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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 7.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.3592#0322
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318 BESPRECHUNGEN.

forderung. Das Erhabene liegt — nach Volkelts Auffassung — begründet im Ver-
hältnis von Form und Gehalt, ebenso das Schöne und Charakteristische; und wenn
das Anmutige, nach Volkelts Analyse, sich auf Eigenheiten des Gehaltes gründet,'
so kann doch nicht schon dieser Gehalt, sondern erst seine Ausprägung in der Form
als anmutig bezeichnet werden. Dagegen weist nichts in der Analyse des Komischen
und des Tragischen darauf hin, daß zu ihrem Wesen die Anschaulichkeit gehört:
Volkelt will sie dennoch als ästhetische Grundgestalt aufgefaßt wissen. Aber ge-
rade das, was Volkelt im Gegensatz zu Lipps und Cohn hierfür anführt, scheint mir
dagegen zu sprechen: Es mag sein, daß das Komische seine volle Wirksamkeit erst
im Anschaulichen entfaltet (S. 373). Aber wenn das Komische im Unanschaulichen
überhaupt eine, wenn auch nur geringe Wirkungsfähigkeit hat (wie Volkelt selbst
behauptet), so gehört die Anschaulichkeit eben nicht zum Wesen des Komischen,
sondern nur sekundär zu seiner vollen Entfaltung. Anders das Anmutige, das
Schöne, das Charakteristische. Sie existieren nicht außerhalb der Anschauung. So
würde ich all denjenigen Typen, die nicht ihrem Wesen nach die Anschaulichkeit
verlangen, nicht zugeben, daß sie ästhetische Grundgestalten sind. Diese Einwen-
dungen richten sich natürlich nur gegen den Begriff der Grundgestalt — sie lassen
die Einzelanalysen Volkelts vollkommen unberührt.

Volkelt beginnt diese Einzelausführungen mit der Scheidung eines Ästhetischen
der erfreulichen, und eines Ästhetischen der niederdrückenden Art. Er macht darauf
aufmerksam, daß zum Menschlich-Bedeutungsvollen nicht nur Friede und Glück ge-
hören, sondern ebenso enge Verhältnisse, unselige Verwicklungen usw.

Wesentlicher ist der Gegensatz des Schönen und des Charakteristischen. Das
Schöne, von dem hier gesprochen wird, ist nicht das Schöne, das mit dem Ästhetisch-
Wertvollen zusammenfällt; schön in dem hier verwandten Sinne sind wohl die Werke
Raffaels, nicht aber Dürers Holzschnitte. In Volkelts Sinne schön würden Gegen-
stände dann sein, wenn »die Sinnenform unserem Bedürfnis nach organischer Ein-
heit keine merkbaren Erschwerungen und Hindernisse entgegensetzt, wenn der
Eindruck der organischen Einheit leicht und mühelos zustande kommt.« Charakte-
ristisch dagegen sind Gegenstände dann, »wenn die Sinnenform dem Bedürfnis
nach organischer Einheit Schwierigkeiten und Hemmungen entgegensetzt, durch
deren Überwindung erst der Eindruck der organischen Einheit zustande kommt«
(S. 24). (Schroff aneinander stoßende Linien z. B. oder die Bildwerke Donatellos).
So wesentlich es ist, dieses Begriffspaar scharf herauszusondern, so wenig kann ich
mich überzeugen, daß Volkelt in der Analyse das Richtige getroffen hat. Die Schwierig-
keiten liegen für mich am Begriff der organischen Einheit. Vergleichen wir etwa
Hoffmannsthals Frau im Fenster (als Beispiel des Schönen) mit dem Schlußakte von
Richard III. als Beispiel des Charakteristischen. Nach den Ausführungen des ersten
Bandes ließe sich sehr wohl sagen: in Richard III. ist die organische Einheit des
Gehaltes mühelos in eine ihr gemäße Form eingekleidet, während in der »Frau im
Fenster« der Gehalt durch eine ihm nicht gemäße Form — eine Form, die dem
»niederdrückenden Charakter« nicht entspricht — bewältigt wird. Es liegt wohl in
solchen Fällen ein doppelter Gehalt vor. Die Form als solche in ihren Farben,
Linien, Rhythmen, Klängen hat einen bestimmten Gehalt, der z. B. in der Frau jm
Fenster den eigentlichen dramatischen Gehalt, einen Gehalt der »niederdrückenden
Art« einhüllt. Sollte nicht in solchen Fällen im Verhältnis dieser beiden Arten von
Gehalt viel mehr der Gegensatz des Charakteristischen und des Schönen gesucht
werden müssen als in der Bewältigung der Form durch den Gehalt?

Es ist ein äußerst wichtiger Punkt, daß Volkelt nachdrücklich und scharf das
Gegensatzpaar des Schönen und des Charakteristischen von dem andern des Typischen
 
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