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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 17.1924

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Leich, Walther: Heines Kunstphilosophie
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https://doi.org/10.11588/diglit.3619#0415
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Bemerkungen.

Heines Kunstphilosophie.

Von

Walther Leich.

Gegen die einseitige Überschätzung der antiken Kunst ist zweimal nachdrücklich
und erfolgreich Widerspruch erhoben worden, einmal von Seiten der Romantiker,
dann von Kunstgelehrten unserer Zeit. Ein Vergleich der beiden rund hundert Jahre
auseinanderliegenden Bewegungen zeigt, daß Ausgangspunkt, Entwicklung und Er-
gebnisse dieselben sind, ohne daß man sich in neuester Zeit dieser geschichtlichen
Wiederholung geistiger Einstellung und ihrer gleichartigen Entfaltung immer voll-
kommen bewußt ist, ohne daß ferner in allen Punkten eine unmittelbare Berührung
beider Anschauungen anzunehmen wäre, wenn auch selbstverständlich romantische
Gedanken auf die heutige Zeit nachgewirkt haben. Die Grundlage, hier wie dort, ist
der Begriff des Kunstwollens, den zuerst Wackenroder in der kleinen Abhandlung
»Einige Worte über Allgemeinheit, Toleranz und Menschenliebe in der Kunst« dich-
terisch umschrieben hat, der dann von Riegl wieder neu gefunden und besonders
von Worringer eifrig verfochten worden ist. Beide Male setzte man der Antike die
Kunst der Gotik als ebenbürtig gegenüber; beide Male ergaben sich aus der Be-
frachtung dieser von Grund auf verschiedenen Welten Erkenntnisse, die die Wesens-
art südlicher und nordischer Kunstübung in ihren Hauptzügen festlegten. Die Ergeb-
nisse der Romantiker gerieten schließlich in der von dem klassischen Bildungsideal
beherrschten Folgezeit in Vergessenheit, so daß erst ein Werk wie Worringers »Form-
probleme der Gotik« die künstlerische Gestaltungskraft des Mittelalters neu entdecken
mußte, ehe sie wieder dem allgemeinen Verständnis nähertreten konnte. Worringer
selbst war der irrtümlichen Meinung, daß die formalen Werte der Gotik bisher ohne
psychologische Deutung geblieben seien, daß man bisher nicht einmal den Versuch
einer positiven Würdigung gemacht habe (a. a. O. S. 5). Freilich war die Begeiste-
rung der Romantiker für das Mittelalter vielfach mehr rührselig und verschwommen,
als klar und sachlich; aber was seit Wackenroder an feststehenden Ergebnissen ge-
funden wurde, hat Heinrich Heine, den man nur selten als Kunstschriftsteller würdigt,
so verstandesmäßig und feinfühlig zugleich verarbeitet und weitergebildet, daß seine
geistvollen Betrachtungen eine breitere Beachtung verdienen, als sie bis jetzt erfahren
haben, zumal da ihnen kein Stäubchen trockener Kathederweisheit anhaftet.

Ein zusammenhängendes System seiner Gedanken über die Kunst hat Heine
nicht aufgestellt. Doch läßt sich aus seinen Äußerungen — namentlich kommen die
Schriften »Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland«, »Die roman-
tische Schule« und seine »Kunstberichte aus Paris« in Betracht — ohne große Schwie-
rigkeiten ein einheitlicher Bau zusammenzimmern, da er nie in der Stimmung des
Augenblicks über Kunstwerke geurteilt hat, sondern von einem festen, durch eifriges
Studium und Nachdenken gewonnenen Untergrund aus.

Die alten, vorgefaßten Regeln der Kunstrezensenten lehnt Heine schroff ab. An
die Werke der Künstler darf man nicht herantreten mit einem engherzigen, starren
System der Ästhetik, das aus einer bestimmten Gruppe von Kunstwerken zu dem
 
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