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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 17.1924

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Habicht, Victor Curt: Neue Ziele der Kunstgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.3619#0075
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BEMERKUNGEN. 71

Die selbstverständliche Voraussetzung des Buches ist die impressionistische Methode.
Obwohl es sich um Werke der Baukunst handelt — und gerade deshalb ist das
Beispiel so aufschlußreich —, kommt dem Verfasser überhaupt nur ein Zweck dieser
Kunst ernstlich in Frage, nämlich der, einzig und allein gesehen zu werden. Die
Tatsache der optischen Rezeption verführt in genauester Parallele zur impressioni-
stischen Malweise dazu, den Sehakt zu überschätzen, als allein wichtig für die Be-
handlung der Kunstwerke zu nehmen. Es wird mit schärfster Intensität von der
Oberfläche geschöpft, was da loszulösen ist, ins Innere dringt der erschaffene Geist
nicht. Die materielle Form ist heilig — sie konnte es sein —, wird zum Götzen,
als das Eigentliche und Wesentliche genommen.

Diltheys Wort: »Nicht begriffliches Verfahren bildet die Grundlage der Geistes-
wissenschaften, sondern Innewerden eines psychischen Zustandes in seiner
Ganzheit und Wiederfinden desselben in Nacherleben« steht mehr als selt-
samerweise über dem IV. Kapitel des Buches, das die Wesenszüge »der Sonder-
gotik als deutscher Stil« schildern möchte. Ja im Text steht sogar die Einsicht, »daß
die Begriffe für das Verständnis der mittelalterlichen Kunst weniger Fordernis als
Hemmnis sind«. Und — trotzdem werden nur Begriffe, nur Formdeutungen, Form-
kategorien, nichts als intellektualistische Deutungsversuche gegeben. Man spricht
von Formerleben und möchte behaupten, daß sie in solchen Deduktionen zu finden
sei. In Wirklichkeit ist niemand anderem als der ratio, und ihr allein, etwas durch sie
aufgegangen. Die rationalistische Besitzergreifung ist alles. Wie wenig dieser mate-
rialistischen Auffassung der Kunst, der impressionistischen Behandlung des optischen
Eindrucks, ein Innewerden des »psychischen Zustandes« gelingt, beweist aufs klarste
folgende Stelle Gerstenbergs, die eine Erklärungsweise des Stiles, der künstlerischen
Grundabsichten, ablehnt: »Zu dem politischen kommt ein geistesgeschichtliches Mo-
ment. Seit Gottfried Sempers Wort von der Gotik als einer steinernen Scholastik
wird auch dieser Vergleich ausgesponnen und dabei nach Bedarf Scholastik oder
Mystik als das Ausschlaggebende im Verlauf der Gotik heranzitiert. Im wesent-
lichen kommt es darauf hinaus, daß man der mittelalterlichen Menschheit moderne
Gedankengänge und Ideenassoziationen unterschiebt«. Die glatte Ablehnung und
Leugnung des metaphysischen Grundes der Kunst, des primo motore, des allein Aus-
schlaggebenden, kann nicht krasser ausgesprochen werden. Denn, wenn es auch
wahrlich auf Vergleiche nicht ankommt und mit der Heranziehung von Parallelen
rationalistische Spielerei getrieben worden ist, so kann und darf das doch nicht da-
von abhalten, den wahren geistigen Grundkräften und Urerlebnissen, deren Spiegel —
und weiter nichts — alle Kunst ist, nachzugehen.

Ebenso scharf und bewußt wird die demütige Erlebnisart des einmaligen Schöp-
fungsaktes beiseite geschoben. Der Gegensatz zu den oben ausgesprochenen Forde-
rungen der neuen Kunstgeschichte wird grell beleuchtet durch Worte wie: »Es ist
schließlich derselbe Fehler, in den eine frühere Ästhetik verfallen war, die zur Er-
klärung künstlerischen Geslaltens die durch komplizierte Konstellationen hervor-
gerufenen Besonderheiten von Künstlerindividuen und Kunstwerken untersuchen zu
müssen glaubte, während man gerade die Allgemeinheiten, die sich durch-
gehend überall finden, heranziehen muß«. Gewiß sind die Wege in das psychische
Grunderlebnis »kompliziert«, sie können aber nicht hindern, sich mit »Allgemein-
heiten« nicht zufrieden zu geben und ernstlich zu glauben, daß in diesen Ober-
flächenerscheinungen und ihrer kategorialen Einreihung: »Bewegung, Verschleifung,
Bildmäßigkeit« usw. das eigentliche und wesentliche lebendige Kunstwerk zu
suchen sei.

Die genannten Stellen mögen genügen, unsere Behauptung vom impressio-
 
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