APOLLINISCHE UND DIONYSISCHE KUNST. 245
diese Annahme gewagt, wen.i nicht zuvor, wie von Calkins, durch
Ausscheidung aller Unlustgefünle das ästhetische Gebiet auf die Hälfte
seines bisherigen Umfanges restringiert wurde; man hat sich vielmehr
begnügt, die ästhetischen Emotionen als eine eigene natürliche Klasse
oder Gattung von Affekten abzugrenzen. Wie man beispielsweise die
Gattung der affektiven Erwartungsgefühle aufstellen könnte, die sich
in die Hoffnungs- und die Furchtgefühle spalten, wie die Affekt-
gruppe der Sympathie in Mitleid und Mitfreude zerfällt, so wäre
allerdings auch das Auftreten der emotionalen Qualitätsgegensätze
innerhalb der ästhetischen Regungen kein zulängliches Motiv, die
Unterscheidung einer besonderen Affektklasse für diese Regungen
fallen zu lassen.
Versucht man nun aber ernstlich diese Betrachtungsweise durch-
zuführen, wonach die ästhetischen Gefühle zwar nicht Erscheinungen
eines durchaus bestimmten, jeder weiteren Spezifikation sich ent-
ziehenden Affekts sind, wohl aber eine besondere, natürliche Gruppe
von Gemütsbewegungen vorstellen, koordiniert den anderen, allenfalls
zu umgrenzenden Affektfamilien, so stößt man auf ein großes und
gewichtiges Hindernis in dem Umstände, daß auch Gemütsbewegun-
gen dieser anderen Familien, und zwar die verschiedensten der alt-
bekannten, typischen Affekte sehr häufig Ingredienzien des kunst-
ästhetischen Genusses, insofern also unzweifelhaft selber ästhetische
Gefühle sind. Eine strenge Koordination ließe sich im Hinblick auf
diese Sachlage nicht aufrechterhalten oder aufrechterhalten nur unter
der Voraussetzung, daß die in der Wirkung des Kunstschönen auf-
tretenden Affekte mit den Gemütsbewegungen, deren Namen sie führen,
gar nicht identisch sind, daß sie in wesentlichen, entscheidenden Zügen
von dem Typus dieser letzteren abweichen. Das Willkürliche, Un-
wahrscheinliche, daher ganz und gar Unwissenschaftliche einer solchen
Voraussetzung leuchtet auf den ersten Blick ein: wäre die Ähnlichkeit
nur scheinbar, so würde sich nicht alle Welt dadurch täuschen lassen.
Dennoch aber wird der Vermutung, es möchten die von der Kunst
für ihre Absichten hervorgerufenen Affekte nicht unmittelbar, nicht in
letzter Instanz das ästhetische Wohlgefallen oder doch einen Teil
dieses Wohlgefallens bedeuten, durch die Tatsachen Vorschub geleistet,
daß erstens die Gemütsregungen, welche in den künstlerischen Total-
effekt eingehen, oft eine eigenartige Änderung ihrer normalen Qualität
erleiden, so daß sie aus Unlust- zu Lustgefühlen werden, und daß
zweitens, was immer das faktische Verhältnis sein mag, begrifflich die
Affekte gewiß nicht in toto, mit ihrer vollen psychischen Realität, son-
dern nur mit ihrem Lustkoeffizienten zum ästhetischen Erfolge ge-
hören, am künstlerischen Werte teil haben. Diese Tatsachen, und mit
diese Annahme gewagt, wen.i nicht zuvor, wie von Calkins, durch
Ausscheidung aller Unlustgefünle das ästhetische Gebiet auf die Hälfte
seines bisherigen Umfanges restringiert wurde; man hat sich vielmehr
begnügt, die ästhetischen Emotionen als eine eigene natürliche Klasse
oder Gattung von Affekten abzugrenzen. Wie man beispielsweise die
Gattung der affektiven Erwartungsgefühle aufstellen könnte, die sich
in die Hoffnungs- und die Furchtgefühle spalten, wie die Affekt-
gruppe der Sympathie in Mitleid und Mitfreude zerfällt, so wäre
allerdings auch das Auftreten der emotionalen Qualitätsgegensätze
innerhalb der ästhetischen Regungen kein zulängliches Motiv, die
Unterscheidung einer besonderen Affektklasse für diese Regungen
fallen zu lassen.
Versucht man nun aber ernstlich diese Betrachtungsweise durch-
zuführen, wonach die ästhetischen Gefühle zwar nicht Erscheinungen
eines durchaus bestimmten, jeder weiteren Spezifikation sich ent-
ziehenden Affekts sind, wohl aber eine besondere, natürliche Gruppe
von Gemütsbewegungen vorstellen, koordiniert den anderen, allenfalls
zu umgrenzenden Affektfamilien, so stößt man auf ein großes und
gewichtiges Hindernis in dem Umstände, daß auch Gemütsbewegun-
gen dieser anderen Familien, und zwar die verschiedensten der alt-
bekannten, typischen Affekte sehr häufig Ingredienzien des kunst-
ästhetischen Genusses, insofern also unzweifelhaft selber ästhetische
Gefühle sind. Eine strenge Koordination ließe sich im Hinblick auf
diese Sachlage nicht aufrechterhalten oder aufrechterhalten nur unter
der Voraussetzung, daß die in der Wirkung des Kunstschönen auf-
tretenden Affekte mit den Gemütsbewegungen, deren Namen sie führen,
gar nicht identisch sind, daß sie in wesentlichen, entscheidenden Zügen
von dem Typus dieser letzteren abweichen. Das Willkürliche, Un-
wahrscheinliche, daher ganz und gar Unwissenschaftliche einer solchen
Voraussetzung leuchtet auf den ersten Blick ein: wäre die Ähnlichkeit
nur scheinbar, so würde sich nicht alle Welt dadurch täuschen lassen.
Dennoch aber wird der Vermutung, es möchten die von der Kunst
für ihre Absichten hervorgerufenen Affekte nicht unmittelbar, nicht in
letzter Instanz das ästhetische Wohlgefallen oder doch einen Teil
dieses Wohlgefallens bedeuten, durch die Tatsachen Vorschub geleistet,
daß erstens die Gemütsregungen, welche in den künstlerischen Total-
effekt eingehen, oft eine eigenartige Änderung ihrer normalen Qualität
erleiden, so daß sie aus Unlust- zu Lustgefühlen werden, und daß
zweitens, was immer das faktische Verhältnis sein mag, begrifflich die
Affekte gewiß nicht in toto, mit ihrer vollen psychischen Realität, son-
dern nur mit ihrem Lustkoeffizienten zum ästhetischen Erfolge ge-
hören, am künstlerischen Werte teil haben. Diese Tatsachen, und mit