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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 1.1906

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BESPRECHUNGEN. 439

trotzdem er's anders sich hat vorgenommen — über jene Gabe, die er selbst in
seinem Buch als Triebbegabung, als fortreißende Menschenkraft bezeichnet: das
Genie. Man muß die Schönheit aus angeborener Neigung lieben; man muß die
Sehnsucht nach ihr hegen, wie wenn Schönheitsgefühl nichts Erworbenes war',
sondern eine Urkraft unserer Sinne. In solcher Regung scheint es dem Verfasser,
als wenn jeder Harmonien gebärende Geist dem Genie sich nähere, das kein Wunder
sei, nur die höchst gesteigerte Tätigkeit der seelischen Energie. Mit einem derartigen
Wort kann natürlich alles und nichts erschöpft sein. Das Wunder des Genies, das
nur in der Ahnung begreifbar ist und nie im kühl erwägenden Verstände, hat
Seailles keineswegs erklärt. Er bewegt sich in unterhaltsamen, ja wertvollen Bilder-
vorstellungen; die sind ehrenvoll für seine Phantasie, doch nichts mehr als Gleich-
nisse. Sie ergötzen, fassen oft auch ans Gemüt und erheben.

Der Geist, der in Freiheit denkt, ungefesselt von dem Zwang der geregelten
Überlegung, der Zusammenhänge schafft durch Hypothesen, ohne sich um die
logischen Kettenglieder zu bekümmern, der Geist ist ein Genie des Intellekts. Der
Geist, der sein Erlebtes zum Symbol ausformt, der in Völkerphantasien zündbarstes
Mitarbeiten an den künstlerischen Symbolen wecken kann, für den das Bild bedeutet,
was die Zelle für den Körper, der Geist der aus dem Häßlichen Schönheit gebiert,
der reizbar ist bis in die zartesten Fasern den verborgenen und zu findenden Welt-
harmonien gegenüber, solch Geist ist das Genie des Künstlers. Dies Kunstgenie
setzt Werke seiner Art in die Welt, weil sein Leben nicht zwiespältig ist wie das
Wesen der Gewöhnlichen, weil sein Wirken ein Mechanismus ist, dem Großes allein
gelingt und Ewiges.

Nach so kühnen Behauptungen türmen sich die Fragen erst recht. Doch der
Verfasser bleibt die Antwort schuldig.

Berlin. Max Hochdorf.

Schmarsow, August, Grundbegriffe der Kunstwissenschaft am Über-
gang vom Altertum zum Mittelalter kritisch erörtert und in systema-
tischem Zusammenhange dargestellt. Leipzig und Berlin, B. G. Teubner 1905,
X u. 350 S. gr. 8°.
Der Besprechung des vorliegenden Werkes möchte eines vorangeschickt werden.
Referent kann sich, von Einzelheiten abgesehen, mit den Ergebnissen, mit der Me-
thode, aber vor allem mit der Art der Abfassung dieses Buches so wenig einver-
standen erklären, daß die Bemerkung nicht müßig sein mag, er wisse wohl, daß
der Autor ein bedeutender und um kunsthistorische Wissenschaft hochverdienter
Forscher sei. Die Eigenart der Arbeit bringt nun ferner mit sich, daß eine Inhalts-
angabe schwierig zu geben ist, schwieriger noch, sie von den kritischen Anmer-
kungen zu trennen. Es mag daher entschuldbar sein, wenn Wiedergabe des Ge-
dankenganges und kritische Würdigung im folgenden nicht so reinlich gegliedert
sind, als es wünschenswert wäre.

Den Verfasser leitet das Bedürfnis, das »Rüstzeug« der Altertumswissenschaft
und der neueren Kunstgeschichte zu prüfen, deren Gegensätze am stärksten im
Grenzgebiete, bei der Untersuchung der frühchristlichen und der spätantiken Kunst
zur Geltung kommen. Bei den Archäologen herrscht — nach Riegls Zeugnis —
noch immer die Theorie Sempers in jener mißverstandenen Form, derzufolge das
Kunstwerk ein mechanisches Produkt aus Gebrauchszweck, Rohstoff und Technik
darstellt. Riegl selbst setzte dem die Lehre vom »absoluten Kunstwollen« entgegen,
einem »bestimmten und zweckbewußten Wollen, das sich im Kampfe mit Gebrauchs-
 
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