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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 1.1906

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BESPRECHUNGEN. 285

zelnen Kunstwerkes erweckt wird, die alles eher ist denn anschaulich. Hamann
ist dieser Gefahr nicht immer entgangen. Neben den großen Vorzügen seines
Buches, die es zu einer wertvollen Bereicherung der Rembrandtliteratur machen,
und der Fülle des Neuen, die er in seinen zum Teil geradezu glänzenden Analysen
gibt, macht sich dieses Zuviel an Konstruktion störend bemerkbar. Wenn er z. B.
in einem gepufften Wams einer Rembrandtschen Figur eine bewußte Durchführung
von Helldunkelwirkungen und Tonskalen heraustüftelt, stellt er die Geduld des
Lesers und Beschauers auf eine harte Probe. Bei Stellen dieser Art, die nicht zu
knapp bemessen sind, habe ich mich immer gefragt, was würde wohl Rembrandt
dazu sagen, wenn er diese ästhetischen Spitzfindigkeiten, die heute etwas Mode
werden, zu lesen hätte. Die Betrachtung der Kunst aus ihren eigenen Darstellungs-
mitteln heraus ist gewiß eine Errungenschaft, die wir uns nicht werden nehmen
lassen wollen, aber die zahlreichen Probleme der Kunst, die nun Lösung heischen,
werden durch bedingungslose Anwendung von Methoden noch nicht geklärt. Wenn
Stevenson die Prinzipien der impressionistischen Malerei des Velasquez deutlich
macht, so empfinden wir gewissermaßen die Vorgänge des Schaffensprozesses; das
Werden in dieser Malerei wird uns in seinen Worten deutlich. Hamann wendet die
Methode auf jedes, auch das geringfügigste Detail an. Das ist der Gegenpol der
allgemeinen, laienhaften Auffassung, daß dem großen Künstler und gerade diesem
alles aus einem gesteigerten Gefühl, aus der Intensität der Anschauung, der Hell-
sichtigkeit seiner Phantasie erwachse. Dieser romantische Aberglaube fängt zum
Glück langsam an zu verblassen; Floerkes Böcklinbuch hat ja da auch -weiteren
Kreisen« die Augen geöffnet. So nehmen wir auch die allzu weitgehende Methodik
Hamanns gern in den Kauf, um die Fülle des Guten in seinem Buche in vollen
Zügen zu genießen.

Hamann verfolgt in dem Radierwerk Rembrandts, das die Jahre 1628—1661
umfaßt, die einzelnen Etappen des Stiles, der künstlerischen Anschauung und zugleich
der geistigen Physiognomie des Meisters; Julius Langes These, daß das ethische
und formale Element in unlösbarer Beziehung zueinander stehen, läßt sich auch im
Radierwerk Rembrandts entwickelungsgeschichtlich verfolgen. Die Zurechtlegung,
Gruppierung, Durchdringung und Beherrschung des ganzen Stoffes nach künstle-
rischen Gesichtspunkten, so daß kein Element der Rembrandtschen Radierung un-
beachtet bleibt und wir die ganze Summe seiner Ausdrucksmittel kennen lernen,
ist nur bei genauester Vertrautheit mit Rembrandt möglich. Das ist ein Verdienst
des Verfassers, das ihm wohl niemand streitig machen kann. In einzelnen Themen
verfolgt Hamann drei je ein Jahrzehnt beherrschende Stilperioden. Jedes Jahrzehnt
ist für sich erfüllt von charakteristischer einheitlicher Tendenz, zugleich enthält es
in nuce, gleich einer unterirdischen Strömung die Tendenz der folgenden Periode.
Die erste Periode ist die der genauen Wirklichkeitswiedergabe; das Verhältnis zur
Natur ist ein äußeres, beobachtendes, der künstlerische Wille richtet sich auf alle,
auch auf die komplizierteren Erscheinungen gewisser Lichteffekte, die Stofflichkeit
und Farbigkeit der sichtbaren Welt, auf den Oberflächenreiz. Die zweite Periode
ist die Kunst des Helldunkels, d. h. die Kunst, zwischen ganz hell und ganz dunkel
so zu vermitteln, daß es in allmählichen Übergängen das ganze Blatt farbig erfüllt.
Das dritte Jahrzehnt, die 50er Jahre, ist die Periode der höchsten Vergeistigung und
Verinnerlichung, in die nicht nur der Mensch, sondern die ganze Umgebung, Tier
und Pflanze einbezogen wird. Oder anders gesagt, von den drei Elementen von
Rembrandts Kunst, Farbe, Raum und Licht, beherrscht je eins ein Jahrzehnt. Es
ist die Wandlung von der plastischen zur malerischen Darstellung, von der detail-
lierten Durchbildung zu freiester, auf das Wesentliche beschränkter Behandlung, vom
 
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