, das im Verlauf des 12. Jahrhunderts die ersten bescheidenen Ansätze
des Weltbildes zeigt, das wir heute ein pluralistisches nennen52. Nicht mehr nur die ,spi-
ritualia' verlangen ihr Recht, auch die ,temporalia' des Menschen und der Menschen er-
halten ihr eigenes Gewicht. Das Kreuzzugserleben hat in der Begegnung mit der arabi-
schen Welt und der durch sie verhältnismäßig unverwandelten Antike diese, wenn man
so will, Kehrseite. Zu dieser neuen Weltsicht, der im staatlichen Bereich erste Ansätze
dessen entsprechen, was man seit Friedrich Meinecke die ,Staatsraison' zu nennen
pflegt, hatten aber im 11. und 12. Jahrhundert die Normannen die größte Affinität. Wo
sie staatliche Gebilde schaffen, ob in der Normandie, in England nach der Invasion von
1066, oder in Süditalien-Sizilien, da haben wir es mit ,instituta' zu tun, die in erster Linie
auf die ,temporalia', auf die eigengesetzlichen Belange des Staates und des ihn uneinge-
schränkt repräsentierenden Königs, ausgerichtet sind. Das aber ist etwas Neues, was zu-
nächst in England, Frankreich und Sizilien über das frühe Mittelalter hinausführt und
das ,regnum' auf sich selbst gründet, gewissermaßen löst von der Verbindung mit dem
ursprünglichen Traditionsgedanken des ,imperium Romanum' als eines ,singulare im-
perium', dessen Kaiser als ,antecessores' der mittelalterlichen Kaiser deutscher Herkunft
gegolten hatten. Erstarken im 12. Jahrhundert in Byzanz die Bestrebungen, die Tradition
der römischen Imperatoren und des ,imperium Romanum' zu erneuern, so finden wir
auch in Westeuropa Rückgriffe auf diese Tradition seit dem Ende des 11. bzw. seit dem
Beginn des 12. Jahrhunderts. Das Reich Wilhelms des Eroberers ist ein ,regale imperi-
um', sein Szepter ein imperiale et regale', er selbst ist größer und edler als Caesar usw.
Freilich, universal ist dieses Imperium' nicht - wie sollte es, von seiner Idee her gese-
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