TELEOLOGIE DER KUNST. 4gg
die Kunst Nachahmung der Natur, so müßten auch all die zahl-
losen Dinge und Vorgänge, die das Bedürfnis nach einheitlicher
Gliederung nur sehr wenig befriedigen oder ihm geradezu zuwider-
laufen, in die Kunst aufgenommen werden dürfen. Auch die Norm
der organischen Einheit also bildet eine Widerlegung der Nachah-
mungstheorie.
Ebenso könnte die im ersten Bande an erster Stelle genannte
Norm — Einheit von Form und Gehalt — zum Zwecke der gleichen
Folgerung herangezogen werden. Doch das Ausgeführte genügt, um
zu zeigen, daß durch die hier gelegte Grundlage die Nachahmungs-
theorie ausgeschlossen ist.
Noch von einer anderen Seite aus läßt sich die Nachahmungs-
theorie als durchaus verkehrt erweisen. Indem man auf die Darstel-
lungsmittel achtet, deren sich die Künste bedienen, zeigt es sich, daß
jedes Darstellungsmittel eine Fülle von Umformungen des Wirklichen
in sich schließt. So wahr es ist, daß jede Kunst in bestimmten Dar-
stellungsmitteln — beispielsweise die Bildnerei in Marmor, Bronze,
Holz usw. — ihre Gestaltungen schafft, so wahr ist es auch, daß
eine jede Kunst das Wirkliche gemäß den jeweiligen Darstellungs-
mitteln umformt.
In meinen Ästhetischen Zeitfragen (1895) habe ich mich .eingehend
mit der Widerlegung der Lehre von der Kunst als Nachahmung der
Natur beschäftigt. Der damals in Deutschland in Blüte stehende
Naturalismus forderte geradezu auf, der zum Teil sogar schreierisch
verkündeten Nachahmungstheorie gründlich zu Leibe zu gehen. Dort
zeigte ich, daß die Kunst, indem sie ihre Gestalten schafft, in den
bei weitem meisten Fällen (das heißt: etwa abgesehen von Schauspiel-
kunst, Tanz, Gartenkunst) Lebendiges in Unlebendiges umformt.
Gegenüber dem in Ölfarbe dargestellten Fels ist der wirkliche Fels,
trotz seines unorganischen Daseins, etwas Lebendiges, etwas Natur-
gewachsenes. Und weiter wurde dort dargelegt: das künstlerische
Formen setzt in einem großen Teil der Künste — vor allem an Bild-
nerei, Malerei und Griffelkünste ist zu denken — die Bewegungen
ins Unbewegte um. Ferner: jede Darstellung ist Oberflächendarstel-
lung, das innere Gefüge wird nicht mit dargestellt; vielmehr tritt die
Struktur des Marmors, Erzes, Holzes usw. an die Stelle der Eigen-
organisation des Originales, etwa des menschlichen Leibes oder
der Gewänder und Waffen. Die Kunst wäre daher, wenn wirklich
der Maßstab, an dem sie gemessen werden muß, lediglich in der
Naturnachahmung bestünde, als schlimmste Stümperei anzusehen.
Was im besonderen die Malerei betrifft, so ist sie eine Umformung
des Wirklichen einmal insofern, als sie die wirklich gesehene Tiefen-
die Kunst Nachahmung der Natur, so müßten auch all die zahl-
losen Dinge und Vorgänge, die das Bedürfnis nach einheitlicher
Gliederung nur sehr wenig befriedigen oder ihm geradezu zuwider-
laufen, in die Kunst aufgenommen werden dürfen. Auch die Norm
der organischen Einheit also bildet eine Widerlegung der Nachah-
mungstheorie.
Ebenso könnte die im ersten Bande an erster Stelle genannte
Norm — Einheit von Form und Gehalt — zum Zwecke der gleichen
Folgerung herangezogen werden. Doch das Ausgeführte genügt, um
zu zeigen, daß durch die hier gelegte Grundlage die Nachahmungs-
theorie ausgeschlossen ist.
Noch von einer anderen Seite aus läßt sich die Nachahmungs-
theorie als durchaus verkehrt erweisen. Indem man auf die Darstel-
lungsmittel achtet, deren sich die Künste bedienen, zeigt es sich, daß
jedes Darstellungsmittel eine Fülle von Umformungen des Wirklichen
in sich schließt. So wahr es ist, daß jede Kunst in bestimmten Dar-
stellungsmitteln — beispielsweise die Bildnerei in Marmor, Bronze,
Holz usw. — ihre Gestaltungen schafft, so wahr ist es auch, daß
eine jede Kunst das Wirkliche gemäß den jeweiligen Darstellungs-
mitteln umformt.
In meinen Ästhetischen Zeitfragen (1895) habe ich mich .eingehend
mit der Widerlegung der Lehre von der Kunst als Nachahmung der
Natur beschäftigt. Der damals in Deutschland in Blüte stehende
Naturalismus forderte geradezu auf, der zum Teil sogar schreierisch
verkündeten Nachahmungstheorie gründlich zu Leibe zu gehen. Dort
zeigte ich, daß die Kunst, indem sie ihre Gestalten schafft, in den
bei weitem meisten Fällen (das heißt: etwa abgesehen von Schauspiel-
kunst, Tanz, Gartenkunst) Lebendiges in Unlebendiges umformt.
Gegenüber dem in Ölfarbe dargestellten Fels ist der wirkliche Fels,
trotz seines unorganischen Daseins, etwas Lebendiges, etwas Natur-
gewachsenes. Und weiter wurde dort dargelegt: das künstlerische
Formen setzt in einem großen Teil der Künste — vor allem an Bild-
nerei, Malerei und Griffelkünste ist zu denken — die Bewegungen
ins Unbewegte um. Ferner: jede Darstellung ist Oberflächendarstel-
lung, das innere Gefüge wird nicht mit dargestellt; vielmehr tritt die
Struktur des Marmors, Erzes, Holzes usw. an die Stelle der Eigen-
organisation des Originales, etwa des menschlichen Leibes oder
der Gewänder und Waffen. Die Kunst wäre daher, wenn wirklich
der Maßstab, an dem sie gemessen werden muß, lediglich in der
Naturnachahmung bestünde, als schlimmste Stümperei anzusehen.
Was im besonderen die Malerei betrifft, so ist sie eine Umformung
des Wirklichen einmal insofern, als sie die wirklich gesehene Tiefen-