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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 11.1916

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BESPRECHUNGEN. 87

verschoben. Wulff, wohl einer der gerechtesten Forscher, die wir heute haben,
scheint der Berufenste, dieses strittige Gebiet zum ersten Male in zusammenhängende
Darstellung zu bringen.

Er hält dabei die Zeit für eine rein entwicklungsgeschichtliche oder rein ästhe-
tische Orientierung des Stoffes noch nicht für gekommen. Er ordnet vorwiegend
historisch. Doch er sagt dazu: »Wer dem Gang der Dinge stetig gefolgt ist,
darf immerhin eine neue Zusammenfassung zu bieten wagen, die den fernerstehen-
den Fachgenossen, wie jedem für den Gegenstand ernsthaft interessierten, wenig-
stens als Brücke zur entwicklungsgeschichtlichen und ästhetischen Betrachtung der
altchristlichen Kunst dienen will.«

Das Schöne an der Wulffschen Darstellung, das auch den Nichtfachmann fesselt,
ist der reiche kulturhistorische Boden, aus dem Wulff die Dinge entwickelt. Ist
doch die altchristliche Kunst so deutlich wie wenig andere ein soziologisches Ge-
wächs. Sie ist nicht als »reine Kunst« ein Werk des Genies oder des Talentes.
Sie ist einer der vielen Zweige, die aus der völligen geistigen und sozialen Um-
Orientierung der europäischen Menschheit seit dem Verfall der Spätantike ihre
Nahrung ziehen. »In der gesamten Kunstentwicklung des europäischen Kultur-
kreises hat sich nie eine tiefere Umwälzung vollzogen als die, aus der die christ-
liche Kunst hervorgegangen ist. Weder der Übergang vom Stil des späten Mittel-
alters zu dem der Renaissance bedeutet eine so vollkommene Wandlung, noch die
Umbildung des archaischen Stils in den klassischen oder des letzteren in den
hellenistischen innerhalb der griechischen Welt. In allen diesen Fällen wirkt
organischer Fortschritt zu freierer Naturbeherrschung oder zu höherer Formen-
schöpfung in wenig veränderter Richtung des ursprünglichen Kunstwollens. Die
christliche Kunst aber wendet sich einem grundverschiedenen Ziele zu. Sie ent-
faltet sich in der künstlerischen Gestaltung einer neuen Weltanschauung und be-'
gleitet mit ihren einzelnen Phasen deren Entstehung. Ihr Sieg über die Antike ist
der Sieg des Inhalts über die Form. Der antike Stil diente dem Schönheitskult der
Leiblichkeit. Er wird zersetzt und vernichtet. Die altchristliche Kunst sucht den
Ausdruck des Geistigen, sie will den neuen religiösen Vorstellungen eine Erschei-
nungsform schaffen, und sie ruft, an der Grenze ihrer Entwicklung angekommen,
wenigstens im Osten einen neuen Stil ins Leben — den byzantinischen. Nur ein-
seitige ästhetische Bewertung, welche das klassische Kunstideal und die ihm wesens-
verwandte neuzeitliche Stilbildung seit der Renaissance zum alleinigen Maßstab des
Kunsturteils nimmt, konnte diese schöpferische Leistung verkennen und in ihr nichts
als Verfall und Rückbildung erblicken.«

In ruhigem, geklärtem Stile, in gemeisterter Darstellung ist dieser erste voll-
ständige Band des Handbuches geschrieben. Fest fundiert und sicher aufgebaut.
Ein gutes Alpha für das ganze Unternehmen. —

Die übrigen Teile, von denen erst einzelne Lieferungen erschienen sind, sollen
jeweilig nach ihrer Vollendung angezeigt werden.

Berlin. Max Deri.

Hermann Muthesius, Die Zukunft der deutschen Form. (50. Heft der
von Ernst Jäckh herausgegebenen politischen Flugschriften »Der deutsche
Krieg«.) Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart und Berlin 1915. 8°. 36 S.

Adalbert Matthaei, Der Krieg von 1914 und die bildende Kunst in
Deutschland. 2. Auflage; Verlag von A. W. Kafemann G.m.b.H., 1915.
8°. 37 S.
 
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