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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 7.1912

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Mies, Paul: Über die Tonmalerei, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3592#0612
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608 PAUL MIES.

versinnlichen, das sinkende Haupt Jesu und die Worte: »sie fielen zu
Boden« wurden durch absteigende Tonfolgen markiert, und das Krähen
des Hahnes wurde möglichst deutlich wiedergegeben. Eine Menge
derartiger Beispiele finden sich in einem Werke Kades1), wir haben
schon solche Stellen aus den Passionen von Sebastiani und Theile an-
geführt, und in den Rezitativen der Bachschen Passionen sind sie all-
gemein bekannt.

Mattheson (1681—1764), der berühmte Hamburger Musikkritiker,
warnt zwar die Komponisten, sich in »den Wortlaut der Texte zu ver-
gaffen« 2). Trotzdem finden sich bei ihm Stellen, die uns heute nur
verfehlt erscheinen können; so malt er in einer Passion3) das klopfende
Herz, das Heulen, ja sogar den Regenbogen, mit dem der Evangelist
die Geißelspuren auf dem Rücken des Heilands vergleicht, durch
Arpeggien der Violinen. Ähnliche Stellen, wenn auch nicht so sehr
am falschen Platze, enthalten die Kantaten Fr. W. Zachows4) (1663—1712),
des Lehrers Händeis, und G. Ph. TelemannsB) (1681—1767). Letzterer
war schon zu seiner Zeit als Tonmaler berühmt und berüchtigt; wir
wollen hier einige Sätze einer Hamburger Kritik über ihn mitteilen6):
»... und welches ein Hauptfehler in allen seinen Werken ist, den er
den Franzosen abgelernt hatte, er war so sehr in die musikalischen
Mahlereyen verliebt, daß er sie nicht selten ganz widersinnig anbrachte,
an einem mahlerisehen Worte oder Gedanken kleben blieb, und dar-
über den Affekt des Ganzen vergaß; daß er in Spielwerke verfiel und
Dinge malen wollte, die keine Musik ausdrücken kann.« In seinen
Kantaten läßt sich ebenso, wie wir früher bei Jomelli gezeigt haben,
leicht die wortmalerische Entstehung mancher Arien zeigen. Man sehe
nur die Arie des Unglaubens aus dem Tag des Gerichts (S. 9 der
Neuausgabe), wo jeder Teil des Satzes »Fürchtet nur des Donnerers
Schelten, verlöschende Sonnen und stürzende Welten! Zittert im
Staube; wir steigen empor« ein tonmalerisches Motiv erhält, durch
deren Aneinanderreihung und öftere Wiederholung dann der erste
Teil der Arie entsteht (Notenbeispiel 46). Zu ähnlichen Beobachtungen
geben die Arie der Vernunft »Des Sturmes Donnerstimmen schallen«
und der Chor »Es rauscht« aus demselben Werke Anlaß, ebenso die
Arie »Ich walle im Meere« aus der Kantate »Ino«. Daß in den Rezi-

') Kade, Die altern Passionsmusiken bis zum Jahre 1631, 1893.

2) Caspari, Gegenstand und Wirkung der Tonkunst nach Ansicht der Deutschen
im 18. Jahrhundert, S. 27, Erlangen 1903.

3) Rei. A. O. d. M. III, S. 74 ff.

4) D. D. T. 41-42 (M. Seiffert).
6) D. D. T. 28 (Schneider).

«) a. a. O. S. LV.
 
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