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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 1.1906

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BESPRECHUNGEN. 287

Porträtkunst, das Genie seiner physiognomischen Hellsichtigkeit, die Tiefe seines
psychologischen Scharfblicks offenbaren sich in seinen Porträtradierungen noch mehr
als in seinen Porträtgemälden, obgleich diese als Malereien von unvergleichlicher
Schönheit sind. Die drei Entwickelungsstufen äußern sich auf diesem Sondergebiet
so, daß Rembrandt zunächst mehr Naturforscher^ als Psycholog ist, d. h. er tastet
das Äußere ab, sieht die Menschen von außen an, studiert auch Geberden und
Mienenspiel, ohne zum psychologischen Kern vorzudringen. Er versteht aber schon
meisterhaft zu charakterisieren; freilich wird durch die peinliche Wiedergabe jedes
Details alles zu sehr festgelegt. Hamann verweist auf die höchst momentanen und
flüchtigen Bildnisse der späteren Zeit. Da ist alles sprühender Geist, Temperament
und Beweglichkeit. In der zweiten Periode wird die Person in ein Milieu, einen
Raum gesetzt. Und dieser Raum bekommt eine eigene Stimmung, während die
Person einen genrehaften Zug des Momentanen erhält Schließlich wird die Person
Staffage; alles liegt in der Stimmung des lichtdurchfluteten Raumes, von dem die
Person verschluckt wird. Damit kommt der metaphysische Zug in die Darstellung.
Das Milieu des Porträts hat nicht die Bedeutung von Akzessorien, von Stilleben,
es ist »mitschwingender Lebensodem<. (Vgl. die Kapitel Raum und Licht.) In der
reifen Periode endlich ist alle Intensität des künstlerischen Willens auf die Stellen
konzentriert, in denen sich das innere Leben einer Person am stärksten ausdrückt,
auf Augen und Mund. Das Neue, Höhere ist, daß Rembrandt jetzt von innen
heraus die Personen versteht und die Züge danach auswählt. Hier gibt er keine
äußere Charakteristik durch Gesten, sondern wirklich Innerliches, kein momentanes
Leben, sondern Nerv, inneres Leben, das unter der ruhigen Oberfläche pulsiert.
Hier erscheint Rembrandt als der bewunderungswürdige Psycholog, der mit dem
völligen Durchleben eines Charakterkopfes aus der Tiefe seines eigenen Geistes
spendet. Rembrandt glückt es besser, einfaches, unreflektiertes Lebensgefühl aus-
zudrücken, als die Verfeinerung intellektueller Kultur. Ihm gelingen mehr die derben
breiten, vollsaftigen Naturen mit starkem Lebensdrang. Hat doch Rembrandt selbst
gleich seinem größten Geistesverwandten Shakespeare etwas Derbes, Brutales in
seinem Wesen, ein Stück animalischer Urkraft. An ausgezeichnet gewählten Bei-
spielen verschiedener Wiedergaben eines Menschen, z. B. des Kartenspielers und
des Mannes mit der Halskette, nicht zuletzt an Rembrandts zahlreichen Selbstbild-
nissen erläutert Hamann die jeweilige künstlerische Absicht, ob Rembrandt die
physiognomisch-psychologische oder die malerische Erscheinung in Licht und Ton
im Auge hatte. Besonders ergiebig ist in diesem und dem nächsten Kapitel die
Darlegung der Rembrandtschen Kunstmittel. Man kann wohl sagen, daß die Kunst-
mittel keines Künstlers so reich sind wie die Rembrandts; dieser Reichtum ist über-
schwenglich. Hamanns sprachlicher Ausdruck zur Charakterisierung dieser Fülle
ist außerordentlich beweglich, nuancenreich und oft wunderbar treffend. Und doch
wäre im ganzen weniger mehr gewesen; die Sensibilität seiner Sprache verdunkelt
zuweilen die Klarheit des Ausdrucks, und viele Wiederholungen und Weitschweifig-
keiten hätten vermieden werden können, wenn der Verfasser ruhigen Gemüts einige
Sprachschnitzel unter den Tisch hätte fallen lassen.

Wie ausgezeichnet Hamann sein Material zu gruppieren weiß, nicht nach äußeren
Gesichtspunkten, sondern nach künstlerischen, die eine völlige Durchdringung der
Probleme ermöglichen, läßt sich am besten in dem Kapitel »Rembrandt als Erzähler
erkennen. Da behandelt er das Thema der Zurückgezogenheit, das in sich Be-
schlossensein in drei Variationen, dem Einsiedler, den Schilderungen häuslicher
Umgrenzungen und dem Leiden des genialen, von der Welt verkannten Menschen.
Eine andere Themenreihe geht von der Zahl der dargestellten Personen aus: Das
 
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