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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 1.1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.3529#0455

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BESPRECHUNGEN.

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ist die Umsicht zu rühmen, mit der die schwierige Aufgabe des Ordnens gelöst
wird. Schließlich sind auch einige neue Ergebnisse gewonnen worden, deren Be-
deutung wir gern anerkennen.

Folgende Aufgaben wurden den Kindern gestellt: Sie mußten lebende Wesen
und Gegenstände teils aus der Vorstellung heraus, teils nach der Natur zeichnen,
ferner mußten sie ein Schneeballgefecht graphisch schildern, um ihre Fähigkeit in
der Darstellung eines Gesamtraumes zu bekunden, und endlich hatten sie einen
vorgezeichneten Teller oder Buchdeckel nach Belieben zu verzieren. Alles dies
natürlich in unbeeinflußter Selbständigkeit. Was dabei herauskam, erfahren wir
aus zahlenmäßigen Aufstellungen; überdies belehren uns die Beispiele, die wir
selber vor Augen haben. Den Tafeln ist jedesmal eine kurze Erläuterung beige-
geben, etwa so: Gezeichnet von einem Mädchen, I. Klasse, 7 Jahre alt, Fortgangs-
note II, zeichnet zu Hause (unter künstlerischer Anleitung), hat Bilderbücher, Beruf
des Vaters Kaufmann. Der Wert der letzten Angabe erhellt aus dem Ergebnis, daß
die besten Leistungen von Kindern stammen, die in einfachen, oft ärmlichen Ver-
hältnissen leben. Zu einem der anderen Punkte bemerkt Kerschensteiner: »Wenn
wir die 141 Tafeln dieses Buches durchmustern, so finden wir fast ausnahmslos
gute Darstellungen Hand in Hand gehen mit guter geistiger Begabung, zum min-
desten mit guter allgemeiner Fortgangsnote.« Ob das Kind Bilderbücher hat oder
nicht, scheint mir wenig bedeutsam; es kann ja auch ohne Besitz von Bilderbüchern
tausendfach von Illustrationen, Photographien, Plakaten, Gemälden beeinflußt worden
sein. Dagegen wird der Psycholog einige nähere Mitteilungen über die sonstigen
Fähigkeiten der einzelnen Kinder vermissen — die »Fortgangsnote« bildet gewiß
keinen Ersatz dafür. Es liegt im Wesen solcher Massenuntersuchungen, daß gerade
die lehrreichsten Beziehungen nicht erschlossen werden können, oder doch nur mit
einem ungeheuren Arbeitsaufwand. Aber Verfahren und Ergebnisse der psycholo-
gischen »Intelligenzprüfungen«: hätten wohl mehr berücksichtigt werden können, und
den Raum dafür würde der Verfasser gewonnen haben, wenn er auf die zahl-
reichen Wiederholungen verzichtet hätte, die das Buch mehr als nötig anschwellen
lassen.

Der Zusammenhang zwischen Verstandesreife und graphischer Ausdrucksfähig-
keit, namentlich auch erwiesen durch die verworrenen Darstellungen Schwachbegab-
ter, ist leicht zu begreifen für die unterste Stufe. Denn auf ihr besteht das Zeich-
nen in einer Niederschrift gewußter Merkmale und entspricht daher ziemlich genau
dem Wissen des Kindes. Bei Kindern von sechs bis zehn Jahren, so sagt Kerschen-
steiner, herrscht das Schema durchaus vor, nachher nimmt es bei den Knaben rasch,
bei den Mädchen sehr langsam ab. Jedermann kennt diese linearen Schreibversuche,
die sich um die Erscheinung des Gegenstandes wenig kümmern; so ernst sie
gemeint sind, so lächerlich und parodistisch wirken sie; besonders die Menschen-
gestalten ohne geschlossene Rumpfdarstellung erinnern oft mehr an Räder-
tierchen oder andere phantastische Naturformen. Trotzdem macht sich bereits
hier, sicher auf der nächsthöheren Stufe eine individuelle Auffassung geltend: so
fällt beispielsweise gleich in die Augen, daß der Urheber der vierten Figur auf
Tafel 39 derselbe Knabe sein muß, der Nr. 16 auf Tafel 8 gezeichnet hat. Eben
deshalb würde man gern noch mehr von den Individuen erfahren, etwa wo ihre
Interessen liegen, wie das Gedächtnis ist, ob sie kurzsichtig sind und dergleichen
mehr. Was nun die Einteilung dieser primitiven Zeichnungen betrifft, so läßt sie
sich natürlich auch anders denken. Kerschensteiner gruppiert zum Teil nach dem
Gesichtspunkt, ob der Rumpf des gezeichneten Menschen eine geradlinige Figur
oder eine kreisähnliche Linie oder beliebig krummlinig ist; vielleicht wird hierdurch
 
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