Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 1.1906

DOI article:
Ameseder, Rudolf: Über Wertschönheit
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.3529#0215

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
ÜBER WERTSCHÖNHEIT. 211

steht, würde dann in ähnlicher Weise wie bei den bisherigen Fällen
die wertästhetische Disposition mitbegründet1).

Der Unterschied zwischen diesem Fall von ästhetischer Suggestion
und jenem von Gewöhnung besteht schon darin, daß die hervor-
gerufenen Wertgefühle im Suggestionsfall übermerklich sind, im Ge-
wöhnungsfall untermerklich. Praktisch unterscheiden sich beide sehr
stark durch ihre Gegenstände. Von der ersten Gruppe hat sich ge-
zeigt, daß sie dasjenige ästhetisch bevorzugt, was gleichzeitig im Rahmen
der Gattung zweckmäßig ist; von der zweiten gilt dies keineswegs.
Nicht das Normgemäße ist es, was hier gefällt, sondern oft genug das
Normwidrige, wofern sein Wert nur von ausreichend suggestionsfähigen
Individuen vertreten wird. Diese Art der Begründung ästhetischer Dis-
positionen scheint vorzugsweise dann vorzuliegen, wenn ein Subjekt
etwa auf eine neue Mode ästhetisch reagiert. Natürlich kann sich das
Gefallen an der Mode auch auf dem ersten Weg vollziehen, doch dann
unter einem anderen Aspekt; sie wird erst schön gefunden, wenn aus-
reichend viel ihr entsprechende Objekte auf das Subjekt eingewirkt
haben.

In noch immer deutlichem Zusammenhang mit den beiden vor-
gebrachten Typen des Wertästhetischen steht das Zweckgemäße. Unser
ästhetisches Verhalten dem Zweckmäßigen gegenüber sieht zwar zu-
nächst insofern recht kompliziert aus, als hier einige Urteile als Vor-
aussetzung des Gefühles notwendig zu sein scheinen. Gefällt ein
Werkzeug, weil es ersichtlich zu seinem Zweck gut taugt, so scheint
doch sein Zweck durch ein Urteil erst erfaßt sein zu müssen und
anderseits auch darüber geurteilt zu sein, wieweit der Gegenstand
diesem Zweck entspricht. Schon die Annahme leistet hier etwas völlig
anderes als das Urteil; natürlich kann überhaupt nur das erste Urteil
durch eine Annahme ersetzt .werden. Irgend ein Schneidewerkzeug
z. B. erweist sich zu seinem Zweck als minder tauglich, weil es nur an
der Spitze geschärft ist, dagegen wäre es zum Stechen wohl zu ge-
brauchen. Was sich dabei psychisch vollzieht, ist 1. das Urteil: der
Zweck des Dinges ist das Schneiden; 2. das Urteil: hiezu taugt es
nicht; 3. die Unwerthaltung des Objektes. — Im zweiten Fall liegt 1. die
Annahme vor: der Zweck ist das Stechen; 2. das Urteil: dazu taugt
das Ding; 3. ergibt sich das in diesem Fall positive Wertverhalten.
Das zweite Urteil über die Tauglichkeit des Werkzeuges zu dem vor-
gegebenen Zweck ist deshalb nicht durch eine Annahme ersetzbar,
weil das Wertverhalten dann nicht auf die tatsächlich vorliegenden

') Ob eine Vermittelung des ästhetischen Gefühles sich nicht ohne Wertgefühl
vollziehen kann, wäre erst zu untersuchen. Natürlich wäre die ohne solche Ver-
mittelung vermittelte Schönheit keine Wertschönheit
 
Annotationen