Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 1.1906

DOI Artikel:
Lipps, Theodor: Zur "ästhetischen Mechanik"
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3529#0007

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ZUR ÄSTHETISCHEN MECHANIK.

solche Formen schaffen, können »abstrakte Künste« oder genauer »ab-
strakte Raumkünste« heißen. Die Form solcher Gebilde, kann man
sagen, ist Form des abstrakten Raumes. Damit ist der Raum als
Träger der abstrakten oder allgemeinen Naturkräfte gemeint.

Hiermit sind zugleich zwei Gattungen von Künsten unterschieden.
Beide pflegen wir bildende Künste zu nennen. Die eine derselben
aber bezeichnen wir genauer mit dem Namen »Bildkünste«. Die
andere bezeichneten wir soeben schon als abstrakte Raumkünste. Wir
können aber die letzteren auch einfach Raumkünste nennen.

Auch die Bildkünste stellen Raum dar. Die Plastik den von Körpern
erfüllten Raum. Die Malerei ein Stück Raum, in welchem Gestalten
sind, leben und atmen und zueinander in Wechselbeziehung stehen.
Auch die Bildkünste sind also räumliche Künste. Aber dieselben
haben das Eigentümliche, das im Worte »Bild« liegt, d. h. sie geben
ein Bild von dem, was in der Natur oder Wirklichkeit erfahrungsgemäß
gegeben ist. Sie bilden das im Räume Wirkliche ab oder nach, oder
geben es wieder. Sie bringen das konkrete Naturleben in räumlichen
Bildungen zur unmittelbaren Anschauung.

Davon nun unterscheiden wir die »Raumkünste« als diejenigen,
welche den Raum selbst bilden und formen, die im Räume als solchem
unmittelbar liegenden Formmöglichkeiten verwirklichen und damit das
allgemeine Leben des Raumes zur unmittelbaren Anschauung bringen.
Wir stellen damit die Raumkünste in analoger Weise den Bildkünsten
gegenüber, wie man die Geometrie als Wissenschaft vom Räume der
Physik als der Wissenschaft von den Dingen, die im Räume sind und
sich ausbreiten, gegenüber zu stellen pflegt. In der Tat verhalten sich
die Raumkünste zum Räume analog wie die Wissenschaft vom Räume
oder die Geometrie. Beide haben es zu tun mit Raumformen, nicht
mit Formen des Räumlichen, d. h. des im Raum Wirklichen; nur erkennt
die Geometrie die Raumformen, die Raumkunst ruft sie ins Dasein.

Zugleich ist für den Geometer der Raum nichts als die leere Mög-
lichkeit der Formen, für den Künstler dagegen ist er der lebendige
oder mit Leben erfüllte Raum. Für ihn sind demnach auch alle Formen,
die er bildet, Träger eines in ihnen sich verkörpernden Lebens.

Der Begriff der Raumkunst schließt aber wiederum zwei Möglich-
keiten in sich. Der Raum kann dabei einmal genommen sein als Raum,
den eine körperliche Masse füllt, oder der von körperlichen Massen
eingeschlossen, abgegrenzt, kurz bestimmt ist. Einen solchen Raum
formen die technischen Künste, die Tektonik, Keramik, Architektur u. s. w.
Auch diese technischen Künste bilden nicht ab oder geben Dinge, die
im wirklichen Raum sind, wieder, sondern sie bilden oder formen den
Raum. Auch sie rufen die im Raum überhaupt der Möglichkeit nach
 
Annotationen