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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 1.1906

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Spitzer, Hugo: Apollinische und dionysische Kunst, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3529#0417

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APOLLINISCHE UND DIONYSISCHE KUNST. 413

minder als bei der Rückerinnerung an ehemalige schöne Tage; mora-
lische Erfolge sind ebenso ein Quell der Freude wie materielle Güter;
Gesundheit und Ehren, Besitzerwerbung und Erweiterung des geistigen
Gesichtskreises durch vermehrte Kenntnisse, Anregung zum Nach-
denken und Befreiung von Zweifeln, Arbeit und Erholung, Reisen,
Spiel und behagliche Ruhe, Klärung des Verstandes und Hingabe an
dunkle, beglückende Stimmungen, Lebloses und Lebendiges, Ver-
gangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges — alles kann Freude be-
reiten. Wenn nun hier, so darf mit scheinbarem Rechte gesagt werden,
die Verschiedenartigkeit der Gefühlsursachen das Vorhandensein eines
und desselben Affektes nicht ausschließt, dann ist wohl auch im Falle
der ästhetischen Emotionen nichts dergleichen zu befürchten. Die
Analogie, welche so zwischen der Gemütsbewegung der Freude und
der ästhetischen Lust hinsichtlich der Unbestimmtheit ihrer Grundlagen
besteht, ermutigt aber nicht nur zu dem Versuche, die verschiedenen
Arten des Wohlgefallens am Schönen und an der Kunst trotz alledem
einem einzigen Affekt zuzuschreiben, sondern reizt bei der sonstigen
Lage der Dinge fast unweigerlich dazu, noch einen Schritt weiter zu
gehen, nämlich aus der Analogie eine Identität zu machen, zwar nicht
Freude und ästhetische Lust schlechtweg zu identifizieren, weil es ja
doch offenbar zahlreiche nicht ästhetische Freuden gibt, aber wenig-
stens alle durch das Schöne und das künstlerisch Wertvolle ausge-
lösten Gefühle als Regungen des Affekts der Freude anzusehen.

Damit ist jedoch diese Untersuchung bereits mitten in die Erörte-
rung der letzten von den oben bezeichneten Möglichkeiten, in die
Diskussion der interessantesten und heikelsten Frage eingetreten — der
Frage, ob der ästhetische Genuß, wenn er schon keinen eigenen, be-
sonderen Affekt vorstellt, nicht vielleicht einer der übrigen Gemüts-
bewegungen zu subsumieren sei. Es leuchtet auf den ersten Blick
ein, daß die meisten der lustvollen emotionalen Zustände, auf die man
bisher den Begriff Affekt angewendet hat, auch nicht von ferne in
Betracht kommen können, wenn es sich um das allfällige Gelingen
einer solchen Subsumtion handelt. Die einen, wie Hoffnung, ange-
nehme Erwartung, müssen beiseite gelassen werden, weil sie sich auf
Zukünftiges beziehen, was bei der Mehrzahl der ästhetischen Emo-
tionen nicht zutrifft. Anderen wieder, z. B. der Sympathie, dem Gefühl
der Liebe, fehlt in zahllosen Fällen ästhetischer Anschauung das reale
Objekt, dessen diese Gemütsbewegungen bedürfen, falls sie selber in
voller Kraft und Wahrheit hervortreten und nicht bloß ihren Namen
anderen Gefühlen leihen sollen, für deren Erzeugung schon der Phan-
tasiegegenstand, die Hineindichtung des Objekts in eine andersgeartete
Wirklichkeit ausreicht, und so eignen sich denn trotz Baschs geist-
 
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