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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 1.1906

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Lange, Konrad von: Die ästhetische Illusion im 18. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.3529#0046

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42 KONRAD LANGE.

sion entsteht. Es ist ebenso vergebliche Mühe, Schiller für die Form-
ästhetik wie für die Inhaltsästhetik in Anspruch zu nehmen. Er ist
weder Inhalts- noch Formästhetiker, sondern Illusionsästhetiker. Und
zwar einfach deshalb, weil er die Kunst künstlerisch, d. h. vom Stand-
punkt des schaffenden Künstlers auffaßt. Und in dieser Beziehung
steht er genau auf demselben Standpunkt wie Goethe, der während
der Lektüre von Manzonis Verlobten zu Eckermann sagte: »Der Ein-
druck beim Lesen ist derart, daß man immer von der Rührung in
die Bewunderung fällt und von der Bewunderung wieder in die Rüh-
rung, so daß man aus einer von diesen beiden großen Wirkungen
gar nicht herauskommt. Ich dächte, höher könnte man es nicht trei-
ben.« Und weiter: »Das Gefühl der Angst ist stoffartig (inhaltlich)
und wird in jedem Leser entstehen. Die Bewunderung aber ent-
springt aus der Einsicht, wie vortrefflich sich der Autor in
jedem Falle benahm, und nur der Kenner wird von dieser Empfin-
dung beglückt werden.« Denn die Bewunderung des Künstlers, von
der Goethe hier spricht, ist nichts anderes als die Bewunderung seiner
Fähigkeit, die dem Inhalt angemessene Form zu finden, d. h. den In-
halt mit illusionsmäßiger Deutlichkeit, mit zwingender Gewalt vor den
Leser zu bringen. Und es ist klar, daß wo diese Bewunderung ent-
steht, wo dieses Lustgefühl der Bewunderung die Seele erfüllt, der
pathologische Affekt, den der Inhalt eigentlich fordern würde, nicht
zur Wirkung kommen kann. Ebenso wie der Dichter durch die Arbeit
des Schaffens den Inhalt für sein eigenes Gefühl »vertilgt«, ebenso
erlebt auch der ästhetisch Geschulte bei der Anschauung eines Kunst-
werks mit traurigem Inhalt die Angst und den Schmerz nicht in voller
Stärke, sondern nur so weit, als ihn das Erleben dieser Gefühle zur
Bewunderung des Künstlers führt, also zu einem ästhetischen Lust-
gefühl anregt.

Und so können wir uns denn auch nicht wundern, daß Schiller
die Berechtigung des Gemeinen und Häßlichen in der Kunst durch-
aus anerkennt. »Wie hat man sich gequält,« so sagt er in einem
Briefe, »die derbe, oft niedrige und häßliche Natur im Homer und in
den Tragikern bei den (abstrakten) Schönheitsbegriffen durchzubringen,
die man sich von der griechischen Kunst gebildet hatte. Möchte es
doch einmal einer wagen, den Begriff und selbst das Wort
Schönheit, an welches nun einmal alle jene falschen Vor-
stellungen unzertrennlich geknüpft sind, aus dem Umlauf
zu bringen und wie billig die Wahrheit an ihre Stelle zu
setzen.«

Es wäre nun eine interessante Aufgabe, zu zeigen, wie Schiller von
dieser ganz richtigen und höchst fruchtbaren Auffassung doch wieder
 
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