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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 1.1906

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Reid, Thomas: Über den Geschmack
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https://doi.org/10.11588/diglit.3529#0332

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328 THOMAS REID.

nehmung scharf unterschieden dar und kann bezeichnet werden; in
anderen Fällen haben wir nur eine allgemeine Vorstellung von einer
gewissen Vollkommenheit, die wir nicht beschreiben können. Die
Schönheiten der ersteren Art kann man vergleichen mit den primären
Eigenschaften, die von den äußeren Sinnen wahrgenommen werden,
die der letzteren Art mit den sekundären Eigenschaften.

7. Die Schönheit oder Häßlichkeit an einem Gegenstande ergibt sich
aus seiner Natur oder Struktur. Um die Schönheit wahrzunehmen,
müssen wir daher die Verhältnisse wahrnehmen, deren Ergebnis die
Schönheit ist. Darin unterscheidet sich der innere Sinn von dem
äußeren. Unsere äußeren Sinne können wohl Eigenschaften entdecken,
die von keiner vorhergehenden Wahrnehmung abhängig sind. So
kann ich den Ton einer Glocke hören, auch wenn ich niemals irgend
etwas sonst wahrgenommen habe, was dazu gehört; aber es ist un-
möglich, die Schönheit eines Gegenstandes wahrzunehmen, ohne den
Gegenstand wahrzunehmen oder mindestens ihn vorzustellen. Aus
diesem Grunde nannte Hutcheson*) den Sinn der Schönheit und der
Harmonie reflexive oder sekundäre Sinne, weil die Schönheit nicht
wahrgenommen werden kann, ohne daß der Gegenstand durch irgend
ein anderes Vermögen des Geistes wahrgenommen wird. So setzt
der Sinn für Harmonie und Melodie in den Tönen den äußeren Ge-
hörsinn voraus und ist im Verhältnis zu ihm sozusagen sekundär.

2. Von den Objekten des Geschmacks. — Von der Neuheit.

Eine philosophische Analyse der Gegenstände des Geschmacks
geben, das heißt gleichsam das Seziermesser an ein schönes Gesicht
bringen. Der Plan des Philosophen ebenso wie der des Anatomen
ist nicht eine genußreiche Unterhaltung, sondern die Förderung der
Wissenschaft. Der Leser sollte davon unterrichtet sein, um sich nicht
Erwartungen hinzugeben, in denen er sich getäuscht sehen würde.

Unter den Gegenständen des Geschmacks verstehe ich die Eigen-
schaften oder Attribute der Dinge, die von Natur geeignet sind, einem
guten Geschmack zu gefallen. Addison und Akenside7) nach ihm
haben sie auf drei zurückgeführt, nämlich Neuheit, Größe und
Schönheit. Diese Einteilung ist genügend für alles, was ich über
den Gegenstand zu sagen beabsichtige; daher werde ich sie über-
nehmen. Ich bemerke dabei nur, daß der Begriff der Schönheit oft so

*) Fr. Hutcheson, Inquiry into the original of our Ideas of beauty and vlrtue,
London 1725. Deutsch: Frankfurt 1762.
 
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