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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 11.1916

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Stoltenberg, Hans Lorenz: Schwebreime
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https://doi.org/10.11588/diglit.3817#0203

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1 gg BEMERKUNGEN.

Schwebreime.

Von

Hans Lorenz Stoltenberg.

In der deutschen Sprache finden wir Wörter wie:

huldreich, furchtlos, Vollmond, einsehn, vorschlug,
in denen die zweite Silbe stärker betont ist als in anderen, etwa in:

eilen, Winde, sendet.
Die zweiten Silben der letzten Wortart nennt man unbetont. Die zweiten Silben
der ersten Art kann man schwachbetont nennen und alle ersten Silben dieser
Wörter starkbetont. Da es sehr viele Wörter im Deutschen gibt, in denen solche
schwachbetonten Silben vorkommen, hat man ein Recht, ihnen auch einen beson-
deren Namen zu geben. Schwebwörter mögen sie heißen und die jedesmalige
Form ihrer Betonung ein Schwebfuß1).

Die schwachbetonte Silbe kann nun zunächst unmittelbar hinter der stark-
betonten stehen und zwar entweder allein wie in den obengenannten Wörtern
und in anderen, wie:

sinnvoll, Zweiheit, Stammbaum
oder, noch um eine unbetonte Silbe verlängert, in Wörtern wie:

Ansehen, Fürsorge, seltsame, fruchtbare, herkommen,
aber auch unmittelbar vor der starkbetonten Silbe und zwar entweder, ohne
daß noch eine unbetonte Silbe folgt, etwa in:

zu früh, sag an, wie weit
oder, mit noch einer unbetonten Silbe am Ende, in:

wir liefen, schon morgen, kopfüber.

Wörter der ersten dieser vier Arten nenne ich Schwebfaller, der zweiten
Seh web tanzer, der dritten Schweb Steiger und der vierten An seh web woger.

Es gibt noch andere Schwebfüße; die kommen aber für das Reimen nicht so
in Betracht, und ich will sie deshalb hier übergehen.

Wenn ich nun behandle, wie diese Wortarten im einzelnen gereimt werden
können, so sei im voraus bemerkt, daß ich mich dabei auf die sogenannten vollen
Reime beschränke, d. h. auf solche, die von dem Klanglaut der betonten Silbe an
einander ganz gleich sind.

Die beiden ersten Wortarten — Abschweber mögen sie heißen, weil da die
schwachbetonte Silbe hinter der starkbetonten Silbe steht —lassen sich nun auf
drei verschiedene Weisen reimen.

1. Von dem Klanglaut der starkbetonten Silbe an sind alle Laute gleich.
Dazu gehören von Zweisilbern:

bahnlos, planlos; krankhaft, zankhaft
oder von Dreisilbern:

haltbare, spaltbare; Pfändungen, Schändungen.
Diese Reime nenne ich die einfachen Abschwebreime, den ersten den ein-
fachen Schwebfallreim, den zweiten den einfachen Schwebtanzreim.

2. Eine andere Möglichkeit, Abschweber zu reimen, ist dann die, daß man nur

') Näheres über die hier angewandten Ausdrücke wie auch über die Verteilung
der Tonstärken auf die einzelnen Silben findet man in meinem jüngst bei K. Cur-
tius in Berlin erschienenen Buch »Die Bindung der deutschen Rede«.
 
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