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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 7.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.3592#0159
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BESPRECHUNGEN. 155

organisatorischen Unvermögens ist. Mit großer Spannung verfolgt man daher bei
ihm den Übergang zum Breit-Malerischen, das ein Teil der reproduzierten Werke
in glücklichster Weise zeigt. Es ist seine Sorge, daß der geistreiche Entwurf nicht
etwa durch tote Farbflecke erdrückt wird, und die unermüdlichen Zeichenübungen
und Lichtstudien sind notwendig, »damit das im Zeichnen waltende Feuer der
Rhythmik hineinfahre in die Pinselsprache«.

Einzelne der Reproduktionen machen, im Gegensatz zum Gesamtstil, den Ein-
druck, als ob bisweilen aus Liebe zum feingefühlten Detail der Schwerpunkt der
Komposition nicht gleich glücklich gerückt ist. Doch ist natürlich zunächst die
Wirkung der Originale zur Beurteilung erforderlich. Auch eine gewisse Härte der
Auffassung, die an altdeutsche Vorbilder erinnert, mit etwas kleinmeisterlichen
Tendenzen, überrascht bei einigen der vollendeten Bilder, neben Werken von
großzügiger Auffassung und höchster Ausdrucksintensität. Was diese Bilder aber
alle aufweisen, das ist Charakter in höchstem Sinne, Aufbau, streng künstlerische
Durcharbeitung, oft eine hinreißende Gesamtvision. Taktsicherheit, das ist es,
was nach L. v. Kunowski der künstlerischen Jugend fehlt. Und diese Taktsicher-
heit, die den künstlerischen Rhythmus nur unterstützt, die gibt in der Tat Kunowskis
Methode in hohem Maße. Daß er dabei durchaus in deutscher Eigenart fußt, ohne
ihre naheliegenden malerischen Barbarismen zu bestärken, daß er eine rein künstle-
risch gestaltete und geläuterte leise Vorliebe für architektonisch - plastische und
lineare Ausdruckswirkung hat, scheint nur zu bestätigen, daß hier in der Tat eine
in deutscher Eigenart wurzelnde Kunstauffassung als fester Grund gegeben ist.
Berlin.

___________ Lenore Ripke-Kühn.

Julius Meier-Graefe, Vincent van Gogh. Mit 40 Abbildungen. München
1910, R. Piper u. Co. 3. durchgesehene Aufl. 77 S.

Derselbe, Paul Cezanne. Mit 40 Abbildungen. 3. verbesserte und erweiterte
Auflage. Ebendort. 84 S.

Die beiden Bücher stellen Einzeldrucke aus dem bekannten Werk Meier-Graefes
»Die Impressionisten« dar; bei van Gogh ist die Zahl der Abbildungen vermehrt
worden, bei Cezanne hat auch der Text einige Erweiterung gefunden. — Die
Einzelausgaben entsprechen jedenfalls einem Bedürfnis, bei der Bedeutung, welche
diese beiden Künstler für die Entwicklung der modernen Malerei gewonnen haben.
Freilich ist der Begriff des Impressionismus gerade in diesen Fällen kaum er-
schöpfend — er verflüchtigt sich bis zu gewissem Grade, bröckelt ab, und bedarf
jetzt, wo wir die Entwicklung mehr übersehen, einer historischen Revision. In der
Tat faßt auch Meier-Graefe, trotz seiner Einreihung van Goghs unter die »Impres-
sionisten«, ihn zugleich als eine bestimmte Form der Reaktion auf den Impressionis-
mus auf, als die aus demselben Geist geborene Synthese der vorhergegangenen
tiefen Analyse. Aus diesem über den eigentlichen Impressionismus herausragenden
Moment in van Gogh und Cezanne ist wohl auch die Breite der Wirkung auf die
deutsche Kunst zu verstehen; über die Tiefe dieser Wirkung ist noch kein Urteil
zu fällen.

Die bekannte energische und geistvolle Darstellung Meier-Graefes zeigt uns
den Entwicklungsgang van Goghs, jenes Geistesverwandten von Delacroix, der
voll zitternder Beweglichkeit gewaltige Farbenflammen einherpeitscht und Mensch,
Stilleben und Landschaft in rhythmische Dramen verwandelt; selbst die statuarische
Cypresse wird zur Flamme; selbst die runde Behaglichkeit des Kupferkessels zu
strebendem Linien- und Lichtspiel. Der Kampf des Lyrikers van Gogh mit dem
 
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