326 THOMAS REID.
einfachen Naturprodukten genießen sie das, was am bekömmlichsten istü).
In gleicher Weise sollte man unseren inneren Geschmackssinn dann
für den richtigsten und vollendetsten halten, wenn wir an Dingen
Gefallen finden, die sich in ihrer Art am meisten auszeichnen, und
Mißfallen empfinden an den entgegengesetzten. Die Absicht der Natur
ist nicht weniger augenscheinlich bei diesem inneren Geschmack als
bei dem äußeren. Jeder hervorragende Gegenstand hat eine reale
Schönheit und einen realen Reiz, der ihn zu einem angenehmen macht
für die, welche die Fähigkeit haben, seine Schönheit gegenüber anderen
zu erkennen; und diese Fähigkeit ist es, die wir einen guten Geschmack
nennen.
4. Die Macht der Gewohnheit, der Einbildung und der zufälligen
Gedankenverbindungen spielt sowohl beim äußeren wie beim inneren
Geschmack eine große Rolle. Ein Eskimo kann sich gütlich tun an
einem Schluck Walfischtran, und für einen Kanadier ist Hundefleisch
ein festlicher Schmaus. Der Kamtschadale lebt von faulen Fischen
und muß sich manchmal mit Baumrinde begnügen. Der Geschmack
von Rum oder grünem Tee ist zuerst so widerlich wie der von Ipe-
cacuanha für manche Personen, die durch Gewöhnung dahin kommen
können, Genuß an etwas zu haben, das ihnen anfangs so unangenehm
vorkam. Wir dürfen uns daher umsoweniger darüber wundern, daß
dieselben Ursachen gleiche Verschiedenheiten in dem Geschmack für
die Schönheit hervorbringen, daß der Afrikaner dicke Lippen und eine
flache Nase schätzt, daß andere Völker ihre Ohren lang ziehen, bis
sie ihnen über die Schultern hängen, daß die Weiber bei einem Volke
ihre Gesichter bemalen, während die Weiber eines anderen Volkes
ihre Gesichter mit Fett einschmieren, um sie glänzend zu machen.
5. Wer die Vorstellung hat, daß es keinen Maßstab in der Natur
gibt, nach dem man die Arten des Geschmackes anordnen kann, und
daß das Sprichwort, daß über den Geschmack nicht zu streiten sei,
in weitestem Umfange Geltung habe, der verliert schließlich den Boden
unter den Füßen; denn dieselben Argumente könnte man mit gleicher
Beweiskraft gegen jeden Maßstab der Wahrheit anwenden. Über
ganze Nationen hat die Gewalt des Vorurteils so viel vermocht, daß
sie den größten Unsinn geglaubt haben; und warum sollte man denken,
daß der Geschmack weniger leicht verdreht werden könnte als das
Urteil? Es muß in der Tat anerkannt werden, daß die Menschen sich
mehr in der Fähigkeit des Geschmacks unterscheiden als in dem, was
wir gemeinhin Urteil nennen; deshalb ist es nur zu erwarten, daß ihr
Geschmack in Sachen der Schönheit und Häßlichkeit der Verderbnis
mehr ausgesetzt ist, als ihr Urteil in Sachen der Wahrheit und des
Irrtums. Wenn wir das gebührend berücksichtigen, so werden wir
einfachen Naturprodukten genießen sie das, was am bekömmlichsten istü).
In gleicher Weise sollte man unseren inneren Geschmackssinn dann
für den richtigsten und vollendetsten halten, wenn wir an Dingen
Gefallen finden, die sich in ihrer Art am meisten auszeichnen, und
Mißfallen empfinden an den entgegengesetzten. Die Absicht der Natur
ist nicht weniger augenscheinlich bei diesem inneren Geschmack als
bei dem äußeren. Jeder hervorragende Gegenstand hat eine reale
Schönheit und einen realen Reiz, der ihn zu einem angenehmen macht
für die, welche die Fähigkeit haben, seine Schönheit gegenüber anderen
zu erkennen; und diese Fähigkeit ist es, die wir einen guten Geschmack
nennen.
4. Die Macht der Gewohnheit, der Einbildung und der zufälligen
Gedankenverbindungen spielt sowohl beim äußeren wie beim inneren
Geschmack eine große Rolle. Ein Eskimo kann sich gütlich tun an
einem Schluck Walfischtran, und für einen Kanadier ist Hundefleisch
ein festlicher Schmaus. Der Kamtschadale lebt von faulen Fischen
und muß sich manchmal mit Baumrinde begnügen. Der Geschmack
von Rum oder grünem Tee ist zuerst so widerlich wie der von Ipe-
cacuanha für manche Personen, die durch Gewöhnung dahin kommen
können, Genuß an etwas zu haben, das ihnen anfangs so unangenehm
vorkam. Wir dürfen uns daher umsoweniger darüber wundern, daß
dieselben Ursachen gleiche Verschiedenheiten in dem Geschmack für
die Schönheit hervorbringen, daß der Afrikaner dicke Lippen und eine
flache Nase schätzt, daß andere Völker ihre Ohren lang ziehen, bis
sie ihnen über die Schultern hängen, daß die Weiber bei einem Volke
ihre Gesichter bemalen, während die Weiber eines anderen Volkes
ihre Gesichter mit Fett einschmieren, um sie glänzend zu machen.
5. Wer die Vorstellung hat, daß es keinen Maßstab in der Natur
gibt, nach dem man die Arten des Geschmackes anordnen kann, und
daß das Sprichwort, daß über den Geschmack nicht zu streiten sei,
in weitestem Umfange Geltung habe, der verliert schließlich den Boden
unter den Füßen; denn dieselben Argumente könnte man mit gleicher
Beweiskraft gegen jeden Maßstab der Wahrheit anwenden. Über
ganze Nationen hat die Gewalt des Vorurteils so viel vermocht, daß
sie den größten Unsinn geglaubt haben; und warum sollte man denken,
daß der Geschmack weniger leicht verdreht werden könnte als das
Urteil? Es muß in der Tat anerkannt werden, daß die Menschen sich
mehr in der Fähigkeit des Geschmacks unterscheiden als in dem, was
wir gemeinhin Urteil nennen; deshalb ist es nur zu erwarten, daß ihr
Geschmack in Sachen der Schönheit und Häßlichkeit der Verderbnis
mehr ausgesetzt ist, als ihr Urteil in Sachen der Wahrheit und des
Irrtums. Wenn wir das gebührend berücksichtigen, so werden wir