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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 11.1916

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BESPRECHUNGEN. 95

Schöpfung gegeben.« Nur dem Menschen kommt die Eigenschaft zu, die Kunst zu
verstehen. Das Schöne zu verstehen geht dem Menschen auf an der Hand der
Kunstwerke selber, das Natürliche hat keine Schönheit. »Schönheit ist die wahr-
nehmende Einheit von innerem Wesen und äußerer Form. Sie ist durchaus geistiger
Natur.« Form und Inhalt werden eine Einheit: »Die Kunst geht aus dem persön-
lichen Glauben und der Erinnerung des Menschen in der Zeit an die Ewigkeit
hervor.« Beim Zusammenfügen von Leib und Geist nimmt der Künstler ein Stück
Ewigkeit vorweg, in jedem Kunstwerk leuchtet das Ewige auf und erscheint uns
als Poesie.

Die freie Persönlichkeit vermittelt den Zusammenhang zwischen Poesie und
Religion. Bei Irreligiosität würde die Kunst »dem an sich undurchsichtigen und
ohnmächtigen Naturgrunde verfallen«. Aber, eine apologetische Kunst kann es auch
nicht geben. »Der Ausdruck der christlichen Kunst ist nicht mehr bloß der Aus-
druck des Lebens überhaupt, sondern Ausdruck des Lebens, insofern es Liebe ist...
In der Liebe Gottes wohnt die Freiheit, in der Liebe Gottes wohnt die Kunst.«
Jeder ästhetische Subjektivismus wird verworfen, es gelten nur objektive Normen
zur Kunstbeurteilung; ein Urteil, das sich nur auf Gefühl stützt, ist bedeutungslos.
Geschmack hat nur derjenige, der das Wesentliche und innerlich Notwendige erfaßt.

Nun wenden wir uns den Vorlesungen selbst zu. In der ersten wird Ȇber
das Interesse aller Menschen an der Poesie« gesprochen. In der Poesie finden
Einkehr Menschen, die »den auf dem Markte des Lebens unvernehmbaren Tönen
der Ewigkeit zu lauschen sich gedrungen fühlen«. Die Poesie steht mit den Tages-
fragen in keinem Zusammenhang, dieses ist ihre Empfehlung. Das Interesse des
Publikums für die Poesie ist im Abnehmen, gelesen werden Werke, die zwischen
Philosophie und Poesie, Idealismus und Materialismus stehen.

Keine große Idee ist ohne Sänger geblieben; das Zeugnis dafür gibt Deutsch-.
Iand selbst, das Deutschland, in dem die Lieder von Körner, von Eichendorff
und die Sonette von Rückert klangen. Es wurde aber nicht so, wie man damals
dachte, daran haben schuld »jene klugen Diplomaten, die in feingesponnenen Ver-
handlungen Deutschlands Schicksal verhandelten«. Es ist aber überflüssig, zu ver-
zweifeln, »noch ist das Kulturprinzip, welches das Christentum in die Welt ge-
bracht, nicht am Ende... Man möchte sich aus dem Egoismus der Zeit retten,
man möchte zu den Idealen der Jugend zurück, eine Verjüngung muß möglich sein,
weil der Geist nicht älter wird, neue Lebenskräfte bekommen wir immer aus der
Religion, und ewige Jugend schöpfen wir aus der Poesie. Das Wesen der Poesie
ist das Hervorbrechen und Offenbarwerden des unerschöpflichen, verborgenen Lebens
der Ewigkeit in den Formen und Bildern des sichtbaren, gegenwärtigen Lebens.
Wie sich der Geist zur sichtbaren Gestalt verdichtet, wird er Gedicht.« Der Inhalt
der Lieder (Liebe, Frühling, Sehnsucht) gibt Zeugnis davon. Epos und Drama
unterwerfen sich auch diesen allgemeinen Gesetzen.

Das einzige Mittel gegen die Verflachung der Zeit ist die Religion. Der Mensch
hat im Gegensatz zur Natur den freien Willen und »was wir für uns aus unserem
Leben machen, ist unser Werk«.

Die zweite Vorlesung handelt »Über das Verhältnis der Poesie zur Religion«.
Die Religion braucht »eine Vermittlung mit dem zeitlichen und irdischen Leben,
und diese Vermittlung erblüht uns nach der einen Seite des Lebens in der Poesie,
die wir als innerlich bildende und neugestaltende Macht des Geistes erkennen
müssen«. Der Einwand, daß die Dichter »nur ein Leben des Scheines schildern«,
wird zurückgewiesen für die »wahre Poesie«, die »das bleibende Wirkliche erfaßt«.
Im Leben der Natur liegt auch Poesie, da die Natur immer Neues erzeugt, den
 
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